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Rundreise. Ein Erlebnis prägte sich mir aber besonders nachhaltig ein. Auf der Rück- oder Hinreise liefen wir einmal Casablanca in Marokko an, um dort Stückgut zu laden und zu löschen. Ich werde nie vergessen, wie sich morgens vor Schichtbeginn um den Vormann der Hafenarbeiter eine Traube von 40 - 50 Hafenarbeitern drängelte, alle wollten arbeiten, aber er brauchte nur etwa die Hälfte von denen, die sich um Arbeit bemühten. So zeigte er nur immer: „Dich, dich nehme ich für diese Schicht.“ Der Rest ging betroffen und mit sorgenvollen Gesichtern nach Hause, da sie für diesen Tag keinen Verdienst hatten, um ihre Familien zu versorgen. Dies hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt, ein bleibendes und prägendes Erlebnis. Mit Arbeitslosigkeit wurden wir ja erst nach der Wende konfrontiert. Wir lebten zwar einfach und ohne Luxus in der DDR, aber ohne Existenzsorgen. Inzwischen hatte ich auch schon die andere Seite mit all ihrem Überfluss und Luxus in Antwerpen, London und den mexikanischen Häfen kennengelernt. Das Gefälle zwischen Reich und Arm war zum Teil erschreckend. Im Gegensatz dazu hatte bei uns jeder Arbeit, konnte sich kleiden, hatte ausreichend zu essen und ein Dach über den Kopf. Zwar alles auf einfachem und niedrigen Niveau zur damaligen Zeit, aber eben für alle. Jeder konnte zur Schule gehen, die medizinische Versorgung war für jeden gesichert. Dies sind Errungenschaften, die man erst zu würdigen und zu schätzen weiß, wenn man einmal die Möglichkeit hatte, einen Blick in die Elendsviertel dieser Welt (die es ja auch heute noch gibt) zu werfen.

      In Rostock wieder angekommen, wollte natürlich jeder nach Hause fahren. Verständlich, dass dies nicht für alle möglich war. Unsere Brigade musste jedenfalls an Bord verbleiben. Das Schiff wurde neu ausgerüstet. Zu damaliger Zeit war es üblich von Rostock aus alles mitzunehmen. Nur Gemüse und Obst konnte unterwegs hinzugekauft werden, um so dem Staat wertvolle Devisen zu sparen. So kann jeder sich vorstellen, welche Mengen an Proviant, Getränken und Ausrüstung an Bord neu verstaut werden mussten. Zuerst musste das Leergut der letzten Reise von Bord. Es wurde damals schon davon nichts über Bord geworfen. SERO lässt grüßen. Alles wurde der Wiederverwendung zugeführt. Ein anderer Teil war in den Wachdienst und in den Lade- und Löschbetrieb integriert. Damit hatten wir als Lehrlinge während der Liegezeit in Rostock voll zu tun. Theoretischer Unterricht wurde nicht abgehalten. An den Abenden hatten wir dann endlich frei und konnten nun losziehen, um Rostock kennenzulernen. Erinnern kann ich mich noch, dass wir zum ersten Landgang voller Stolz unsere Uniformen angezogen haben. Dies war leider keine gute Idee, da wir doch unsere ersten Bierchen im Glauben, nun endlich erwachsen zu sein, konsumierten und dies nicht gewohnt waren, wurden wir auch recht laut in den Gaststätten. Dies missfiel verständlicherweise den anderen Gästen, und da wir in Uniform waren, hieß es sofort: „Schaut euch die Herren Matrosenlehrlinge von der Seereederei an.“ Wir sind jedenfalls niemals wieder in Uniform an Land gegangen. Auch später zu Hause habe ich es immer vermieden, weil es dort erst recht auffiel. So mussten wir also die zweite Reise absolvieren, bis wir endlich mit unserem Heimaturlaub an der Reihe waren. Obwohl ich gerne zur See fuhr, wurde der Urlaub nach manchmal monatelangem Einsatz herbeigesehnt. Aber war man dann zu Hause, sollte er auch nicht zu lange dauern, man wollte wieder los. Empfangen wurden wir immer mit großem Hallo. Jeder wollte wissen: „Na wie war es, wie sieht es draußen aus?“ Wir wurden darum beneidet, dass wir die Welt kennenlernen konnten. Schnell mussten mein Kumpel und ich, wir waren immer beide zusammen in Urlaub gefahren, aber feststellen, dass das Interesse an unseren Erzählungen nicht von langer Dauer war, da keiner eine Vorstellung von unserer Arbeit und von den Häfen und Ländern hatte, von denen wir erzählten. Bald wurde wieder von ihren Problemen gesprochen, wo jeder mitreden konnte. Diese Erfahrung wiederholte sich bei jedem Urlaub und ist auch eigentlich heute noch gültig. Es wurde nun in jedem Urlaub zum Ritual, dass immer, wenn ich die Nase voll hatte und mal wieder über die Seefahrt erzählen wollte, ich mit dem Fahrrad nach Schieben fuhr zu meinem Kumpel Kanne. Dabei besuchte ich wieder Oma, Tante und Onkel und blieb ein paar Tage. Oma wartete später schon immer auf meinen Besuch und hatte extra ein paar Arbeiten, die nur ich ausführen konnte, parat. Begrüßt wurde ich mit: „ Ach Junge, gerade habe ich an dich gedacht“; und sie freute sich immer sehr. Ich war wohl ihr liebstes Enkelkind. Genau so ging es bei meiner Tante und meinem Onkel, denen ich fast wie der eigene Sohn geworden war. Leider verstarb mein Onkel im Jahre 1968. Der Verlust traf mich damals schwer, denn er war mir inzwischen ein Vaterersatz geworden.

      Zusammen mit meinem Kumpel machten wir dann immer ein paar schöne Sausen, dabei konnten wir uns endlich gegenseitig die Geschichten von der Seefahrt erzählen. Es störte uns nicht, dass wir im Laufe der Jahre so manche Geschichte gegenseitig wiederholt erzählten. Die Mutter meines Kumpels war meistens nicht gerade glücklich über mein Kommen, da Kanne in meiner Abwesenheit doch so ab und an etliche Eskapaden abgeliefert hatte. Selbstverständlich versprach ich ihr hoch und heilig, dass das, wenn ich dabei bin, nicht passieren kann. Das Resultat war nicht gerade viel besser, aber ich konnte in vielen Fällen das Ärgste verhindern, so dass wir doch den Umständen entsprechend immer einigermaßen beide vernünftig zu Hause wieder ankamen. Nicht nur Kanne, auch ich war nun wirklich kein Engel. So musste ich mal eine Nacht in der Ausnüchterungszelle in Rostock verbringen, Kanne hatte es im Gegensatz zu mir noch bis zum Dampfer geschafft. Was soll es, wir waren damals jung und dadurch, dass wir ein gutes Lehrlingsgehalt bezogen und auf See nicht viel ausgeben konnten, waren wir im Vergleich zu den Lehrlingen an Land immer gut bei Kasse. Danach während unserer Zeit, wo wir zusammen zur See fuhren und auch noch beim Studium, war es meist nun ich, der die Grenzen setzte. Resultat aus der obigen Erfahrung (eine Nacht in der Ausnüchterungszelle), so etwas sollte mir nicht noch einmal passieren. Bis auf einige wenige Ausnahmen sind wir immer zusammen nach Hause beziehungsweise an Bord gegangen.

      Ende 1967 endete unsere Zeit auf dem MS „THEODOR KÖRNER“. Wir hatten die Zwischenprüfungen für das 1. Lehrjahr abgelegt und musterten im Dezember ab. Die Ausbildung wurde nun im 2. Lehrjahr, dem sogenannten Praxisjahr, auf den Produktionsschiffen, das heißt in der Flotte fortgesetzt. Brigadeweise wurden wir auf die vorhandene DSR-Flotte verteilt.

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