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Oh je, Herr Carlowitz. Michael Wühle
Читать онлайн.Название Oh je, Herr Carlowitz
Год выпуска 0
isbn 9783738075274
Автор произведения Michael Wühle
Жанр Зарубежная деловая литература
Издательство Bookwire
Also, nun geht die Geschichte los. Wir befinden uns in sächsischen Freiberg, anno Domini 1714, im Studierzimmer von Carlowitz, dem zentralen Raum eines ehemaligen Burgturms, den ihm der sächsische Kurfürst geschenkt hat.
Felix sitzt an einem kleinen Holztisch in dem geräumigen Turmzimmer und klappt gerade das große Buch zu, an dem er auch heute wie an jedem Tag geschrieben hat. Heute sind sie nun endlich nach vielen Wochen und Monaten fertig geworden und Felix ist froh, denn seine Finger haben in letzter Zeit vom vielen Schreiben doch sehr geschmerzt. Er drückt die Schultern zurück und dehnt sich ausgiebig.
Felix dreht das große Buch um und sieht sich den Titel auf dem Einband an:
SYLVICULTURA OECONOMICA
oder
Hausßwirthliche Nachricht und Naturmäße
Anweisung
zur
Wilden Baum-Zucht
Felix erinnert sich, dass er allein für diese erste Seite viele Tage arbeiten und oft wieder von vorne anfangen musste. Er musste die Buchstaben mehr malen als schreiben und das war sehr mühsam. Aber jetzt, zumindest für heute ist Schluss, Feierabend.
Irgendwas stört Felix jedoch. Etwas fehlt ihm noch. Er blickt auf und schaut auf die abendliche Landschaft, die in diesem Frühsommer vom Grün der Bäume nur so strotzt. Es ist ein Grün, das beinahe schon in den Augen weh tut. Die großen Fenster sind zum Teil geöffnet und warme Luft streicht durch den Raum. Der Raum ist angefüllt mit Zeichnungen und Skizzen, die an die Wand genagelt sind, auf Staffeleien stehen, oder einfach unordentlich am Boden liegen. Sie zeigen Bergwerksstollen, Werkzeuge und Maschinen zur Metallgewinnung und viele, viele Zeichnungen von Bäumen. Baumschösslinge wie sie gepflanzt und vor Wildverbiss geschützt werden. Bäume, wie sie gefällt, zersägt und gelagert werden. Darunter auch Traktate über das Aussehen und den Geschmack verschiedener Erden und Listen über die Anzahl gefällter und gepflanzter Bäume. Es ist ein Raum, in dem ganz offensichtlich fleißig gearbeitet wird.
Vor dem Treppenabgang wölbt sich der gute alte Kachelofen, der in so manchen Wintertagen das Schreiben mit verkrampften und schmerzenden Fingern gerade noch erträglich gemacht hat.
Neben dem Ofen steht der mit rotem Samt gepolsterte Lehnstuhl seines Meisters Hans Carl von Carlowitz. Wie dieser so dasitzt, in der einen Hand die Pfeife, aus der Tabakqualm zur Decke steigt, in der anderen Hand ein zerfleddertes Buch haltend, wirkt er auf Felix sehr entspannt und wohl gelaunt. Sein Meister ist ein alter Mann mit 68 Lenzen. Die offizielle Perücke hat er über eine Stuhllehne geworfen. Mit seinem runden und gerötetem Gesicht, dem kurzen grauen Haar und der edlen aber abgenutzten Kleidung wirkt er eher wie ein Universitätsprofessor als wie ein mächtiger Beamter Sachsens.
Felix denkt daran, dass sein Meister, der hoch geachtete Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz, zuweilen recht jähzornig sein kann und es vielleicht besser wäre nichts zu sagen. Doch er weiß nun, was ihn die ganze Zeit so stört und seine Gedanken nicht zur Ruhe kommen lässt und so fasst er sich ein Herz und spricht seinen Meister an. „Meister, darf ich Euch etwas fragen?“ Carlowitz reagiert nicht und Felix wiederholt seine Frage deutlich lauter. „Kannst Du mich denn nicht einen Augenblick ungestört lesen lassen?“ antwortet diesmal der Gefragte.
(Carlowitz hatte mit dem Alter immer stärker zu nuscheln begonnen und so musste sich Felix immer sehr beim Zuhören anstrengen und oft auch raten, was sein Meister denn gerade gesagt hat. Diesmal war die Antwort jedoch laut und verständlich, wenn auch nicht besonders ermutigend. Felix machte trotzdem weiter.)
„Meister, ich habe Euer Werk wie von Euch diktiert niedergeschrieben, aber mir ist vieles nicht klar und manches verstehe ich überhaupt nicht“. „Das wundert mich nicht“ grummelte Carlowitz „denn dass Du nicht der Gescheiteste bist, weiß ich schon lange. Aber sei´s drum, heute bin ich mal großzügig. Was willst Du wissen, aber fasse Dich kurz und rede laut und deutlich“.
Felix schob nervös das vor ihm liegende Buch auf der Tischplatte hin und her, schlug es dann auf und blätterte eine Weile ziellos darin herum. Schließlich hatte er sich so weit gefasst, dass er seine erste Frage stellen konnte. „Ihr schreibt in Eurem Werk, dass es eine große Holznot gäbe. Dass die Bergwerke kein Holz mehr für neue Stollen haben, dass die Schmelzöfen kein Holz mehr haben, um das Erz zu Eisen zu schmelzen, Ihr sagt, dass wir nachhaltig mit dem Sach umgehen müssen. Was meint Ihr damit? Wenn es bei uns kein Holz mehr gibt, dann können wir es doch bei den Baiern oder Tyrolern kaufen?“
Carlowitz schaute seinen jungen Schreiber mit einer Miene an, als müsste er einer Katze erklären, wozu Mausefallen da sind. Er rollte seine Augen und blickte zur steinernen Decke empor: „Lieber Herrgott, mit welchem Trottel hast Du mich armen Sünder da geschlagen!“ rief er aus. An Felix gewandt sagte er. „Hast Du denn die ganze Zeit nicht aufgepasst? Tagelang, wochenlang habe ich Dir alle Einzelheiten diktiert. Schreibst Du nur blöde ab, oder denkst Du auch mal mit?“ Dabei schlug er mit seiner Faust auf die Stuhllehne, dass es nur so krachte.
Sein Meister sprang mit einer raschen Bewegung, die Felix ihm nicht zugetraut hätte, von seinem Lehnstuhl auf. Er lief im Sturmschritt auf den Tisch zu, an dem Felix saß und sich vergeblich bemühte, in seinem Stuhl zu verkriechen. Vor dem Tisch blieb Carlowitz stehen, legte die Hände auf seine Hüften, wohl damit sie nicht etwas Drastisches anstellen können, funkelte Felix wütend an und begann dann auf ihn einzureden.
„Einmal, ein einziges Mal werde ich versuchen, Deinem dummen Schädel einzubläuen, was jedem anderen Menschen nach der Arbeit mit mir völlig klar gewesen wäre. Also höre gut zu, denn wenn Du mich noch einmal so etwas Blödes fragst, dann wirst Du mich wirklich wütend erleben!“ Felix war schon fast unter der Tischkante verschwunden und nicht in der Lage, seinem Meister zu sagen, dass er sehr aufmerksam zuhören werde.
Carlowitz funkelte ihn noch einige Momente an, wohl um zu überprüfen, ob da von Felix Seite noch irgendwelche Widerworte kämen. Als er sicher sein konnte, dass er die volle Aufmerksamkeit des verängstigten Jünglings hatte, begann er mit der Erklärung seiner Begriffe in einer Art und Weise, die Felix vermuten ließen, dass er diese Rede eigentlich für ein anderes Publikum vorbereitet und schon öfters vorgetragen hatte:
„Wie also ein jeder, außer Felix, in diesem Lande Sachsen weiß, herrscht seit etlichen Jahren eine große Not an Holz. Holz braucht ein jeder Mensch. Aus Holz machen wir Dächer, Werkzeuge, Kutschen, Gebrauchsgegenstände aller Art, wir stützen die Stollen unserer Bergwerke damit und vor allem brauchen wir es, um unsere Öfen zu heizen und unser Erz zu verhütten. Denn das ist der nie versiegende Reichtum unseres Landes. Wir haben Gott sei Dank genügend Gold, Silber, Eisen, Buntmetalle und Mineralien im Fels unserer Berge. Deswegen haben wir immer mehr Holz geschlagen, um zu diesen Schätzen zu gelangen und inzwischen sind unsere meisten Wälder kahl. Neu gepflanzte Bäume brauchen lange Zeit, um zu wachsen und groß zu werden, mindestens so lange bis du ein alter Mann bist, bis man sie fällen und verarbeiten kann. Nur mit Holz für die Stollen und Gänge im Berg, nur mit Holz zum Schmelzen der Erze können wir diese Reichtümer unseres Landes abbauen, deshalb ist Holz ebenfalls der Schatz unseres Landes. Wir müssen unsere Wirtschaft daher so einrichten, dass es keinen Mangel an Holz gebe und dass genutzte Flächen sofort verjüngt werden. Hast Du das bis dahin verstanden, dummer Bub?“
Felix nickt heftig mit seinem Kopf und sein Meister fährt fort. „Viele meinen nun, den Nachwuchs des Waldes könne und müsse man der gütigen Gottesnatur allein überlassen. Diese Leute ziehen den Sinn von Säen und Pflanzen in Zweifel, zudem sei es profitabler, die Kahlflächen in Äcker und Weiden umzuwandeln.
Aber die Waldsaat ist nichts wirklich Neues, bereits die alten Römer haben in ihrem mächtigen Weltreich Bäume gesät und gepflanzt. Ohne immerwährenden Holznachschub hätte es kein Imperium Romanum gegeben, soviel steht fest.
Schon jetzt gibt es bei uns in Sachsen Versorgungsprobleme und das Holz braucht 100 Jahre zum Reifen. Wenn dann aus der Not heraus jüngere Bäume gefällt werden, führt das zur Verwüstung und Zerstörung der reifenden Wälder.
Aber wie meist im Leben handeln die Menschen erst dann, wenn