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Читать онлайн.Ferner waren seine Predigten geistreich und markig wie die Predigten in der englischen Kirche zur Zeit ihres kräftigen Mannesalters und er trug sie frei vor. Leute, die nicht zu seinem Kirchspiele gehörten, kamen, ihn predigen zu hören; und da es allgemein für die schwierigste Berufspflicht eines Geistlichen galt, seine Kirche zu füllen, so lag für Farebrother in dieser Beliebtheit nur eine weitere Veranlassung, sich sorglos dem Gefühl einer gewissen Überlegenheit hinzugeben.
Überdies war er ein liebenswürdiger Mensch von sanftem Temperament, von schlagfertigem Witz, von offenem Wesen, ohne die sauer-süßen Ausbrüche einer verhaltenen Bitterkeit oder andere angenehme Eigenheiten, welche die Unterhaltung mit so Vielen unter uns zu einem Kreuz für unsere Freunde machen.
Lydgate hatte ihn sehr gern, und wünschte ihn zum Freunde zu haben. Von diesem Gefühle beherrscht fuhr er fort, seine Entscheidung in Betreff der Kaplanschaft zu verschieben und sich zu überreden nicht nur, daß die Sache ihm eigentlich ganz fern liege, sondern auch, daß die leidige Notwendigkeit seine Stimme abzugeben, wahrscheinlich gar nicht an ihn herantreten werde.
Auf Bulstrode's Verlangen entwarf er Pläne für die inneren Einrichtungen des neuen Hospitals und beide berieten oft mit einander. Der Bankier glaubte noch immer im Allgemeinen auf Lydgate's Beistand rechnen zu können, kam aber nicht speziell auf die bevorstehende Entscheidung zwischen Tyke und Farebrother zurück.
Als Lydgate jedoch benachrichtigt wurde, daß der Gesamtvorstand des Hospitals beschlossen habe, die Frage der Kaplanschaft einer aus den Direktoren und Ärzten bestehenden Commission zur Entscheidung zu überweisen und daß diese Commission am nächsten Freitage zusammentreten werde, empfand er es mit Verdruss, daß er nun doch in dieser kleinlichen Middlemarcher Angelegenheit zu einem Entschluss kommen müsse. In seinem Innern vernahm er, ohne dieser Stimme sein Ohr verschließen zu können, die sehr bestimmte Erklärung, daß Bulstrode Premierminister, und daß die Tyke-Angelegenheit für seine Anstellung eine Lebensfrage sei, und er konnte sich einer ebenso entschiedenen Abneigung, der Aussicht auf diese Anstellung zu entsagen, nicht erwehren. Denn seine Beobachtungen bestätigten ihm fortwährend Farebrother's Versicherung, daß der Bankier ihm ein oppositionelles Verhalten nicht nachsehen würde.
»Hol' der Henker ihre Lokalpolitik!« Das war einer seiner Hauptgedanken bei dem zu Reflexionen so geeigneten Prozess des Rasierens an drei aufeinander folgenden Morgen, als er sich der Überzeugung nicht länger verschließen konnte, daß er wirklich über diese Angelegenheit mit seinem Gewissen zu Rate gehen müsse.
Sicherlich ließen sich triftige Gründe gegen Farebrother's Wahl geltend machen; er hatte bereits zu viel zu tun, besonders wenn man in Betracht zog, wieviel Zeit er auf nicht geistliche Beschäftigungen verwendete. Dann aber drängte sich Lydgate immer wieder der Gedanke auf, daß der Pfarrer offenbar um des Geldes willen spiele, daß er zwar das Spiel an und für sich gern habe, es aber doch ersichtlich eines bestimmten Zweckes wegen kultiviere und dieser Gedanke beeinträchtigte fortwährend seine Achtung vor dem Pfarrer. Farebrother war der Verfechter einer Theorie, nach welcher alle Spiele sehr empfehlenswert seien, und behauptete, daß der Mangel an Spielen die geistige Schwerfälligkeit der Engländer erkläre.
Lydgate aber war fest überzeugt, daß Farebrother selbst viel weniger spielen würde, wenn er es nicht des Geldes wegen täte. Im »Grünen Drachen« war ein Billardzimmer, welches einige ängstliche Mütter und Frauen als die schlimmste Versuchung in Middlemarch betrachteten. Der Pfarrer war ein vorzüglicher Billardspieler, und obgleich er den »Grünen Drachen« nicht regelmäßig frequentierte, liefen doch Gerüchte um, daß er einige Male am hellen Tage dort gespielt und Geld gewonnen habe. Und was die Kaplanschaft betraf, so erklärte er ja selbst, daß ihm nur der vierzig Pfund wegen an derselben gelegen sei.
Lydgate war weit entfernt von puritanischer Strenge, aber er machte sich nichts aus dem Spiel und der Geldgewinn im Spiel war ihm immer als etwas Niedriges erschienen; überdies schwebte ihm ein Ideal des Lebens vor, welches ihm diese Abhängigkeit von dem Gewinn kleiner Summen durchaus verächtlich erscheinen ließ. Für seine eigenen Bedürfnisse war bisher, ohne daß er sich darum zu kümmern gehabt hatte, ausreichend gesorgt gewesen, und er war immer sehr freigiebig mit halben Kronen, als einer für einen Gentleman unbedeutenden Münze, umgegangen; es war ihm noch nie in den Sinn gekommen, auf einen Plan bedacht zu sein, wie er sich wohl in den Besitz von halben Kronen setzen könne. Er hatte zwar immer gewußt, daß er nicht reich sei, aber er hatte nie Veranlassung gehabt, sich arm zu fühlen, und war ganz unfähig, sich eine Vorstellung von der Rolle zu machen, welche der Mangel an Geld bei der Bestimmung der menschlichen Handlungen spielt.
Niemals hatte ein Geldinteresse bei ihm das Motiv einer Handlung abgegeben. Daher war er wenig geneigt, Entschuldigungen für diese absichtliche Verfolgung des Gewinns kleiner Summen Gehör zu geben. Die Sache war ihm durchaus zuwider, und er ließ sich nie dazu herbei, sich von dem Verhältnis der Einnahme des Pfarrers zu seinen mehr oder weniger notwendigen Ausgaben genaue Rechenschaft zu geben. Möglicherweise würde er sich von diesem Verhältnis bei seinen eigenen Angelegenheiten keine gehörige Rechenschaft gegeben haben.
Und jetzt, als die Frage der Abstimmung an Lydgate herantrat, machte sich sein Widerwille gegen jene Art des Geldgewinns entschiedener zu Farebrother's Ungunsten geltend, als es bisher der Fall gewesen war. Wir würden viel besser wissen, was wir zu tun haben, wenn die Charaktere der Menschen mehr aus einem Guss wären, und besonders wenn unsere Freunde immer die nötige Befähigung für jedes Amt besäßen, das sie zu bekleiden wünschen. Lydgate hielt sich für überzeugt, daß er, wenn keine triftigen Gründe gegen Farebrother's Wahl gesprochen hätten, ohne Rücksicht auf Bulstrode's Ansichten, für ihn gestimmt haben würde: er war nicht gemeint, sich zu einem Vasallen Bulstrode's zu machen.
Was nun andererseits den Gegenkandidaten Tyke anlangte, so war das ein Mann, der ganz der Erfüllung seiner geistlichen Pflichten lebte; er war nur Pfarrgehilfe an einer Filialkirche in St. Peters Kirchspiel und hatte Zeit, noch neben der Wahrnehmung seines Amts besondere Pflichten zu übernehmen. Niemand konnte etwas gegen Herrn Tyke sagen, außer daß die Leute ihn nicht leiden konnten und ihn für scheinheilig hielten. In der Tat konnte man nicht anders, als Bulstrode von seinem Standpunkte aus Recht geben.
Aber so oft Lydgate sich der einen oder andern Seite zuzuneigen anfing, stieß er auf etwas, dem er auszuweichen suchte, und diese Notwendigkeit, sich mit etwas abzufinden, verletzte seinen Stolz und erbitterte ihn. Es widerstrebte ihm, die Erreichung seiner besten Zwecke auf's Spiel zu setzen, indem er sich mit Bulstrode schlecht stellte; es widerstrebte ihm aber auch, gegen Farebrother zu stimmen und so dazu mitzuwirken, daß dieser um Amt und Gehalt gebracht werde. Und an dieses Gehalt knüpfte sich für Lydgate wieder die Frage, ob nicht die Zulage von vierzig Pfund zu seiner Einnahme den Pfarrer vielleicht von der unwürdigen Beflissenheit, beim Kartenspiel Geld zu gewinnen, befreien würde.
Überdies war es für Lydgate ein unangenehmes Bewusstsein, daß er, wenn er für Tyke stimme, augenscheinlich für die seinem Interesse förderlichere Seite stimmen würde. Aber war denn schließlich wirklich sein Interesse im Spiel? Jedenfalls würden es die Leute behaupten, und würden von ihm sagen, daß er sich bei Bulstrode einzuschmeicheln suche, um sich wichtig zu machen und sich sein Fortkommen in der Welt zu sichern.
Was also tun? Er war sich bewußt, daß, wenn es sich nur um seine persönlichen Aussichten gehandelt hätte, er sich nicht im mindesten um die Freundschaft oder Feindschaft des Bankiers gekümmert haben würde. Was ihm aber wirklich am Herzen lag, das war eine Handhabe für die Ausführung seiner Ideen, ein Förderungsmittel seines Werks – und war er nicht am Ende verpflichtet, den Zweck, ein gutes Hospital zu erlangen, in welchem er die spezifischen Unterschiede der verschiedenen Fieber würde demonstrieren und Heilmethoden würde erproben können, höher zu halten, als irgend etwas, das mit der Besetzung dieser