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Böse Welt. Charles Keller
Читать онлайн.Название Böse Welt
Год выпуска 0
isbn 9783847646303
Автор произведения Charles Keller
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Charles Keller
Böse Welt
Kurzgeschichten
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Im Paradies sind die Jungfrauen alle
Der Kinderschänder vom Gnadenhof
Agentur für gute Ratschläge und keine Arbeit
Vorwort zur letzten Geschichte
Nepp on Demand oder Unverkäuflich und doch umsatzträchtig
Das Raucherbein
„Mann, Mann, was ist denn das jetzt wieder für eine gottverdammte Scheiße!“
Ein stechender Schmerz hatte sich peu à peu – ohne Vorwarnung, ohne Verknacksen, Vertreten oder Verrenken – in Gregors Fuß eingenistet, knapp über dem Knöchel. Durch nichts – kein Schütteln, Massieren, Ändern der Gangart – ließ der sich wieder verscheuchen oder wenigstens lindern. Nur, wenn er stehen blieb – und das auch für mindestens vier, fünf Minuten – dann wurd’s besser.
Lange, sogar sehr lange war er keine solch weite Strecke mehr gelaufen. Die Woche zuvor hatte er seinen alten Spritfresser, einen "VW-Bulli", verkauft und wollte sich mit dem Kauf eines anderen, günstiger zu unterhaltenden Fahrzeugs Zeit lassen – zumal er gerade keinen Job hatte und demzufolge auch nicht zwingend eines brauchte.
Ein Mal noch – einfach weil er’s wissen wollte – war er in die Stadt gelaufen, und tatsächlich – der gleiche Scheiß, derselbe Schmerz. Danach hatte er nurmehr den Bus genommen oder sich fahren lassen und nach Erhalt des nächsten Arbeitsvertrags umgehend einen hübschen kleinen Jahreswagen erstanden.
Das seltsame Fußweh verdrängte er in der Folge ganz un-hypochondrisch und beileibe nicht ineffizient. Jedenfalls machte es sich erstmals wieder bemerkbar, wie er auf einer Straßenbaustelle – für eine läppische Unterschrift – dem Polier einige Hundert Meter hinterherlaufen musste.
Bald ereilte es ihn bereits auf kürzeren Wegen, und – Rennen ging gar nicht mehr. Immer länger wurde zudem der Zeitraum, den der böse Haxen brauchte, um sich wieder zu erholen – bis er’s letztlich nur noch über Nacht tat.
„So ein Mist aber auch“, kommentierte Gregor den Anschlag auf der verschlossenen Türe seines Hausarztes, „immer, wenn man den Arsch mal dringend braucht, dann ....! Verdammte Kacke!“
Zum Glück lag die Praxis seiner Vertretung gerade mal so weit entfernt, dass es sich nicht lohnte, den Wagen zu nehmen, wohl aber reichte für eine frühmorgendliche Erweckung des Grunds der Konsultation.
Äußerlich geduldig verharrte er – für die komplette, aber wenig nachhaltige Lektüre einer uralten "Stern"-Ausgabe – im vollbesetzten Wartezimmer, bis er endlich an der Reihe war.
Nach einer ganzen Reihe von höchst suspekten Turnübungen, die er zu vollführen hatte, und die in einer nahezu perfekten Kerze auf dem papierbezogenen Schragen gipfelte, setzte der altgediente Mediziner eine süffisante Miene auf und referierte adäquat:
„Tja, mein guter Mann, sie dürften’s wohl geschafft haben, .... können nun getrost aufhören mit dem Rauchen! Sie haben ihren Raucherfuß – ganz zweifellos! Schauen sie her!“
Sichtlich stolz auf seine diagnostische Meisterleistung zeigte und erklärte er dem perplexen Patienten die unterschiedliche Färbung und Temperatur der beiden gen Plafond aufragenden Füße.
Für den nächsten Tag schon machte er ihm einen Termin beim Radiologen – selbstverständlich nicht ohne den akademischen Hinweis, dass er den einzig seinen großartigen Beziehungen zu verdanken habe.
Zumindest einmal fühlte sich Gregor jetzt richtig krank – und der gelbe Schein in seiner Hand hatte damit sicherlich am wenigsten zu tun.
Der Radiologe – gut, den hatte er gar nicht zu Gesicht bekommen – aber dessen entlarvende Bildchen bestätigten denn auch die unerfreuliche, so überaus unerquicklich-pseudohumoristisch verabreichte Erstdiagnose des Feld-, Wald- und Wiesendoktors. Jedenfalls saß Gregor eine gute Woche später bereits im Wartezimmer der gefäßchirurgischen Abteilung einer Steinheimer Klinik – und freute sich, wie toll das doch alles flutsche im deutschen Gesundheitssystem – wie zackig-reibungslos und unumständlich da ein heilendes Rädchen ins andere greife.
Aufs Allerfreundlichste, wenngleich hart an der Grenze zur Überheblichkeit, verklickerte ihm ein Doktor Irgendwie, wie die ganze Chose vonstatten gehen solle. Da der Gute eine gewisse Ähnlichkeit mit dem seligen Rudolph Mooshammer hatte, musste das wohl so sein – und Gregor ließ es ihm durchgehen. Auf dessen Frage nach dem Wie-lange kulminierte die Gelehrten-Hybris gar in der puren Schwadronade:
„Eine zweite Unterhose brauchen sie nicht mitzubringen; am Tag drauf sind sie ja wieder zu Hause!“
Vielleicht war es ja eine göttliche Eingebung – wer weiß – aber am ehesten noch die ganz profane Erinnerung daran, was seinem Vater (Nichtraucher übrigens!) ein paar Jahre zuvor, an gleicher Stelle, mit haargenau dem gleichen Leiden widerfahren durfte. Den wollte man nämlich auch eben wieder in die eine mitgebrachte Unterhose steigen lassen und nach Hause schicken, wie man feststellte, dass ihm diese idiotensichere Minioperation zu einer ausgewachsenen Sepsis verholfen hatte. Aber – läppische drei Wochen und nicht einmal zwanzig nachgelieferte Unterhosen später – war er ja wieder zu Hause! – Jedenfalls packte Gregor, er wollt’s ja nicht übertreiben, Klamotten für eine gute Woche in sein Köfferchen.
„So, dann wollen wir mal!“, brachte der junge, bleibeschürzte Mediziner – ein ganz anderer nun – seine morgendlich-gute Laune abermals zum Ausdruck.
Der Zugang zu seiner "Arteria irgendwasia" war bereits zotenreich gelegt – wie auch immer, Gregor hatte nicht hingesehen – und die Assistentin reichte den jungfräulich seiner Verpackung entschlüpften Katheter.
„Wenn sie wollen, können sie ja derweil fernsehen“, flachste Dr. Lustig unbeirrt weiter und zeigte auf den integrierten Monitor, „.... zusehen, mein ich natürlich!“
Schon bald jedoch durchfurchten tiefe Falten das Chefarzt-Antlitz, die eben noch bestenfalls ansatzweise zu erkennen waren. Mit jeder neuen Injektion des gewisslich nicht allzu gesunden Kontrastmittels wurden es mehr.
Gregor sah einzig, wie das auf dem Bildschirm noch dünner erscheinende Drähtchen – nach wenigen Zentimetern, lange nicht am Ziel der blutigen Reise – immer an der gleichen Stelle stoppte, wieder Anlauf nahm und wieder stoppte und .... und .... und .....
„Bring mir einen neuen!“, kam es nach einer Weile verhältnismäßig humorlos, und der