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Anzahl der über 80-jährigen in Deutschland wird c.p. von heute knapp 6 Mio. (eigene Berechnung) auf 9 Mio. im Jahr 2050 ansteigen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht von einer notwendigen Verdreifachung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung bis 2030 aus.[36] Alles ceteris paribus natürlich!

      In den Pflegeheim Rating Reporten, die das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, die Philips GmbH und das Institute for Healthcare Business erstellen, wurde u.a. im Jahre 2014 geschätzt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,6 Millionen im Jahre 2015 bis zum Jahre 2030 auf 3,5 Millionen Menschen steigen wird. Im Bericht für 2019 wurden für 2030 bereits 4,4 Mio. Pflegebedürftigen geschätzt.[37]

      In den folgenden 15–20 Jahren müssten damit ca. 100 Mrd. Euro in den Ausbau der stationären Pflege investiert werden, damit genügend Heimplätze für die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen vorhanden sein werden. In der stationären Pflege müssten schließlich bis zu 475.000 Pflegefachstellen hinzukommen.[38] Die „Pflegeindustrie“ wird also wachsen, mit Auswirkungen hin zu Essensversorgern, Wäschereien und – Stichwort Windeln – Müllentsorgern.

      Auf die Schwierigkeiten, in den Sozialwissenschaften gesellschaftlich konsensfähige und dabei operationalisierbare Definitionen zu fixieren, wurde bereits mehrfach hingewiesen. Wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer Satzung Gesundheit als einen „Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“1 definiert, ist jedem Mediziner wie Laien klar, dass es praktisch zu keinem Zeitpunkt gesunde Menschen im Sinne dieser Definition gab bzw. zukünftig geben kann. Es wird ein Idealzustand beschrieben, dem man sich anzunähern versuchen kann. Auch wenn die WHO bei Ihrer Gründung im Jahre 1946 bereits „Gesundheit für alle“ postuliert hat, gibt es in der Praxis, und das bedeutet sowohl zwischen verschiedenen Staaten als auch innerhalb von Staaten, große Unterschiede bei der Verwirklichung des „Menschenrechts“ Gesundheit. Dies ist im Verlauf der Corona-Krise umso deutlicher geworden, als in den reichen Ländern bereits über eine dritte Auffrischungsimpfung gesprochen wurde, während sich eine Erstimpfung für einen Großteil der impfwilligen Bevölkerung armer Staaten noch weit außer Reichweite befand.

      Die folgenden Erörterungen beziehen sich ausschließlich auf Deutschland. Ihr Ziel ist es, Ihnen zu verdeutlichen, dass man mit relativ einfachen Mitteln zu brauchbaren Schätzungen und Deutungen der Entwicklung im Gesundheitsystem und damit in der Gesamtgesellschaft kommen kann. Unter Verwendung mathematischer Hilfsmittel, die spätestens in Klasse 10 bereitgestellt werden, können wir uns mittels einiger weniger Daten, die das Statistische Bundesamt zur Verfügung stellt, rasch sowohl quantitative als auch qualitative Entwicklungen verdeutlichen und diese unter einigen ceteris paribus Bedingungen in die nähere bis mittlere Zukunft extrapolieren. Auch wenn keinesfalls eindeutig ist, was alles unter GesundheitsausgabenGesundheitsausgaben fällt, ergeben die durchweg frei zugänglichen Informationen des Statistischen Bundesamtes2 ein insgesamt klares Bild. Im Folgenden werden wir ausschließlich auf Daten, die vor der Corona-Krise erhoben wurden, zurückgreifen.

      Wenn im Jahre 2021 in Deutschland von einem Ärztenotstand gesprochen wird, ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich, um zu verstehen, dass die deutsche Gesellschaft nicht nur gealtert ist, sondern dass sich unsere Wahrnehmung von Gesundheit, d.h. der Wert von Gesundheit, in den vergangenen ca. 25 Jahren, also nach der deutschen Wiedervereinigung, offensichtlich deutlich verändert hat.

      Warum sind diese Betrachtungen so wichtig? Weil jeder Euro, der für die Gesundheit ausgegeben wird, nicht mehr für andere Zwecke ausgegeben werden kann. Die Opportunitätskosten von Ausgaben im Gesundheitssystem sind u.a. immer (die Abwesenheit von) Ausgaben im Bildungsbereich, der Infrastruktur, die Gewährleistung von innerer und äußerer Sicherheit, usw. Im Grunde ist diese Aussage eine Trivialität, die aber vielfach aus den Augen verloren wird. Man ist also a priori nicht gegen Zugang zu Gesundheit insbesondere ärmerer Menschen, wenn man über das dafür notwendige Geld, das im Gesundheitssystem „umgewälzt“ wird, nachdenkt.

      Bevor wir uns der ökonomischen Theorie widmen, werden wir versuchen, die Entwicklung der Gesundheitsausgaben nach der deutschen Wiedervereinigung hinreichend präzise zu beschreiben.

      3.1.1 Zur Entwicklung der Kosten im deutschen Gesundheitssystem

      Die Gesundheitsausgaben pro Person stiegen – vor der Corona-Krise! – in Deutschland von 2.407 Euro im Jahr 1996 auf 4.944 Euro im Jahr 2019. Die Gesamtausgaben des Gesundheitssystems pro Jahr ist hier die Gesundheitsausgaben pro Person multipliziert mit der jeweiligen Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland. Diese betrug im Jahr 1996 82,01 Mio. Menschen und im Jahr 2019 83,17 Mio. Menschen. Der relative Zuwachs der Bevölkerung Deutschlands betrug in diesen 25 Jahren also nur wenig mehr als 1%.

      Abb. 3.1:

      Entwicklung der Gesundheitsausgaben Deutschlands von 1996 – 2019. (Quelle: Statista[39]).

      Unter Verwendung der allgemeinen Wachstumsformel erhalten wir mit Euro, Euro und T = 23 ein durchschnittliches geometrisches WachstumWachstum pro Jahr in Höhe von g = 0,03179, also etwa 3,2%. Wie bei sorgfältiger Betrachtung aus Abbildung 3.1 ersichtlich wird, sind die Wachstumsraten während des Betrachtungszeitraumes 25 Jahre; d.h. von 1996 - 2021, nicht konstant. So betrug die durchschnittliche Wachstumsrate von 2004 bis 2019 3,64%, die von 2009 bis 2019 4,1% und der letzte jährliche Zuwachs vor Ausbruch der Corona-Krise bereits 4,57%. Mit anderen Worten: Die Wachstumsraten der Ausgaben im deutschen Gesundheitssystem sind in den vergangenen 25 Jahren fast durchgängig gestiegen und alle Anstrengungen vor Ausbruch der Corona-Krise, die Kosten „im Griff zu behalten“, müssen als gescheitert betrachtet werden.

      Welche Gesamtwirkung die Kostensteigerungen der Gesundheitsausgaben gesellschaftlich tatsächlich haben, erschließt sich, wenn der sich ändernde Anteil der Gesundheitsangaben ins Verhältnis zur Gesamtwirtschaftsleistung gesetzt wird.1 Dieser Anteil ist von 1996 bis 2019 von ca. 10% der Jahreswirtschaftsleistung auf ca. 12% gestiegen2, was zunächst einmal recht unwesentlich erscheint. Exponentielle Wachstumsprozesse verfügen indes über Tücken, insbesondere, dass es fast allen Menschen nicht möglich ist, deren Entwicklungen über mittlere oder größere Zeiträume vernünftig zu schätzen.

      Tatsächlich waren die Jahre seit Ausbruch der FinanzkriseFinanzkrise im Jahr 2008 durch eine Kombination von niedrigen Wachstumsraten der Gesamtwirtschaft – im Durchschnitt betrug das WachstumWachstum des deutschen BIPBIPs von 2008 bis 2020 geringfügig mehr als 1% (s. Abb. 3.2) – und steigenden Wachstumsraten der Ausgaben im Gesundheitssektor gekennzeichnet.

      Abb. 3.2:

      Entwicklung des realen BIPs Deutschlands von 2008. (Quelle: Statista[40])

      Es ist unmittelbar ersichtlich, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben am „Gesamtkuchen“ stetig zunimmt, solange die Ausgaben im Gesundheitssystem stärker steigen als das BIP. Wenn wir wissen wollen, wann die Gesundheitsausgaben c.p. einen bestimmten Anteil der Wirtschaftsleistung „besetzen“ werden, genügt zur Beantwortung dieser Frage die oben erwähnte Schulmathematik. Es sei die WachstumWachstumsrate der Ausgaben im Gesundheitswesen und die Wachstumsrate des Bruttoinlandproduktes. Ausgehend von einem Anteil der Gesundheitsausgaben am BIPBIP in Höhe von 12% im Jahr 2019 fragen wir, wann das Gesundheitssystem c.p. einen Anteil x der Jahreswirtschaftsleistung Deutschlands absorbiert. Gefragt wird nach der Anzahl der Jahre T.

      Mit dieser allgemeinen Darstellung

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