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      Roger Schöntag

      Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua

      Eine Untersuchung zur Begriffsgeschichte im Rahmen einer sozio- und varietätenlinguistischen Verortung: Die sprachtheoretische Debatte zur Antike von Leonardo Bruni und Flavio Biondo bis Celso Cittadini (1435–1601)

       Unter Berücksichtigung von Dante Alighieri und der mittelalterlichen Sprachphilosophie

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      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

      DOI: https://doi.org/10.24053/9783823395409

      © 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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      Internet: www.narr.de eMail: [email protected]

      E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

      ISSN 0564-7959

      ISBN 978-3-8233-9540-9 (Print)

      ISBN 978-3-8233-0348-0 (ePub)

      Vorwort

      Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Version der im Juli 2020 eingereichten und im Juli 2021 an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) angenommenen Habilitationsschrift zur Lehrbefähigung für das Fachgebiet Romanische Philologie, die vom Fakultätsrat mit dem Habilitationspreis der Philosphischen Fakultät ausgezeichnet wurde.

      Es sei an dieser Stelle den Mitgliedern des Mentorats sowie den externen Gutachtern für die wertvollen Anregungen und konstruktiven Vorschläge zur Präzisierung von so manchem Einzelaspekt gedankt. Für einige kritische inhaltliche Anmerkungen und vor allem die vielen Etappen des mühevollen Lektorats gilt ganz besonderer Dank Dr. Patricia Czezior.

      Erlangen im September 2021

      1 Einleitung: Thematische Abgrenzung und Untersuchungsziel

      1.1 Thematik

      Das im Titel angezeigte Thema vorliegender Arbeit, nämlich die Untersuchung des Verständnisses von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit, ist dahingehend zu präzisieren, daß bei einer Analyse mit dem Fokus ‚Vulgärlatein‘ insofern immer auch die gesamte Sprache Latein in die Betrachtung miteinbezogen werden muß, als Vulgärlatein aus aktueller linguistischer Perspektive ganz prinzipiell einen Teilaspekt der lateinischen Sprache darstellt. Das bis heute bestehende Problem einer einheitlichen Definition von ‚Vulgärlatein‘ gilt erst recht für die hier untersuchte Epoche sprachtheoretischer Reflexion, in der das Konzept dessen, was man ab dem 19. Jh. in der Sprachwissenschaft unter ‚Vulgärlatein‘ versteht (cf. Kap. 5), erst nach und nach an Kontur gewinnt, es also um die Vorgeschichte dieses Konzeptes und linguistischen Begriffes geht. Für diese Zwecke wird ein Begriff von Vulgärlatein zugrundegelegt, der unabhängig von den heutigen zahlreichen Einzeldefinitionen einen Minimalkonsens beinhaltet, und zwar im Sinne einer weitgehend zu rekonstruierenden Basis bzw. Ursprache der romanischen Sprachen, die im Gegensatz zum klassischen Latein auf der gesprochenen Sprache Roms bzw. des römischen Reiches (Westteil) beruht und die in einzelnen schriftlichen Texten zutage tritt (cf. Quellen des Vulgärlateins).

      Gegenstand der Untersuchung bilden ausgewählte Texte (v. infra) verschiedener Autoren zur Sprachreflexion im Italien der Frühen Neuzeit. Diese Schriften, die je nach Präferenz des Verfassers auf Italienisch oder Latein abgefaßt wurden, dienen als Basis, um die einzelnen Vorstellungen jener Autoren von dem in der Antike gesprochenen (und geschriebenen) Latein zu rekonstruieren. Im Weiteren soll dann, anhand dieser unterschiedlichen Auffassungen, die Entwicklung bzw. der Wandel des Verständnisses des antiken Lateins und seines Varietätenraumes nachgezeichnet werden. Es handelt sich demnach um den Versuch einer Rekonstruktion eines metasprachlichen Diskurses. Ein wichtiger Aspekt dabei ist ebenfalls der im Untertitel der Arbeit angesprochene begriffsgeschichtliche Teil der Untersuchung, denn im Zuge der Aufarbeitung der eben erläuterten frühneuzeitlichen Diskussion ist es auch möglich und zugleich notwendig, die Entstehung des Begriffes und Konzeptes ‚Vulgärlatein‘ zu skizzieren. Dabei wird auch der antike Ursprung (cf. sermo vulgaris) mitberücksichtigt. Nichtsdestoweniger liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Nachzeichnung der angesprochenen humanistischen Debatte, in deren einzelnen Positionen sich diejenigen Vorstellungen zur Sprachkonstellation der Antike, d.h. vor allem bezüglich des schriftlichen Lateins und seiner mündlichen Varietät(en), abzeichnen, die letztlich Vorboten einer späteren sprachwissenschaftlichen Differenzierung von Latein und Vulgärlatein darstellen.

      Den Rahmen für die vorliegende Untersuchung bildet die sogenannte questione della lingua, die Sprachenfrage in Italien, eine Diskussion um die adäquate Literatursprache (d.h. um einen schriftlichen Standard) des Italienischen, die von zahlreichen Gelehrten mit unterschiedlichen Positionen über mehrere Jahrhunderte hinweg intensiv geführt wurde (cf. Kap. 6.1).

      Den Höhepunkt dieser intellektuellen Auseinandersetzung kann man im Wesentlichen im 16. Jahrhundert ansetzen, doch reichen einerseits ihre Wurzeln weiter zurück, nämlich in letzter Konsequenz zum Beginn einer umfassenderen literarischen Produktion auf Italienisch (cf. Tre corone) und damit zum potentiellen Konflikt mit der bis dahin dominierenden Schriftsprache Italiens und ganz Europas,1 dem Lateinischen. Ihren Abschluß findet die questione bekanntlich erst im 19. Jahrhundert, als sich schließlich, nicht nur auf der Ebene der theoretischen Diskussion, das in seinen Grundzügen bis heute gültige Modell durchsetzt, sondern mit der Schaffung des italienischen Nationalstaates auch die Voraussetzungen zu einer praktischen Umsetzung gegeben sind, wobei die Herausbildung und schließlich eine weitgehend flächendeckende Verbreitung eines Standarditalienischen im Bereich der mündlichen Kommunikation bis weit ins 20. Jahrhundert dauerte.

      Die Sprachenfrage in Italien hat im Laufe der jahrhundertelangen Diskussion zahlreiche Facetten gezeitigt,2 wobei man zwei Kernfragestellungen ausmachen kann: Zum einen gab es zunächst den Konflikt unter den Zeitgenossen, ob es prinzipiell überhaupt möglich ist, im volgare, also der Volkssprache, literarische Werke hervorzubringen, die den gleichen sprachlich-stilistischen, intellektuellen und künstlerischen Stellenwert und Anspruch haben konnten wie die auf Latein abgefaßten. Zum anderen stellte sich gerade in Italien daran anschließend die Frage, welche Varietät des Italienischen man gebrauchen sollte, wenn man denn das Italienische dem Lateinischen als Schriftsprache vorzog.3 Im politisch zersplitterten Italien standen sich einerseits verschiedene diatopische Varietäten und deren scriptae gegenüber, die an verschiedene Machtzentren gekoppelt waren, andererseits gab es mit dem Werk der Tre corone ein übermächtiges literarisches Vorbild, welches in sich wiederum sehr vielfältig war und im 15./16. Jh. bereits archaisch anmutete. Nachdem nach und nach das Italienische als adäquate Sprache für einige literarische Gattungen weitgehend akzeptiert worden war, konzentrierte sich die Diskussion der weiteren Jahrhunderte auf die Frage nach der diatopischen

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