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      Urs Schaub, geboren 1951, arbeitete lange als Schauspielregisseur und war Schauspieldirektor in Darmstadt und Bern. Als Dozent arbeitete er an Theaterhochschulen in Zürich, Berlin und Salzburg. 2003–2008 leitete er das Theater- und Musikhaus Kaserne in Basel, 2006–2010 war er Kritiker im «Literaturclub» des Schweizer Fernsehens. Im Limmat Verlag ist «Der Salamander» lieferbar, der vierte Kriminalroman mit dem charismatischen Ermittler Simon Tanner, sowie als E-Books alle vier Tanner-Krimis. Urs Schaub lebt in Basel.

      Sebastian Schaub, geboren 1983, ist in Zürich und New York aufgewachsen. Nach einem Kunststudium an der Cooper Union in New York und dem Master an der Zürcher Hochschule der Künste arbeitet er als freier Künstler. Ausstellungen in New York, Zürich, Paris und Berlin. 2011 erhielt er einen Werkbeitrag des Kantons Zürich. Sebastian Schaub lebt in Zürich.

      Als Kind verbrachte Urs Schaub sämtliche Schulferien bei Verwandten auf einem Bauernhof. Die eigene Familie lebte bescheiden in einem farblosen Quartier der Stadt, dem Vater verging als Hilfsarbeiter der chemischen Industrie allmählich sein einst so ansteckendes Lachen. Auf dem Hof gab es ein barockes, kleines Universum an farbigen Gestalten, eine schöne und eine sanfte Tante, einen Grossvater, der Geschichten wusste, einen kräftigen Knecht «Müsli», an dessen richtigen Namen sich niemand mehr erinnern konnte und der Heiratsinserate aufgab, oder Lina aus dem Dorf, die alles sammelte und die alte Tante besuchte, um mit ihr in der Küche zu schweigen. Und nicht zuletzt gab es die schöne Cousine mit den schwarzen Zöpfen, die aber leider für die Stadt schwärmte … Angelehnt an diese Erfahrungen erzählt Urs Schaub wunderbare Geschichten von kindlichem Glück und kindlicher Lebensschule fern dem eigenen, kleinbürgerlichen Zuhause.

      Da E-Book enthält als Bonus die Zusatzgeschichte «Vater schwimmt in der Birs»

      Urs Schaub

       Das Lachen meines Vaters

      Geschichten aus der Kindheit

      Mit Illustrationen von Sebastian Schaub

       Inhalt

       Das Lachen meines Vaters

       Die Frau am Fenster

       Die Ankunft

       Die Ketten

       Die süsse Fracht

       Die Fratze

       Der Schrecken

       Das Ei

       Die Gotteszahl

       Die Warnung

       Die Sammlerin

       Der Preis

       Vater schwimmt in der Birs

       Nachbemerkung

       Das Lachen meines Vaters

      Fürs erste, was ich tat, als ich auf die Welt kam, war ich zwar nicht verantwortlich, aber ich tat es gründlich: Ich enttäuschte meinen Vater.

      Sein Herzenswunsch war eine Tochter. Sogar wie sie heissen sollte, war längst ausgemacht. Warum sich allerdings ausgerechnet jener Name in seiner Seele eingenistet hatte, war aus ihm nie herauszubringen gewesen. Hatte er ein Pin-up der nationalen Schönheit gesehen, deren internationale Filmkarriere kurz nach meiner Geburt begann? Wie auch immer: Aus traditionellen Gründen war ebenso klar, dass zwei Kinder genügen mussten, es also auch in Zukunft für den geliebten Namen keine Verwendung mehr geben würde. Basta und aus. Kurzerhand wurde der Name um seinen weiblichen Teil amputiert, und die übrig gebliebenen drei Buchstaben wurden zu meinem Namen. Ein hierzulande sehr verbreiteter Name, der im Ausland – zumindest in zwei von vier Himmelsrichtungen – nicht besonders gut auszusprechen war. Mir hätten die drei abgeschnittenen Buchstaben besser gefallen. Vor allem in meiner Indianerphase wären mir diese mythisch klingenden drei Buchstaben unbedingt willkommen gewesen.

      Trotz der Enttäuschung war Hans zu diesem Zeitpunkt das Lachen noch nicht vergangen. Das kam erst viel später. Er hatte ein ansteckendes Lachen.

      Das Lachen hätte ihm schon bei seiner Geburt vergehen können. Geboren in einem der letzten proletarischen Winkel der Stadt, genauer: In einer miesen Mansardenwohnung eines miesen Mietshauses inmitten eines miesen Quartiers, die Luft verpestet von der Chemie, die Hauswände schrundig grau zerfressen von all den Schadstoffen, ausgespien aus den kleinen und grossen Kaminen, die den Horizont jenes Stadtteils verstellten. Sein Vater war ein Nichtsnutz, der seinen kargen Bauschreinerlohn Monat für Monat schon in der ersten Woche nach dem Zahltag versoffen hatte und die restlichen drei Wochen unerträglich für die Welt wurde; weshalb die Mutter Tag für Tag am Morgen um vier Uhr mit einem schweren Ungetüm von Handwagen Zeitungen austragen musste, um von diesem noch kärglicheren Lohn die Familie ernähren zu können. Denn der Vater, dieser harte Knochen, dem schon der Ansatz zu einer versuchten Zärtlichkeit zu einer Grobheit geriet, wollte jeden Abend sein Fleisch auf dem Teller. Für den Rest der Familie reichte es zu einer Tasse heissen Kakaos mit eingetunkten Brotrinden.

      Nach den obligatorischen Schuljahren durfte Hans keinen Beruf erlernen. Er hätte für sein Leben gern einen technischen Beruf erlernt. Am liebsten Elektriker. Oder Feinmechaniker. Aber nichts da. Er musste in die Chemische. Dort begann seine Fabrikkarriere, die weit über vierzig Jahre dauern sollte. Hans wurde Reagenzgläserwäscher. Er reinigte neben dem klassischen Reagenzglas natürlich noch andere Glasbehälter, von denen es in den chemischen Laboratorien nur so wimmelt: Bechergläser, Dosierzylinder, Erlenmeyerkolben, Gasbüretten, Gaswaschflaschen, Kjeldahl-Kolben, Mehrhalskolben, Messkolben, Messzylinder, Mischzylinder, Petrischale, Retorte, Rundkolben, Rückflusskühler, Saugflasche, Scheidetrichter, Schlenkgefässe, Spitzkolben, Standzylinder, Standkolben, Tropftrichter und so weiter.

      Nachdem er sich jahrelang durch Berge von Glas gewaschen hatte, durfte er nachts arbeiten und die laufenden Versuche der Chemiker – die seine Götter in Weiss waren – überwachen und nach akribischen Anweisungen der Herren Temperaturen verändern, Rührwerke ab- und einschalten oder die laufenden Versuche nach vorgegebenem Zeitplan stoppen. Hans liebte diese Arbeit. Sie war verantwortungsvoll und machte ihn in gewisser Weise selbständig. Allein auf weiter Flur, ging er zu nachtschlafender Zeit zuverlässig wie ein kleines Präzisionswerk von einem Labor zum anderen, drehte an Schaltern, verschob Regler, prüfte Gasflammen, notierte Temperaturen und hatte das Gefühl, am grossen Plan beteiligt zu sein. Sogar der Lohn wurde stetig etwas besser. Er konnte sich mit seiner Familie Ferien leisten, und am Sonntag gab es ganz neumodisch Poulet mit Pommes frites. Nur das Schlafen am Tage war nicht ganz so einfach – wehe, wenn die Kinder zu laut waren und ihn aus dem wohlverdienten Schlaf weckten.

      So begann die schlechte Laune zu seiner zweiten Natur zu werden. Die Familie lernte das Leisetreten und das Ducken. Leise, leise, der Tyrann schläft.

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