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gespickt war. Diese Tatsache wirft Fragen auf, denn eigentlich obliegt der Staatsgewalt der Schutz von Medienschaffenden. Der wird offensichtlich in einem in Deutschland noch nie da gewesenen Ausmaß vernachlässigt, während zugleich Teile der Exekutive zumindest indirekt an der Einschüchterung von Journalisten teilhaben.

      Für »Reporter ohne Grenzen« schlugen zudem noch das BND-Gesetz zur anlasslosen Auslandsüberwachung des Internetverkehrs, undurchsichtige Regeln beim Auskunftsanspruch für die Presse im Lobbyregister und der Verlust an Vielfalt in der Medienlandschaft negativ zu Buche. Alles zusammengenommen, ergab sich eine Rückstufung in der Rangliste der Pressefreiheit von 11 im Vorjahr auf 13. Zwei Plätze, die zugleich auch eine entscheidende Qualitätseinbuße markieren. Denn damit wechselt Deutschland auf der Weltkarte der Pressefreiheit die Farbe. Es verabschiedet sich aus der mit Weiß markierten Spitzengruppe, in der die Bedingungen für freie Berichterstattung gut sind, und erhält mit der Farbe Gelb nur noch ein Zufriedenstellend. So wie Papua-Neuguinea, Rumänien, Litauen und Surinam. Inwiefern sich die obskuren Aktivitäten des deutschen Gesundheitsministers im Jahr 2021 im Ranking niederschlagen werden, bleibt bis zur nächsten Auswertung abzuwarten. Jens Spahn hatte beim Berliner Grundbuchamt die Namen der Journalisten in Erfahrung zu bringen versucht, die über seine Immobiliengeschäfte recherchierten. Erstaunlicherweise erfolgreich. Zudem versuchte er, per Gerichtsbeschluss die öffentliche Nennung der Summe von 4,125 Millionen Euro zu verbieten, für die er mit bedenklichem Gespür für den Kairos inmitten der Corona-Pandemie eine Luxusvilla für sich und seinen Mann erstanden hatte. Wäre ihm auch das geglückt, hätte Deutschland vielleicht sogar noch die gelbe Einfärbung auf der Pressefreiheitsweltkarte aufs Spiel gesetzt.

      Auch die in Deutschland immer wieder aufflammenden Debatten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden von »Reporter ohne Grenzen« kritisiert. Hier geht es um die Querelen angesichts der ersten Erhöhung des Rundfunkbeitrags seit 2009. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs hatte im Einklang mit dem Staatsvertrag zur Rundfunkfinanzierung eine Anhebung der GEZ-Gebühren um 86 Cent auf 18,35 Euro pro Monat empfohlen. Angemerkt sei, dass der Begriff Rundfunk ebenso die Fernsehanstalten umfasst, die naturgemäß die meisten Mittel verschlingen. Der Deutschlandfunk beispielsweise gestaltet seine drei Programme für gerade einmal 50 Cent pro Einzahler im Monat. Um die Erhöhung beschließen zu können, brauchte es die Zustimmung aller Bundesländer, die sie auch gaben – mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt, wo sich eine verhängnisvolle Mehrheit aus CDU und AfD für die Ablehnung fand. Ministerpräsident Reiner Haseloff verhinderte die Mesalliance schließlich, indem er die Abstimmung aussetzte. Damit aber war die in den Sendeanstalten längst eingepreiste, weit unter Inflationsniveau liegende Erhöhung passé. Als Grund für die Blockade nannte die CDU stockende Reformbemühungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die geringe Beachtung, die Sachsen-Anhalt in der Berichterstattung finde. Die AfD wurde grundsätzlicher und sprach in der Begründung ihrer Verweigerung von mit Zwangsgebühren finanzierten Staatsmedien, die Fake News im Auftrag der Regierung verbreiteten.

      Noch rauer ist der Ton gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten in den sogenannten sozialen Medien. Unter Hashtags wie »GEZ«, »Staatsfunk« oder »ÖR« werden ARD und ZDF als »linksradikale«, »totalitär denkende«, »ökosozialistische« und »kulturmarxistische« »GEZ-Zwangsbezahlsender« bezeichnet, die das Land im Geiste einer linksliberalen Elite des »Bionaden-Bonzen-Milieus« und »heuchlerischer Soja-Teutonen« mit «Gender- und Political-Correctness-Diktaten« »terrorisiere« und basisdemokratische Initiativen wie Volksbegehren zur Auflösung von Landtagen verleumde, während sie verfassungskonform gewählte Parteien wie die AfD totschwiegen. Dagegen werden auf den einschlägigen Kanälen der sozialen Medien GEZ-Verweigerer, die wegen Zahlungsverzug im Gefängnis sitzen, zu Märtyrern stilisiert. Als das Bundesverfassungsgericht im August 2021 die Blockade von Sachsen-Anhalt gegen die Erhöhung der Rundfunkgebühren für verfassungswidrig erklärte, kochte die Wut auf den Plattformen noch einmal hoch.

      In den Foren scheint Einigkeit zu herrschen über die Art der Berichterstattung: staatsnah, tendenziös, elitehörig und ausgrenzend. Die Schlussfolgerung lautet in routinierter Verdrehung der Begriffsbedeutung, die öffentlich-rechtlichen Medien seien autoritär und antidemokratisch. Dieses Urteil ergeht zugleich auch über die Mehrheit der Printmedien, die mit journalistischer Professionalität durch Recherche und Quellenprüfung gehärtete Information publizieren. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich in allen westlichen Demokratien ab. Ein Narrativ bildet sich heraus, das die Ergebnisse des kritischen Journalismus weltweit als Mainstreammedien diskreditiert, die Meinungen und Gefühle im Lande steuern und die Menschen zu willfährigen Objekten der Mächtigen machen. Diese Mächtigen sind je nach ideologischer Ausrichtung und geposteter Story mal Big Pharma und Big Tech, mal die Finanzindustrie oder die Klimaforschung, mal der Staat und die Ökolobby – oder gern auch alle und alles zusammen.

      1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch im Allgemeinen nur das männliche grammatische Geschlecht verwendet. Es sind aber immer alle anderen Geschlechter mitgemeint.

       1Typografische und algorithmische Vernunft

      Worin gründet der Verlust an Vertrauen in die ehemals vierte Gewalt im Staate? In einer demokratischen Gesellschaft soll die Presse eigentlich die drei Säulen des Staatswesens – Legislative, Exekutive und Judikative – kritisch beleuchten und hinterfragen. Sie hat Informations-, Transparenz-, Kontroll- und Initiativfunktionen. Sicher wurden in Teilen der Medien diese Aufgaben in den letzten Jahren immer mehr vernachlässigt. Ressorts wie Reise- oder auch Unternehmensjournalismus erweisen sich als korrupt, weil sie sich zunehmend als verlängerter Arm der Public-Relations-Abteilungen verstehen. Am ehesten nehmen noch der Politik- und Kulturjournalismus ihre angestammte Funktion ernst. Doch auch das sehen Demonstranten, die mit dem Kampfslogan »Lügenpresse« grölend durch die Straßen ziehen, anders. Diese Menschen unterschiedlichster weltanschaulicher Couleur eint ihre Fundamentalopposition gegen alles, auf das sie keinen direkten Einfluss nehmen können.

      Um den Prozess zu verstehen, der zur Erosion der Deutungshoheit öffentlicher Medien führte, lohnt es sich, auf der Zeitachse zurückzugehen. Und zwar zunächst bis zur Gründung von Amazon. Wenn es Zufälle gäbe, wäre es vielleicht einer, so aber – und vor allem aus heutiger Sicht – fiel die Business-Entscheidung des Investmentbankers Jeff Bezos geradezu zwangsläufig. 1995 erkor er Bücher zu dem Produkt, mit dem er seinen disruptiven Angriff auf den herkömmlichen Handel startete. Er eröffnete einen Buchladen, in dem nicht eine durch den Besitzer und die Verlagsvertreter ausgewählte kleine Anzahl von Exemplaren präsent war, sondern einfach alle Titel, die es auf dem Markt gab. Jedes Buch war nur einen einzigen Klick weit entfernt. Kaum hatte diese Idee genügend Käufer angezogen, beherzigte Amazon das Diktum der Billigketten, nach dem der Gewinn beim Einkauf gemacht wird, um mit dem Verkaufspreis die Konkurrenz zu ruinieren. Mit zunehmender Marktmacht wurden den Verlagen immer dreistere Konditionen abgenötigt. Zu fragwürdiger Berühmtheit kam dabei das Gazellenprojekt, für das Bezos seine Mitarbeiter anwies, kleine Verlage zu jagen wie ein Gepard eine kranke Gazelle. Drohungen, die Auslieferung bestimmter Titel zu verzögern oder sogar den Online-Handel mit dem gesamten Programm auszusetzen, wurden hier erfolgreich erprobt, da solche Verlage naturgemäß größere Schwierigkeiten haben, ihre Werke in den Buchhandlungen zu platzieren. Mit dem Rückenwind dieser Erfahrungen erpresste Amazon dann auch die großen Häuser. Zudem sparte das rasch wachsende Unternehmen an Lohn und Mindeststandards bei den eigenen Beschäftigten und übte Druck auf die Versanddienstleister aus. Mit denkwürdiger Besessenheit entwickelte eine Taskforce Steuerfluchtmodelle, die in einer Pro-forma-Übersiedlung des Unternehmenssitzes nach Luxemburg mündeten, wodurch laut vorsichtigen Schätzungen jährlich anderthalb Milliarden Dollar am Fiskus vorbeimanövriert wurden.

      Im Zuge der noch effektiveren Ausbeutung der Ware Buch waren Amazon natürlich auch die Urheberrechte ein Dorn im Auge. Vor allem die in mehreren europäischen Staaten geltende Buchpreisbindung verhindert derzeit noch, dass Amazon in diesen Fragen nach Gutdünken verfährt und gedruckte Texte mit Küchenrollen und Einwegflaschen auf eine Stufe stellt. Am liebsten würde das Unternehmen Bücher zur Ramschware deklarieren, an der niemand mehr verdient – außer natürlich Amazon selbst. In den USA bekamen

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