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Ayahuasca und Tabak. Jeremy Narby
Читать онлайн.Название Ayahuasca und Tabak
Год выпуска 0
isbn 9783037884928
Автор произведения Jeremy Narby
Жанр Социология
Издательство Bookwire
Nicotiana-rustica-Blütenknospe
»Und arbeitest du mit Tabak?«, fragte ich.
»Ja, ich rauche.«
»Wenn du also die Seele dieser Pflanze siehst, wie sieht sie aus?«
»Schau, diese beiden Tabaksorten, von denen ich dir erzählt habe – wenn du sie zubereitest, indem du eine gewisse Menge an Zutaten anderer Kraftpflanzen des Waldes hinzufügst, wird der Tabak machtvoll, und er lehrt dich Medizin, oder er lehrt dich Zauberei. Und zu seiner Seele – ich habe sie gesehen, sie ist gigantisch und männlich, ein großer brauner Mann in der Farbe des Tabaks. Das ist die Seele des Tabaks, die dich lehrt.«
»Und wenn du diesen großen braunen Mann siehst, macht dir diese Wesenheit Angst? Oder ist sie angenehm oder verzaubert sie dich? Wie ist die Persönlichkeit des Tabaks?«
»Als Wesen vermittelt er kein Gefühl der Angst, man kann in seiner Gegenwart sein. Er macht nur Angst, weil er Bosheit lehrt, das ist seine Ausrichtung, das ist die Ausrichtung des präparierten Tabaks.«
Dann erklärte er, wie man »präparierten Tabak« herstellt. Zunächst muss man die junge Tabakpflanze vor der grünen Raupe schützen, die sie als Nahrung aussucht.
»Ist das die gleiche Raupe wie die Mutter der Pflanze?«, fragte ich.
»Ja, und wenn man sie lässt und sich nicht um seine Pflanze kümmert, frisst die Raupe alles auf. Das ist eine echte Schande, aber der Tabak ist die Nahrung der Raupe.«
Sobald die gesunden Tabakblätter gelb werden, erläuterte er, erntet und trocknet man sie. Das sei die einfachste Form des mapacho. Aber um »präparierten Tabak« herzustellen, musste man zuerst eine Paste herstellen, indem man die Hauptadern der getrockneten Blätter mit verschiedenen Pflanzen aufkochte, darunter Ingwer, Zimt, Vanille, die Riesenliane clavo huasca und die aromatische Liane sacha camote. Man kochte diese Mischung zu einer Paste ein, ließ sie abkühlen und strich sie auf die getrockneten mapacho-Blätter, die man zusammenrollte und erneut trocknete.
»Und das ist der präparierte Tabak, der dich Zauberei lehrt. Früher hat mein Volk ihn so zubereitet – jetzt machen sie es immer seltener – sie haben ihn haltbar gemacht und dann geraucht; sie haben sich dem ganz hingegeben und es so praktiziert. Zu deiner Frage von vorhin, wer diese Person ist – nun, sie macht dir keine Angst, aber letztendlich will sie dich Bosheit lehren. Mit anderen Worten, in der geistigen Welt, im Wald, im Wasser gibt es mächtige Geister, die dir Schaden zufügen können; und das will dich dieser Tabak lehren.«
»Warum will er das deiner Meinung nach lehren?«
»Sagen wir, für die Geister der Pflanzen ist es eine Tätigkeit – genauso wie Medizin eine Tätigkeit ist, es ist befriedigend, zu pflegen und zu heilen. Für sie ist es dasselbe: Die Bosheit ist eine Tätigkeit, die sie zu ihrer eigenen Befriedigung ausüben. Aber für die Menschen ist das schmerzhaft, schädlich und schwierig. Die Macht dieser Pflanzen kann dem Menschen Schaden zufügen. Es ist ihre Bestimmung, uns beizubringen, wie man nach ihren Regeln vorgeht, um Schaden anzurichten. Den menschlichen Körper auf eine Weise zu verletzen, die den Tod bewirkt, ist für sie eine Tätigkeit. Und umgekehrt ist Medizin auch eine Tätigkeit, die wir entwickeln, um zu heilen, Leben zu geben und Leben zu verlängern. Und der Tabak selbst verlängert tatsächlich das Leben, weil er heilt. Einfacher mapacho-Tabak, wie er auf dem Markt in Belen verkauft wird, kann als Medizin verwendet werden, und man kann ihn einfach so rauchen.«
»Wenn Tabak Medizin ist, welche Krankheiten heilt er?«, fragte ich.
»Tabak nimmt die Schläfrigkeit, und er heilt Unfähigkeit und Faulheit bei Menschen und bei Hunden. Hier in der Gegend sprechen wir von Menschen, die ›es sich leicht machen‹ – Menschen, die sich nicht darum bemühen, die notwendigen Fähigkeiten zur Herstellung der Nahrung zu erlernen, die sie essen, um am Leben zu bleiben. Das kann Tabak heilen. Er kann auch Menschen heilen, die aus reiner Faulheit nicht wissen, wie man Dinge tut. Allgemeiner gesagt, dient er dazu, Kraft, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu übertragen, aber es sind icaros (Heilgesänge) nötig, damit die Lehren wirken können. Tabak hilft auch, Schlangen- und Ameisenbisse zu heilen. Er stärkt auch die männlichen und weiblichen Hormone. Und wenn er mit anderen krebsheilenden Pflanzen kombiniert wird, potenziert er diese.«
Konsumfertige Tabakblätter
»Warum gibt es dann bei Zigarettenrauchern Krebs?«
»Traditionelle Tabakkonsumenten leiden nicht an Lungenkrebs oder Mundkrebs. Aber Konsumenten ›edler‹ Zigaretten bekommen Krebs, weil sie im Übermaß und ohne Richtlinien konsumieren. Im Leben sind alle Dinge schädlich, die im Übermaß konsumiert werden. Rauch ist für den menschlichen Verzehr nicht geeignet. In kleinen Dosierungen ist Tabak heilsam, aber im Übermaß zerstört er die Zellen und verschlechtert den Organismus.«
Wir saßen einen Moment lang schweigend da. Rafael Chancharis Worte schienen präzise und schlüssig zu sein.
Bevor ich eine weitere Frage formulieren konnte, kam er auf die Anwendungsmöglichkeiten des Tabaks zurück: »Mit Tabakrauch kann man einen Schrecken heilen. Und er dient dazu, Schlangen abzuschrecken und sie auf Abstand zu halten. Er hält auch Flussdelfine fern. Das Gleiche macht er auch mit bösen Geistern bei Ayahuasca-Sitzungen. Für all diese Dinge kann man Tabak verwenden, ebenso für die Heilung von Menschen, die nicht mehr wissen, wie man jagt und fischt. Tabak erlaubt es ihnen, sich mit sacharuna (›Waldwesen‹ oder ›Waldvolk‹ auf Quechua) auszutauschen. Will man mit ihm in Kontakt treten, weil man möchte, dass er seine Vögel und Tiere zur Verfügung stellt, so legt man eine mapacho-Zigarette auf einen großen Ast eines lupuna-Baums, weil das sein Zuhause ist.«
Mapacho-Tabak
Einigen von Rafael Chancharis Aussagen könnte man sich wissenschaftlich nähern – zum Beispiel, indem man die wissenschaftliche Literatur zu den Auswirkungen des Tabakkonsums auf die Sexualhormone zurate zieht. Andere, wie etwa die Existenz des unsichtbaren Waldwesens sacharuna, sind nicht belegbar, zumindest vorerst. Aber ich wollte nicht, dass dies zu einem Hindernis in unserem Gespräch würde. In einem kulturübergreifenden Dialog wie dem unsrigen bestand die grundlegende Höflichkeit darin, die Sichtweise der anderen Person gelten zu lassen. Wenn Rafael Chanchari sich dabei wohl fühlte, über Nikotin und Neuronen zu sprechen, so sollte auch ich mich dabei wohl fühlen, über die »Mutter des Tabaks« und den Waldmenschen sacharuna zu sprechen.
Die Menschen im westlichen Amazonasgebiet betrachten sacharuna weithin als »Chef des Waldes«. Aber Anthropologen haben festgestellt, dass Diskussionen über diese Wesenheit oft schwer fassbar waren. Wie Peter Gow es ausdrückte: »Es ist nie ganz klar, ob sacharuna ein Geist für den ganzen Wald ist oder viele Geister, von denen jeder ein bestimmtes Gebiet hat«1. Ich fand es faszinierend, dass eine zweideutige und unsichtbare Wesenheit wie sacharuna Tabak schätzen sollte. Doch ich ließ die Sache auf sich beruhen, denn ich hatte einige praktische Fragen, die ich Rafael Chanchari stellen wollte.
Da er sagte, dass viele Menschen auf der Welt Zigaretten rauchen, die eine schwache Form von Tabak enthalten, die sich vom Amazonastabak stark unterscheidet, fragte ich ihn, ob er einen Rat für diese Menschen habe.
»Ja, schau, mein Rat würde allen Menschen gelten. Es ist normal, dass sie einfachen Tabak konsumieren, zusammengerollte Tabakblätter. Sogar den stärkeren Tabak. Den können wir verwenden, aber abends vor dem Schlafengehen, denn er lehrt dich, schöne Dinge zu träumen. Also abends, nach dem Essen, zwei oder drei selbstgedrehte Zigaretten zum Schlafen.