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– bisweilen spirituell überhöhten und vermeintlich einvernehmlichen, bisweilen aber auch gewaltsam erzwungenen – sexuellen Handlungen zu nötigen. AVREF kümmert sich vor allem um die Fälle, über die wohl kaum jemals in irgendeiner Zeitung berichtet werden wird. Die meisten Opfer sind von ihren Erlebnissen so verletzt, verwirrt und nicht selten traumatisiert, dass sie schlicht nicht in der Lage sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn sie es überhaupt fertig bringen, sich jemandem anzuvertrauen. Auch das geschieht oft nur zaghaft und erst viele Jahre nach den Missbrauchserfahrungen.

      Das Resümee des hier gesammelten Befundes kann nur aus zwei sehr deutlich und drängend formulierten Fragen bestehen: Wie kommt es, dass Ordensfrauen in einer so erschreckend hohen Zahl Opfer von sexuellem Missbrauch werden konnten (und vermutlich immer noch werden)? Und: Wie kommt es, dass niemand in der Kirche sich diese Frage ernsthaft zu stellen scheint?

      Dass kirchliche Einrichtungen sich zwar einerseits der Schwere interner Vorfälle offensichtlich bewusst sind, aber andererseits kaum andere Maßnahmen ergreifen als diese möglichst von der Öffentlichkeit fernzuhalten, ist ein Phänomen, mit dem wir schon in den Kindesmissbrauchsfällen traurige Bekanntschaft gemacht haben. Allerdings hat die Kirche sich im Umgang mit Kindesmissbrauch erstmals gezwungen gesehen, sich trotz dieser internen Tendenz öffentlich mit den Taten und der eigenen institutionellen Verantwortung auseinanderzusetzen. Warum sollte eine solche Auseinandersetzung hier nicht auch möglich sein, wo wir Grund zur Annahme haben, dass es in mindestens dreiundzwanzig afrikanischen, asiatischen, europäischen und amerikanischen Ländern zu sexuellem Missbrauch an Ordensfrauen gekommen ist, dass dieser Missbrauch teils Todesfälle, erzwungene Abtreibungen, schwere psychische Erkrankungen und jahrzehntelanges Leid Betroffener nach sich gezogen hat, dass er womöglich um die dreißig Prozent aller Ordensfrauen betrifft und nach wie vor stattfindet?

      Die eigentliche Frage ist aber nicht die nach den Ursachen des Schweigens, sondern die nach den Ursachen des Missbrauchs (wiewohl beide vermutlich eng zusammenhängen): Wie ist es möglich, dass Ordensfrauen in einer so erschreckend hohen Zahl Opfer von sexuellem Missbrauch werden konnten? Welchen Anteil haben Machtverhältnisse zwischen Oberinnen und Schwestern, zwischen Priestern und Schwestern? Welchen Anteil hat eine vielleicht spezifische Dynamik der geistlichen Begleitung zwischen zölibatär lebenden Menschen? Wie offen kann über solche Fälle in den Gemeinschaften gesprochen werden? Finden Opfer in ihren Gemeinschaften eine Atmosphäre vor, in der sie reden können, eine Atmosphäre, in der die Reputation der Gemeinschaft im Zweifelsfall nicht über dem Wohlergehen des einzelnen Mitglieds steht? Wie soll mit Tätern umgegangen werden – auch und gerade dann, wenn es sich vielleicht um angesehene Kleriker und renommierte geistliche Begleiter handelt?

      Nicht zuletzt gilt es, die Frage nach der Stellung von Ordensfrauen im kirchlichen Machtgefüge zu stellen. Ist die Ignoranz gegenüber den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen vielleicht nicht nur eine Reaktion auf den Missbrauch, sondern ebenso eine Ursache für diesen Missbrauch? In der diesjährigen Märzausgabe des Osservatore Romano haben sich mehrere Ordensfrauen zu Wort gemeldet, deren Aussagen eine solche These zumindest stützen würden. Die Ordensfrauen berichten von Ausbeutungserfahrungen. Viele Schwestern würden ohne Arbeitsvertrag und ohne vernünftige Bezahlung als Haushälterinnen oder pastorale Mitarbeiterinnen arbeiten. Schwestern würden Priestern und Bischöfen gewissermaßen zur Verfügung gestellt werden, um für sie zu putzen, die Wäsche zu waschen, ihnen das Essen zu servieren – aber sie würden bisweilen nicht einmal eingeladen, mit dem jeweiligen Würdenträger am selben Tisch zu essen. Eine Schwester wird mit den Worten zitiert: „Die Schwestern werden als Freiwillige betrachtet, über die nach Belieben verfügt werden kann. Das führt zu echtem Machtmissbrauch.“ Dass die Frauen, die in diesem Artikel zitiert werden, sich dazu entschieden haben, anonym zu bleiben, zeugt von einem Klima der Angst in der Kirche, das es von Seiten der Verantwortlichen zu überwinden gilt, indem sie diesen Frauen entgegenkommen. Es ist allerdings ein bemerkenswerter und hoffnungsvoller Schritt, dass sie sich überhaupt zu Wort gemeldet haben.

      Überhaupt gibt es Anlass zur Zuversicht, dass wir uns in einem geschichtlichen Moment befinden, der günstig ist, um endlich über dieses Thema zu sprechen. Wir erleben eine anhaltende Debatte, in der Frauen weltweit über sexuellen Missbrauch sprechen und Gehör finden. Die Zeit der Aussprache hat aber im Grunde schon vor Jahrzehnten begonnen, nämlich in dem Moment, in dem M.O’D., M. und E. erstmals mit Nachdruck auf den sexuellen Missbrauch von Ordensfrauen aufmerksam gemacht haben. Und auch wenn die bekannt gewordenen Fälle lange totgeschwiegen wurden, ist seither nicht nichts passiert: Langsam und nachhaltig hat sich bei bestimmten Menschen in der Kirche ein Bewusstsein dafür etabliert, dass es solche Fälle gibt und dass es notwendig ist, darüber zu sprechen. Als ich im vergangenen Herbst einen Vortrag über geistlichen Missbrauch hielt, bei dem unter anderem geistliche Begleiter und Leiterinnen von Exerzitienhäusern aus verschiedenen deutschen Diözesen anwesend waren, war ich überrascht, wie deutlich sich einige der Anwesenden spontan in Bezug auf dieses Thema – das ja mit dem Vortragsthema nicht unmittelbar in Zusammenhang stand – zu Wort meldeten. Sie versicherten, sexueller Missbrauch wäre ein großes Thema für Ordensfrauen. In der geistlichen Begleitung und in Exerzitien würde das immer wieder angesprochen.

      Wenn Opfer erst einmal eine Stimme gefunden haben, um in einem geschützten Rahmen über das ihnen angetane Leid zu sprechen, haben sie damit schon den ersten Schritt zur Aufarbeitung getan. Die kirchliche Gemeinschaft und die Ordensgemeinschaften sollten ihnen nun entgegenkommen. Wir wissen mittlerweile ja nicht nur, dass die prädominante Sorge um das institutionelle Ansehen, das damit verbundene Schweigen und das Beharren auf „internen Lösungen“ nicht dazu führen, dass Missbrauch wirksam bekämpft werden kann. Wir wissen auch, dass Opfer sexuellen Missbrauchs auch nach Jahrzehnten noch unter den Taten leiden und Hilfe brauchen – und zwar nicht nur Hilfe in Form von Therapien: Opfer brauchen mindestens ebenso existenziell die offizielle Anerkennung des von ihnen erlittenen Unrechts. Sie haben außerdem ein Recht auf die Verantwortungsübernahme durch die in vielen Fällen mitschuldig gewordenen Institutionen und auf die Verfolgung der Täter. Wir wissen aber mittlerweile auch, dass die prädominante Sorge um das institutionelle Ansehen, das damit verbundene Schweigen und das Beharren auf „internen Lösungen“ nicht dazu führen, dass Missbrauch wirksam bekämpft werden kann.

      Auf den erschreckenden, in diesem Buch zusammengetragenen Befund scheint es mir nur eine angemessene Reaktion von kirchlicher Seite zu geben: Die Bedingungen des Missbrauchs zu untersuchen, die Täter zu konfrontieren und zur Rechenschaft zu ziehen und wirksame Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Fälle zu ergreifen. Zuallererst aber gilt es den Opfern die Angst vor dem Sprechen zu nehmen und ihnen Gehör zu schenken. Es ist die Aufgabe der kirchlichen Verantwortlichen, der Religiosenkongregation, der Ordensoberen, der Ortsordinarien, der Bischofsvikare für das geweihte Leben und der Ordensreferentinnen der einzelnen Diözesen, den Opfern von offizieller Seite das zuzurufen was „Schwester C. sich im Osservatore nur unter Pseudonym zu sagen traut: „Ihr habt das Recht zu reden!“

      Verbrecher in Kirchengewändern

      Zu „GOTTES MISSBRAUCHTE DIENERINNEN“, ARTE:

      Endlich öffnet sich der Vorhang. Ein wenig nur, aber er wird nicht mehr zu schließen sein von denen, die das Leugnen und Vertuschen von Verbrechen jahrzehntelang erfolgreich betrieben haben: von den Männern an der Spitze der katholischen Kirche. Denn nun hat auch der Papst zugegeben, was der Vatikan seit Dekaden weiß: dass etliche Mönche und Priester seiner Kirche nicht nur Minderjährige, sondern auch Nonnen erpresst und vergewaltigt haben.

      „Neben der Pädophilie versucht die Kirche ein weiteres Verbrechen zu vertuschen. Weltweit begehen Priester sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen, die ihrer Autorität unterstehen.“ Umstandslos klar formulieren Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault den Einstieg ihres Dokumentarfilms „Gottes missbrauchte Dienerinnen“. Darin zeichnen sie die Leidenswege einiger Opfer nach und enthüllen die globale Dimension kirchlicher Kriminalität.

      Im Zentrum stehen die Berichte von ehemaligen Nonnen aus Frankreich, wo der Priester D. in der von ihm gegründeten Gemeinschaft „Saint Jean“ jahrzehntelang junge Frauen vergewaltigen konnte, ohne dass die Kirchenoberen einschritten, obwohl sie von der perversen Veranlagung des Mannes wussten. Und keiner seiner Brüder im Geiste wurde während der 40 Jahres des Bestehens dieses

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