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kam General McClellan, sah die Wartenden, ging an ihnen vorüber und schickte nach einer weiteren halben Stunde den Butler, um ausrichten zu lassen, dass sich der General zurückgezogen habe und die Besucher ein andermal kommen sollten. Offensichtlich spielte der General Machtspiele. „Hay was incensed. Who has the gall to treat the president of the United States with such disrespect? Lincoln, however, was unruffled. ‚Better at this time‘, he told Seward and Hay, ‚not to be making points of etiquette and personal dignity‘. This wasn’t about him. His pride was not at stake.“3

      Der christliche Politiker weiß, dass es nicht um ihn selbst geht. Natürlich besteht eine der großen Lebensaufgaben darin, uns und unser Leben ernst zu nehmen, ein ernsthaftes Leben zu führen. Aber gleichzeitig und andererseits ist eine große Lebensaufgabe die Herausforderung, uns und unser Leben nicht zu ernst zu nehmen.

      „Freiheit zu Würde“ wird von der Überzeugung genährt, dass alle Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurden; christlicher Politik sollte es keine Mühe machen, von dem Bekenntnis zur Würde des Menschen und dem damit verbundenen Sinn für das Mysterium des Menschen, der nie abschließend analysiert werden kann, auszugehen. Die Anerkennung der Würde ist auch Anerkennung der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen. Paradoxerweise sind wir Menschen nach christlichem Verständnis gleich in unserer Einzigartigkeit. Der Rechtsphilosoph Jeremy Waldron erinnert daran, dass die Geschichte von der Erschaffung des Menschen nach Gottes Ebenbild zu bedeutsam und bedeutungsgebend sei, um sie einer säkularen Gesellschaft zu entziehen.4 Der Gedanke der Gott-Ebenbildlichkeit bringt etwas Einzigartiges, die Botschaft nämlich, dass jeder einzelne Mensch einen besonderen „Rang“ hat: Damit ist eine besondere Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen („welfare rights“) und eine Tradition der Achtung vor dem Leben verbunden. Der jüdische Schöpfungsmythos verdeutlicht die Tiefe und das Gewicht des Menschseins und des Würdebegriffs. Es ist wichtig, diesen Mythos auch in einer säkularen Gesellschaft lebendig zu halten, um das Gespür für das, was auf dem Spiel steht, nicht zu verlieren. Die „Freiheit zur Würde“ drückt aus, dass es für Christinnen und Christen keine Anstrengung sein sollte, alle anderen Menschen als beseelte Wesen mit Würde zu sehen. Das ergibt sich nicht aus Argumenten, sondern aus der Wahrnehmung, aus einer bestimmten Weise, Mensch und Welt zu sehen. Menschenwürde ist eine Lebensform, eine Weise zu leben, eine Weise, die Welt und den Menschen zu sehen.5 Das ist nicht bloß eine romantische Idee – wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über Fälle zu entscheiden hat, kann man gerade bei nicht einstimmigen Urteilen Fragen der Wahrnehmung und Nuancen des „Sehens“ erkennen. Ich will nur als Beispiel den Fall Vinter vs. UK anführen. Vinter wurde nach Kapitalverbrechen und einer unleugbaren kriminellen Geschichte zu einer lebenslänglichen Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer Revision verurteilt. Er hatte also nicht die Hoffnung, je aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Die Grand Chamber des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde mit dem Fall befasst und urteilte mehrheitlich am 9. Juli 2013, dass es eine Verletzung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot von Folter und entwürdigender Behandlung) darstellte, einen Menschen ohne Hoffnung auf Freiheit lebenslang hinter Gitter zu bringen. Richterin Ann Power-Forde kommentierte in einer „concurring opinion“ in einer Sprache, die eine philosophische und nahezu theologische Anthropologie ausdrückte: „The judgment recognises, implicitly, that hope is an important and constitutive aspect of the human person. Those who commit the most abhorrent and egregious of acts and who inflict untold suffering upon others, nevertheless retain their fundamental humanity and carry within themselves the capacity to change. Long and deserved though their prison sentences may be, they retain the right to hope that, someday, they may have atoned for the wrongs which they have committed. They ought not to be deprived entirely of such hope. To deny them the experience of hope would be to deny a fundamental aspect of their humanity and, to do that, would be degrading.“

      Das ist eine Frage des Menschenbildes. Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung. Die Wahrnehmungen von Menschen in Bezug auf Menschenwürde werden genährt und geprägt. Man soll den christlichen Beitrag zu den Intuitionen, die ein Verständnis von Menschenwürde tragen und formen, nicht unterschätzen. Auch der einflussreiche Philosoph Jürgen Habermas hat zugestanden, die Intuitionen, die seine „Theorie kommunikativen Handelns“ anleiten, der jüdisch-christlichen Tradition entnommen zu haben.

      Die Christin erwartet von der Politik keine letzten Antworten, kann aber einen Sinn für das Letzte in die Politik einbringen, gerade mit Blick auf die Würde. Als nach dem 11. September 2001 mehr und mehr Vorschläge eingebracht wurden, Formen von Folter zuzulassen und das absolute Folterverbot aufzuweichen, meldete sich Jeremy Waldron mit einem Aufsatz in einer theologischen (!) Zeitschrift zu Wort. Er erinnert daran, dass gerade Christinnen und Christen darauf vorbereitet sind, absolute Verbote zu verstehen. Sie haben einen Sinn für das Absolute und sie haben einen Sinn für die Achtung vor der Heiligkeit des Lebens. Gerade christlich gesinnte Menschen sollten verstehen, was „absolutes Folterverbot“ bedeutet und sich dafür einsetzen.6 Christen und Christinnen haben ein Verständnis der Unantastbarkeit der Person, der Heiligkeit von Normen und auch der spirituellen Gefahr, die Seele eines Menschen durch Folter zu brechen.7 Waldron – und das ist ein wichtiger Punkt, der uns bereits zum nächsten Aspekt bringt – zitiert auch F. S. Cocks, einen Delegierten des Vereinigten Königreichs bei den Verhandlungen zur Europäischen Menschenrechtskonvention von 1949, der in Bezug auf das absolute Folterverbot den Textierungsvorschlag gemacht hat: „The Consultative Assembly […] believes that it would be better for a society to perish than for it to permit this relic of barbarism to remain.“8

      Damit ist bereits „Freiheit zu Gemeinwohl“ angesprochen, die Freiheit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Das Gemeinwohl ist dabei nicht das Wohl einer Mehrheit oder der meisten, sondern das Wohl einer Gemeinschaft als ganzer. Politik ist aus christlicher Sicht Mittel zum Zweck und nicht Zweck. Nach einem christlichen Verständnis ist auch das gute Gemeinschaftsleben nicht ein Wert in sich, sondern dient dem Zweck, jeden einzelnen Menschen auf das letzte Ziel vorzubereiten. Das bedeutet dann auch, dass nationale Souveränität nicht die oberste Norm ist, wie es das von Waldron zitierte Wort von Cocks anspricht.9 Dazu braucht es eine klare Verwurzelung, die nicht allein in „Werten“ gefasst werden kann, wie es Georges Vanier angesprochen hat. Das Ringen um das Gemeinwohl ist nicht das Ringen darum, dass es „den meisten einigermaßen gut gehe“; es ist kein utilitaristischer Ansatz, der das größte Glück der größten Zahl sucht, sondern die Tiefe der Gemeinschaft und die Lebenstiefe jeder einzelnen Person. Hier ist ein Stachel im Fleisch, der die Freiheit und Verantwortung gibt, nicht die augenscheinlich pragmatischen Antworten als letzte zu sehen. Im Matthäusevangelium finden wir im 14. Kapitel die Erzählung von der Brotvermehrung. Ich zitiere Verse 15 und 16: „Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können. Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!“

      Das ist bemerkenswert, haben die Jünger doch vernünftig gesprochen und einen vernünftigen Vorschlag gemacht. Die Replik „Gebt ihr ihnen zu essen“ ist eine klare Überforderung – und doch „Stachel im Fleisch“.

      Ich will daraus schließen, dass der Christ und die Christin weder erste und letzte Antworten von der Politik erwarten, noch nächstliegende Antworten akzeptieren können. Sie fragen tiefer.

      (2) Ein Christ, eine Christin stellt ernsthafte politische Fragen und ernsthafte Anfragen an die Politik

      Eine Möglichkeit, an die politische Ethik heranzugehen, ist folgender Zugang: Man kann sich angesichts einer politischen Entscheidung oder einer politischen Maßnahme fragen: Auf welche Frage (auf welches Anliegen) antwortet diese Entscheidung oder diese Maßnahme und welchen moralischen Status hat diese Frage?

      Ein Beispiel: Der Innenminister entscheidet, im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen eine Tafel „Ausreisezentrum“ anzubringen. Auf welche Frage antwortet diese Entscheidung und welchen moralischen Status hat diese Frage? Man könnte vorschlagen, dass die der Entscheidung zugrunde liegende Frage lautet: „Wie kann man Menschen dazu bringen, sich nicht willkommen zu fühlen?“

      Der moralische Status

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