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Wissen etwas, wovor man sich fürchten, dem man mit Misstrauen begegnen müsse. Man treibt eine vermeintliche Trennung zwischen Intellektuellen und Volk voran, als seien es unabhängige, gegeneinander kämpfende Kategorien.

      FEin weiterer wichtiger Punkt, den Sie betonen, und dem ich voll und ganz zustimmen kann, ist die biologische Vielfalt, die den Reichtum unserer Erde ausmacht. Biologische Vielfalt sorgt für das ökologische Gleichgewicht, sie ist das Gut, das uns ein Leben auf diesem Planeten ermöglicht. Als ich vor einem Jahr das Foto von dem chinesischen Schiff gesehen habe, das den Nordpol überquert hat, weil es kein Eis mehr gab, das es behindern konnte, ist mir wieder einmal klar geworden, welches Umweltdrama sich abspielt. Oder das berühmte Foto des Eisbären, der einsam auf einer immer kleiner werdenden Eisscholle steht. Diese Dinge vergessen wir bisweilen, nicht wahr? Dabei geschehen sie ganz in unserer Nähe, und es ließen sich noch eine ganze Woche lang weitere Beispiele aufzählen. Die biologische Vielfalt ist ein unschätzbarer Reichtum, doch mit unserem Produktions- und Wirtschaftsmodell zerstören wir sie, als ginge sie uns nichts an, als hätten wir nichts damit zu tun. Man muss sich nur vor Augen führen, dass der Zeitpunkt, an dem wir unsere Jahresressourcen verbraucht haben, jedes Jahr weiter nach vorn rückt. 2020 wird dieses Datum, soweit ich weiß, erstmals in den Monat Juli fallen, und es wird noch weiter vorrücken. Ganz zu schweigen vom Plastik in den Meeren, ein weiteres dramatisches Beispiel für die Vernichtung der Artenvielfalt der Meere.

      CGerade in Bezug auf Plastik fände ich es gut, wenn die Laudato-si’-Gemeinschaften ein Zeichen von globaler Tragweite setzt. Ich denke dabei an die Unterzeichnung einer individuellen Verpflichtung, einer persönlichen Erklärung: »Ich verpflichte mich persönlich, weniger Plastik, insbesondere weniger Einwegprodukte zu verwenden und alle für mich unvermeidbaren Plastikartikel zu recyceln.« Denn eine Welt ganz ohne Plastik ist zwar undenkbar, aber dennoch bleibt es eine Tatsache, dass wir jährlich 300 Millionen Tonnen Plastik produzieren und nur 9 Prozent davon recycelt werden. Plastik ist etwa genauso alt wie ich, jedenfalls habe ich als kleines Kind noch in einer Metallwanne gebadet. Als es Einzug hielt, war es ein Segen, aber damals wurde es für dauerhafte Gebrauchsgüter verwendet. Heute bilden dagegen Einwegprodukte über die Hälfte des Plastiks – denken wir nur an die Trinkhalme, Millionen allein in Italien, sie werden zehn Sekunden lang benutzt, dann landen sie im Müll, können nicht recycelt werden, weil sie nicht als Verpackung gelten. Das Drama ist, Plastik gelangt in die Nahrungskette, und zwar unter anderem über die Kosmetik, die Mikroplastik enthält, das von den Fischen verschluckt wird und anschließend von uns. Es ist eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes. Und sie ist offenkundig aufs Engste mit dem Problem der Biodiversität verknüpft. Bedenken Sie nur, dass die Artenvielfalt auf unserem Planeten laut FAO in den letzten 125 Jahren um 70 Prozent zurückgegangen ist. Das ist eine erschütternde Zahl, und niemand interessiert sich dafür, dass dieser Prozess sich mitnichten verlangsamt. Ich knüpfe daher an Ihre Worte zur Aufrichtigkeit an und behaupte, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist, wenn jeder von uns eine solche Erklärung unterzeichnet und sich zu persönlichem Handeln verpflichtet.

      FIch stimme Ihnen zu. Fassen wir es in die richtigen Worte: Es gilt, den Egoismus zu bekämpfen, die Denkweise, gemäß der ich Mutter Erde ausbeute, weil Mutter Erde groß ist und mir das geben muss, was ich will, Punkt. Es ist eine vollkommen fehlgeleitete Denkweise, die uns unweigerlich in die Katastrophe führen wird.

      CWie fänden Sie es, wenn wir eine solche Absichtserklärung abgäben, eine Erklärung zur persönlichen Verpflichtung?

      FGut, aber es kommt auf die Umsetzung an, auf die Musik, oder? Sie können die Erklärung formulieren, das Libretto schreiben, und alle werden zustimmen, aber es bleiben nur Worte. Das Ganze muss von einer Musik begleitet werden, die mitreißt, die ein Gemeinschafts-, ein Gruppengefühl vermittelt. Es genügt nicht, eine Erklärung vorzulegen, die alle unterzeichnen, denn so besteht die Gefahr, dass sie zu einem Mittel wird, sich das Gewissen reinzuwaschen, ohne anschließend wirkliche Veränderung zu bewirken.

      CNatürlich. Hier kommt wieder der Gedanke der Freude ins Spiel. Verzagt und mit schwerem Herzen überzeugt man niemanden! Wir müssen die Freude an der Verantwortung und der Teilhabe wiederfinden. Denn wie ich bereits erwähnt habe, ist das selbstlose Engagement auch ein Weg zum persönlichen Glück. Davon bin ich fest überzeugt.

      FAbsolut.

      CIch würde gern noch kurz auf zwei Fragen zu sprechen kommen, auf die Gemeinschaften als Mittel zur Wiederherstellung von Gemeinsinn und Austausch und auf einen Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, nämlich die indigene Bevölkerung. Als ich Ihren Vortrag gelesen habe, den Sie anlässlich Ihrer letzten Perureise in Puerto Maldonado gehalten haben, war ich sehr überrascht. In meinen Ohren war es das erste Mal, dass die Kirche so deutlich für die Spiritualität und die Kultur der indigenen Völker eintrat, nie zuvor hatte ich diese Wertschätzung gespürt, die Sie ihnen mit diesen Worten entgegenbringen. Meine Frage lautet daher: Wie kann, Ihrer Meinung nach, die Kirche mit der tief in der Vergangenheit wurzelnden indigenen Spiritualität in Dialog treten, ohne auf ein nunmehr überholtes Zwangsmodell zurückzugreifen?

      FGenau das habe ich in Puerto Maldonado gesagt: Die Kirche tritt mit den Indigenen in Dialog, indem sie in erster Linie deren Rechte und gleichzeitig deren Kulturen anerkennt. Mehr noch, die religiösen Handlungen sollten möglichst in Einklang mit der indigenen Kultur vollzogen werden. Wir nennen diesen Prozess »Inkulturation«, aber es handelt sich nicht um eine Form von kulturellem Kolonialismus. Wir könnten alle auf dieselbe Art beten, aber das zerstörte die menschliche Biodiversität, die in erster Linie kulturell ist. Nein, jeder soll seiner Kultur entsprechend beten! Und die Sakramente der eigenen Kultur entsprechend feiern. Es gibt in der Kirche über fünfundzwanzig verschiedene liturgische Riten, die in unterschiedlichen Kulturen entstanden sind. Während meiner Perureise habe ich ein Wort benutzt, das verschiedentlich kritisiert wurde. Ich habe gesagt, wir brauchten eine amazonische Kirche. Manchen hat diese Position nicht gefallen, doch durch das Gespräch konnten die Spannungen beigelegt werden. Und auf der Pan-Amazonien-Synode der Bischöfe im Oktober 2019 wird man eingehend auf dieses Thema zurückkommen, das zwar von Amazonien ausgeht, aber auch darüber hinausreicht.

      Als die Jesuiten nach China kamen, sind Matteo Ricci und seine Gefährten tief in die dortige Kultur eingedrungen, sie haben die Sprache gelernt, haben die Gewohnheiten und Gebräuche ihres Gastlandes studiert. Sie kleideten sich wie Chinesen, sprachen und aßen wie sie. Es waren Menschen, die die chinesische Kultur begriffen hatten, und erst als sie so weit gekommen waren, wagten sie zu behaupten, dass »das Evangelium auch hier lebendig sein kann«, wobei sie in der Tat einige chinesische Rituale akzeptierten. Die Theologen hier in Rom haben die Welt nicht mehr verstanden und empörten sich: »Aber der chinesische Totenkult ist Götzenanbetung!« Das stimmte nicht; in Wirklichkeit war es genau dasselbe, was wir taten: Totengedenken. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen unserem 2. November und dem, was die Chinesen zu Zeiten Riccis taten. Aber die Kirche hat das damals nicht erkannt und die Tore zum Evangelium in China tatsächlich geschlossen. Genau dasselbe ist mit Roberto De Nobili in Indien passiert. Seltsam, dass beide, Ricci und De Nobili, Italiener waren. Das gibt zu denken. Was haben die Italiener, dass sie diese Fähigkeit zur Verallgemeinerung entwickeln?

      CJa schon, aber es waren auch Italiener, die ihnen die Flügel gestutzt haben!

      FNun ja, sozusagen zum Ausgleich … (sie lachen)

      CIm Zusammenhang mit diesem Thema erinnere ich mich an ein außergewöhnliches Erlebnis, das nunmehr zwölf Jahre zurückliegt. Ich bin damals nach Brasilien in den Bundesstaat Roraima gereist, wo einige Consolata-Missionare ein Krankenhaus für die dortige indigene Gemeinde der Yanomami errichtet hatten. In meiner Heimatstadt Bra sammelte man, im Namen der bei uns tief verehrten Madonna dei Fiori, Gelder für die Consolata-Missionare. Dank dieses Kontakts übernahmen wir als Slow-Food-Bewegung die Aufgabe, das Projekt bezüglich Ernährung zu unterstützen. Als Erstes mussten wir darum kämpfen, dass keine Pasta serviert wurde, ein Nahrungsmittel, das keinerlei Verbindung zu der lokalen Kultur und dem dortigen Umfeld, dem Amazonasregenwald, hat – viele dortige Bewohner hatten noch nie in ihrem Leben eine Weizenpflanze gesehen. Aber besonders »amüsant« wurde es, als ich die Missionare fragte, wie es komme, dass das Krankenhaus, das, soweit ich mich erinnerte, der Madonna dei Fiori geweiht war, den Namen Yecura Yano trage, und was er zu bedeuten habe. Er bedeutet »der Geist, der heilt«. Und

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