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HAUS DES FILMEMACHERS

      Eines Tages beim Mittagessen in der ZDF-Kantine – es gab «Kutterscholle mit Speck und Salzkartoffeln», also war es Freitag – da teilte Herr Bauhardt mir mit: «Nächste Woche müssen wir uns ma’ für’n paa’ Tage aus dem Nachrichtengeschäft ausklinken und ’was in Köln drehen. Der Aamiin hat angerufen», sagte Herr Bauhardt, der Westfale.

      Am frühen Montagmorgen fuhren wir in Herrn Bauhardts türkisblauen Citroën CX nach Köln. Dort würden wir nicht mit einer schweren elektronischen Ausrüstung drehen, sondern mit einer leichten Filmkamera. Obwohl es hieß, der Aamiin hätte eine eigene Kamera, hatten wir auch die Filmausrüstung von Herrn Bauhardt in den Kofferraum geladen. Herr Bauhardt lenkte seinen eleganten Kombi über eine lange vierspurige Straße. Schilder wiesen den Weg zu Dom und Hauptbahnhof. Wir fuhren unter einem dunkelroten Hochhaus hindurch. Oben an dem Haus leuchteten hellblau die Buchstaben WDR. Die breite Straße machte einige Schlenker, unterquerte die Bahngleise, dann bogen wir ab in ein Gewirr aus engen Straßen.

      «Ein Glück, dass ich nicht fahren muss», dachte ich, «hier findest du ja nie wieder heraus.»

      Wir hielten vor einem weiß verputzten Haus mit schmalen hohen Fenstern. Auf einem der Fenster stand in eckigen, weißen Buchstaben der Schriftzug «FLASH» – von links unten nach rechts oben, diagonal auf die Scheibe gedruckt. Das kurze Wort in eckigen Buchstaben, exakt im Winkel von 45 Grad auf dem Fenster platziert, wirkte auf mich wie ein Anspruch.

      Dieser Aamiin öffnete die gläserne Eingangstür. Ein schlanker Typ in Jeans und Poloshirt, mit Brille und kurzen dunkelblonden Haaren. Den hatte ich schon mal gesehen, irgendwo im Fernsehen. Wir reichten uns die Hand, er sagte: «Armin Maiwald, guten Tag.»

      «Ach, der ist das», dachte ich. Ich erinnerte mich an einen knapp halbstündigen Film im Nachmittagsprogramm. Da erzählte er, wie er mit seinem Filmteam eine Dreizehnjährige auf der Wanderung über einen felsigen Klettersteig in den Alpen begleitet hatte.

      Das Foyer bei «FLASH» wirkte genau so streng gestaltet, wie der Schriftzug draußen am Fenster. Armin Maiwald zeigte uns die Räume. Es war wie eine Einweisung.

      Das Haus ist ein Altbau. Dennoch sieht es außen wie innen schlicht und modern aus. Bei «FLASH Film» im Haus ist auf allen Böden schwarzer Teppich verlegt. Auch Türen und Fensterrahmen sind schwarz. Aber alle Räume sind hell. Die Wände und hohen Decken sind weiß. Klare Verhältnisse. Entschlossenheit.

      «Wir haben darauf geachtet, dass es in allen Räumen genug Steckdosen gibt», erklärte Herr Maiwald.

      Nicht nur die Platzierung der Stromanschlüsse, einfach alles schien so eingerichtet zu sein, dass es genau den Bedürfnissen seiner Filmproduktion entspricht.

      Herr Maiwald führte uns im Schlepptau durch sein Haus. Es gab viele kurze, verwinkelte Gänge, wir gingen treppauf, treppab.

      Im Keller gab es ein winziges Studio, eine Werkstatt mit allen möglichen Werkzeugen, einen winzigen Raum, den Herr Maiwald als Grafikraum bezeichnete: in schmalen Regalen und tiefen Schränken lagerten Farben und Pinsel, farbige Pappen, Plakatkarton, Tonpapier und Klebstoffe.

      In allen Kellerräumen gab es weiße Schränke. Hinter deren Türen verbargen sich ein Requisiten- und ein bescheidener Kostümfundus mit alten Schuhen, Hüten, Jacken und Mänteln.

      In den oberen Etagen gab es ein Tonstudio und Schneideräume.

      «Wir machen hier alles selbst,» erklärte Herr Maiwald, «bis auf Filmentwicklung und -kopierung.»

      Studio Babelsberg im Kleinformat.

      Diese Führung durchs Haus wirkte, als würde Herr Maiwald festlegen: «So geht das hier. So machen wir das hier. Genau so wird hier gearbeitet. Merkt euch das.»

      Im Foyer kam ein junger Mann die mit schwarzem Teppich belegte Treppe hinunter. Er hatte es eilig.

      «Das ist der Christoph – mein Regisseur für die Mausgeschichten», erklärte Herr Maiwald – und schon war der Mann in der braunen Lederjacke durch die Tür.

      Die Wand neben der Tür war mit schwarzem Teppichboden tapeziert. An dieser Wand hing ein Strohkranz mit Trauerflor. Auf der schwarzen Schleife stand in weißer Schrift:

      «DEM SPATZ VOM WALLRAFPLATZ»

      Als hätte ich das lose Ende eines verlorenen Fadens wiedergefunden. Einen Faden, den ich als Schuljunge aus der Hand gelegt hatte. Jetzt war ich ein junger Kameraassistent und hielt in der Hand: das andere Ende des verlorenen Fadens. Auf einmal arbeitete ich für den, der die Filme gedreht hatte, die mir als Schuljunge wichtig gewesen waren.

      «Hier geht’s weiter», rief Herr Maiwald und öffnete eine schwarz gestrichene Stahltür. In Augenhöhe waren außen auf die Tür weiße Blockbuchstaben gedruckt:

      «KEEP

      THIS ROOM

      TIDY.»

      «Das ist unser Kameraraum», erklärte Herr Maiwald.

      In der Mitte des Raumes gab es einen kleinen quadratischen Tisch, gerade groß genug, um darauf den Dunkelsack auszubreiten, in dem man Filmmaterial in die Kamerakassetten einlegt. An drei Seiten ragten Regale aus massiven Holzbalken bis unter die Decke empor. In den Regalen befand sich alles, was man benötigen könnte, um Filme zu drehen: auch Gummistiefel, Sonnenschirme und Bauhelme. Fast alle Regalböden waren mit kleinen Schildern versehen: «Akkuladestation», «Leerdosen», «Spezialleuchtmittel» … Im Regal mit «Putzzeug» gab es neben groben Bürsten auch Reinigungsbenzin, Optikreiniger, Zahnstocher und Fensterleder.

      Rechts unten, in der Ecke neben der Tür, stand ein kleiner Kühlschrank. Darin wurden die flachen runden Blechdosen mit Filmmaterial aufbewahrt.

      Im Regal links von der Tür, auf einem Boden in Hüfthöhe, lagerten zwei schwere silberne Alukoffer. Jeder dieser Koffer war größer als ein Werkzeugkasten und schwerer als ein Kasten Mineralwasser. Aber er hatte nur einen schmalen Griff an der Oberseite, wie der Griff eines kleinen Aktenkoffers. Das machte jeden dieser Koffer höllisch schwer und unhandlich.

      «Die haben wir für Australien gebaut», erklärte Herr Maiwald. Er war ein Jahr zuvor mit seinem Team wochenlang down under gewesen.

      Herr Maiwald erklärte weiter: «In der einen Kiste ist die Kamera mit Optiken, Akkus, Ladegeräten und sämtlichem Zubehör, in die andere Kiste passen ein dutzend Rollen Filmmaterial, außerdem sind darin Werkzeug, Maßband und alles, was man zum Drehen braucht. Die gesamte Ausrüstung in zwei Kisten. Nur für den Ton haben wir noch einen zusätzlichen kleinen Koffer.»

      Alles war sehr übersichtlich sortiert. Ein Blick in den jeweiligen Koffer genügte. Wenn keines der maßgeschneiderten Fächer leer war, hatte man alles dabei.

      Sehr praktisch.

      9

      DIE VERGESSENEN AKKUS

      Wenn DER SPATZ VOM WALLRAFPLATZ jemanden etwas fragte, wusste man nie, ob er wirklich interessiert war oder nur auf eine vorwitzige Bemerkung hinaus wollte. Das lenkte die Menschen natürlich von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Also war der Spatz mal mehr, mal weniger willkommen. Von Anfang an wurde in den Filmen so getan, als ob viele Leute den Spatz bereits kannten. Später war es auch in Wirklichkeit so, weil alle die kleinen Filme mit dem Spatzen im Fernsehen gesehen hatten. Genau wie ich.

      Eine typische Unterhaltung des Spatzen mit einem Menschen bei der Arbeit kann man sich so vorstellen:

      Es ist eine Szene, in welcher der Spatz weit draußen, außerhalb von Köln herumflattert. Tief unter ihm sommerliche Felder. Da fällt ihm ein mitten in der Landschaft geparktes Fahrzeug auf.

      Der silberfarbene VW-Bus steht am Rand eines Feldweges. Die Sonne scheint, das hohe Gras der Wiesen drumherum ist ziemlich vertrocknet. Dazwischen ein paar bunte Feldblumen. Und überall diese Schmetterlinge mit den weiß-schwarz gescheckten Flügeln. Sie sitzen auf den schwankenden Grashalmen oder flattern im sanften Wind torkelnd umher, oft zu zweien.

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