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entsprechen, indem sie den Akt rationaler Entscheidungsfindung in eine bestimmte Bahn lenken. Ganz in diesem Sinne formuliert Rawls (1992; S. 100) mit Blick auf den Urzustand: „Das Vernünftige ist dem Rationalen übergeordnet, |9|denn seine Grundsätze begrenzen … die letzten Ziele, die verfolgt werden können.“[10]

      Für ein angemessenes Verständnis des Urzustands und seiner Konstruktion ist es unabdingbar, sich zu vergegenwärtigen, dass es sich hier im Gegensatz zum Modell einer wohlgeordneten Gesellschaft nicht um ein Ideal, sondern um ein Darstellungsmittel handelt. Als solches hat es eine klar umrissene Aufgabe: Es dient dazu, eine Verbindung herzustellen zwischen dem Begriff einer moralischen Person und den Gerechtigkeitsgrundsätzen, und zwar so herzustellen, dass diese Verbindung den Bürgern einer wohlgeordneten Gesellschaft – also einem fiktiven Publikum! – als guter Grund zur Rechtfertigung der Gerechtigkeitsgrundsätze erscheinen kann. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, müssen im Urzustand angemessen repräsentiert sein: erstens die beiden Vermögen, die das Kennzeichen moralischer Personalität sind; zweitens die Öffentlichkeitsbedingungen einer wohlgeordneten Gesellschaft, die den Bürgern vollständige Autonomie verbürgen; und schließlich drittens jene Fairness, die sicherstellt, dass mit Hilfe der Verfahrensgerechtigkeit gerechte Grundsätze abgeleitet werden.

      Erstens: Die beiden Vermögen moralischer Personalität sind im Urzustand rein formal repräsentiert (Rawls, 1992; S. 124f.): Der Gerechtigkeitssinn der Parteien ist inhaltlich unbestimmt. Sie kennen die Gerechtigkeitsgrundsätze noch nicht, auf die sie sich im Verlauf des Verfahrens ja erst noch einigen müssen. Auch ist den Parteien unbekannt, welche Konzeption des Guten sie jeweils verfolgen. Sie kennen nicht ihre letzten Ziele. Diese sind für sie hinter dem Schleier des Nichtwissens verborgen, so dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als allgemein über jene Mittel nachzudenken, die zweckmäßigerweise jedem Gesellschaftsmitglied eingeräumt werden sollten, damit es seine (ihm noch unbekannten) letzten Ziele trotzdem möglichst wirksam verfolgen kann.

      Zweitens: Von den drei Öffentlichkeitsbedingungen, die eine wohlgeordnete Gesellschaft kennzeichnen, sind naturgemäß nur die ersten beiden im Urzustand repräsentiert (Rawls, 1993; S. 70f.): Von den Parteien wird verlangt, dass sie sich (nur) auf solche Gerechtigkeitsgrundsätze einigen, die das Institutionensystem wirksam regulieren können und sich mit Hilfe allgemein geteilter Überzeugungen überprüfen lassen. In den Worten von Rawls (1992; S. 114): „Grundsätze, die recht gut funktionieren könnten, vorausgesetzt, sie würden nicht öffentlich anerkannt (wie auf der ersten Stufe definiert), oder vorausgesetzt, die allgemeinen Überzeugungen, auf die sie gegründet sind, würden nicht öffentlich verstanden oder als fehlerhaft angesehen (wie auf der zweiten Stufe definiert), müssen zurückgewiesen werden.“ – Auch die drei Freiheitsmomente vollständiger Autonomie finden sich im Urzustand repräsentiert: Zum einen gibt es für die Parteien keinerlei externe Maßstäbe, keinerlei Vorgaben, sondern nur den einen internen Maßstab, dass sie selbst es sind, die die Regeln ihres Zusammenlebens und die zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen festlegen. Ihre Bindungen sind Selbst-Bindungen. Rawls (1992; S. 125) fasst diesen Umstand |10|begrifflich als „rationale Autonomie“[11]. Sie repräsentiert Freiheit als Quelle von Ansprüchen. Freiheit als Unabhängigkeit kommt im Urzustand darin zum Ausdruck – so Rawls (1992; S. 126) –, „wie die Parteien dazu bewegt werden, der Sicherung der sozialen Bedingungen zur Verwirklichung ihrer höchstrangigen Interessen einen Vorrang einzuräumen, und dadurch, dass sie, trotz der strengen Informationsbeschränkungen, die der Schleier der Unwissenheit mit sich bringt, Gründe haben übereinzustimmen“. Eine solche Übereinstimmung bezieht sich auf jene Mittel, die eine gerechte Gesellschaft jedem Bürger zur Verfügung stellen sollte, und sie wird von den Parteien mit Hilfe eines Verzeichnisses der für die Konzeptionen des Guten benötigten Grundgüter herbeigeführt. Grundgüter sind die operationalisierbaren Mittel für die Verwirklichung der Systeme letzter Ziele. Dass man sich auf Mittel einigen kann, ohne die Ziele zu kennen, die für die Parteien hinter dem Schleier des Nichtwissens verborgen sind, zeigt die Unabhängigkeit von der jeweiligen Konzeption des Guten und ist hierin Ausdruck von Freiheit. Das dritte Element bürgerlicher Autonomie, Freiheit als Verantwortung, ist im Urzustand dadurch repräsentiert, dass dem Vernünftigen ein Vorrang vor dem Rationalen eingeräumt wird: Die mit Hilfe des Schleiers spezifizierten vernünftigen Bedingungen geben der individuell rationalen Entscheidung einen Rahmen vor, der die Parteien von vornherein nur solche Konzeptionen des Guten in Betracht ziehen lässt, die mit Gerechtigkeitsgrundsätzen vereinbar sind. Diese Verpflichtung des Rationalen auf das Vernünftige spiegelt jene Verantwortung wider, in der sich für Rawls die Freiheit moralischer Personalität ausdrückt: die Verantwortung, dass die individuellen Ziele den sozial verfügbaren Mitteln angemessen sind.

      Drittens: Das Konstitutionsprinzip reiner Verfahrensgerechtigkeit besteht darin, die Gerechtigkeit materieller Normen ausschließlich aus der Gerechtigkeit des Normfindungsverfahrens resultieren zu lassen.[12] Der Rawlssche Ansatz fasst Gerechtigkeit als Fairness. Deshalb kommt es darauf an, die Situation eines fairen Urzustands so zu definieren, dass sich die Fairness auf jene Grundsätze übertragen lässt, auf die sich die Parteien in dieser Situation einigen. Dabei ist – so Rawls (1992; S. 128) – im Auge zu behalten, dass sich die Kategorie der Gerechtigkeit nicht auf alle Institutionen, sondern (zunächst) nur auf die institutionelle Grundstruktur der Gesellschaft bezieht; dass es nicht auf die Festlegung |11|sämtlicher, sondern nur auf die Festlegung der obersten Grundsätze für diese Grundstruktur ankommt; und schließlich dass für eine solche Festlegung nicht sämtliche Eigenschaften der Menschen relevant sind, sondern es ausreicht, den dauerhaft kooperierenden Gesellschaftsmitgliedern zu unterstellen, sie verfügten über ein Mindestmaß an den beiden Vermögen moralischer Personalität und seien darin gleich. Nimmt man zu diesen Voraussetzungen hinzu, dass nicht nur die Freiheit, sondern durch die symmetrische Stellung der Parteien zueinander auch die Gleichheit der Personen repräsentiert ist, so ist für Rawls (1992; S. 128f.) garantiert, „dass der Urzustand fair ist zwischen gleichen moralischen Personen, und er daher richtig darstellt, wie die Mitglieder einer wohlgeordneten Gesellschaft einander sehen“. Diese Selbstsicht freier und gleicher Bürger kommt in den beiden Gerechtigkeitsgrundsätzen zum Ausdruck, auf die sich die Parteien im Urzustand einigen.

      Damit sind die einzelnen im Urzustand repräsentierten Elemente aufgezählt und jenen Vorstellungen – dem Ideal einer moralischen Person und dem Ideal einer wohlgeordneten Gesellschaft – zugeordnet, zwischen denen vermittelt werden soll: Die (fiktiven!) Bürger sollen sich in den im Urzustand ermittelten Gerechtigkeitsgrundsätzen als Person wiederfinden können. – Für ein angemessenes Verständnis des Urzustands reicht es jedoch nicht aus, nur die Elemente zu kennen. Es ist nötig, darüber hinaus auch zu verstehen, wie das Modell die einzelnen Elemente arrangiert, wie es mit ihnen umgeht. Dies wiederum wird von der Aufgabenstellung gesteuert, und im Rahmen des Rawlsschen Ansatzes lautet die Aufgabe, die minimalen Voraussetzungen zu formulieren, unter denen ein Konsens über die obersten Gerechtigkeitsgrundsätze gerade noch möglich erscheint. Hierfür soll nicht mehr als unbedingt erforderlich in Anspruch genommen werden, und um dies zu erreichen, gehört zum Modell des Urzustands ein elaboriertes Management des zulässigen Wissens und Nichtwissens. Dieses Informationsmanagement erfolgt im Modell des Urzustands mit Hilfe der gedanklichen Figur eines Schleiers, der für die Parteien weitgehend undurchsichtig ist und nicht mehr als ausschließlich jene Informationen durchlässt, die die Parteien für eine rationale Übereinkunft benötigen. Der Sinn dieser minimalistischen Verfahrensweise besteht für Rawls (1992; S. 128) darin, „eine klare Repräsentation des für eine kantische Sichtweise charakteristischen Begriffs der Freiheit zu haben“.

      (3) Hierin wird nochmals deutlich, wie differenziert und damit voraussetzungsreich die Rawlssche Theoriearchitektonik angesetzt ist. Insbesondere die Verwendung von Modellen führt dazu, dass scheinbar ähnliche Aussagen – Aussagen über Bürger oder Parteien oder Menschen – in unterschiedlichen Kontexten – im Kontext des Ideals einer wohlgeordneten Gesellschaft oder im Kontext der Konstruktion des Urzustands oder im Kontext der Realität moderner Gesellschaften – höchst unterschiedliche Interpretationen erfordern, die sich allerdings methodisch präzise verorten lassen, sobald man die Problemsteuerung der Theoriekomposition angemessen berücksichtigt. Vor einem solchen Hintergrund tritt deutlich hervor, dass der Ansatz von John Rawls den Sozialwissenschaften nicht nur inhaltlich (Vorrang des Sozialen), sondern auch methodisch (Verwendung von Modellen) entgegenkommt. Dass gerade

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