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Dan Henrys Flucht. Stig Ericson
Читать онлайн.Название Dan Henrys Flucht
Год выпуска 0
isbn 9788711458839
Автор произведения Stig Ericson
Серия Dan Henry
Издательство Bookwire
Stig Ericson
Dan Henrys Flucht
Saga
1
Die ganze Geschichte, die ich hier erzählen will, fing in Hasselbacken an.
Hasselbacken ist ein großes Sommerrestaurant und liegt auf Djurgarden, einer von Stockholms vielen Inseln. Damals war es angeblich eines der besten Restaurants im ganzen Norden. Im Park standen Tische, lange, fröhlich geschmückte Veranden liefen rings um das Restaurantgebäude, und der Speisezettel hatte mindestens ein Dutzend Gerichte aufzuweisen.
Der Punsch floß in Strömen, die Militärkapelle spielte, man amüsierte sich ...
Und wenn der Wind aus Westen kam, konnte man riechen, daß der Hafen in der Nähe lag — der Gestank von Teer, Rauch und Fäulnis vermischte sich dann mit Zigarrenrauch, Parfüm und Essensgerüchen.
Ich war damals Musiker. Oder genauer gesagt Musikeleve. Ich gehörte dem Musikkorps der Svea Leibgarde an und spielte die zweite Klarinette.
Der Abend, an den ich denke, war ungewöhnlich kalt und feucht. Es muß ungefähr Mitte August gewesen sein, denn die Kutsche wurde in der Nacht zum ersten September überfallen, und das hier war etwa eine Woche vorher.
Ich erinnere mich sehr gut an jenen Abend. Zwischen den weißen Marmortischen glänzte der Kies feucht im Gaslicht. Obwohl es ein Sonntag war, hielten sich nicht besonders viele Leute im Park auf.
Ich hatte steife Finger, und es war beinahe unmöglich, der Klarinette die richtigen Töne zu entlocken. Obwohl ich die Unterlippe gegen das Rohr preßte, bis die Mundmuskeln schmerzten, wurden die meisten Töne zu tief. Eine ordentliche Resonanz hatten sie auch nicht, sie schienen im Mundstück steckenzubleiben.
Aber ich war nicht der einzige, der fror.
»Verflucht nochmal, Schnee in der Luft«, sagte einer der älteren Musiker, während wir zwischen zwei Musikstücken die Notenblätter auswechselten. »Teufel auch, ein alter Feldwebel ist für solche Strapazen nicht gebaut. Regelrechter Winter — und dann noch Tannhäuser. Verdammt!«
Das war die allgemeine Stimmung. Doch auch dieser Abend ging vorüber, die Uhr schlug elf, und wir spielten den Schlußmarsch.
Das war das letzte Mal, daß ich bei der Svea Leibgarde mitspielte, aber das ahnte ich damals natürlich nicht.
Der Musikdirektor — er hieß Rosbeck und war sicher ein ehrenwerter Mann — bedankte sich mit seiner üblichen eleganten Verbeugung für den spärlichen Applaus, dann verschwand er in der wartenden Pferdedroschke.
Es war ungewöhnlich still, während wir die Instrumente zerlegten und zusammenpackten. Wir hatten einen langen, strapaziösen Tag hinter uns, mit Parade, Gottesdienst und anschließend sechs Konzerten.
Gabriel gab eines seiner üblichen Späßchen zum besten:
»Tja, Jungs, wirklich schade, daß wir nicht länger tuten dürfen. Aber das Leben ist hart und voller Prüfungen.«
Gabriel hieß eigentlich ganz anders. Aber wenn er in sein Waldhorn blies, blähten sich seine Backen so, daß er sehr an ein Bild des Erzengels Gabriel erinnerte, das im Offizierskasino unserer Kaserne hing. Er war lang und blond und steckte voller Schabernak. In diesem Sommer war er siebzehn geworden.
»Du kannst ja dein Wursthorn nehmen und in den Wald hinausziehen, wenn du nicht zufrieden bist«, schlug eine freundliche Seele vor. »Aber paß auf, daß du keine Lerchen aufschreckst!«
Gelächter.
Aber Gabriel konnte Gelächter vertragen. Er grinste nur zurück und sagte:
»Was seid ihr für Langweiler! Hat denn keiner von euch Lust auf eine fidele Runde?«
»Draußen im Wald, meinst du wohl?«
»Wenn du eine Halbe spendierst«, sagte der Lange Gustav und hielt das Posaunenmundstück wie ein Schnapsglas hoch. »Oder einen Grog. Nach einem Abend wie heute könnten wir das brauchen.«
Gabriel lud die anderen oft ein. Von uns Jüngeren hatte er am häufigsten Geld. Er wohnte nicht in der Kaserne, sondern bei seiner Mutter, die eine Bügelstube in Skeppargatan hatte.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich eigentlich zu der Ehre kam, aber kurz darauf saßen jedenfalls Gabriel und der Lange Gustav und ich in der »Altmännerkiste«, wie wir das Café damals nannten.
Drinnen im Café war es rauchig, laut und warm. Gabriel bestellte Grog, und wir tranken und fühlten uns wohl, schwatzten und lachten.
Der Lange Gustav redete am meisten. Er war lang und dünn und ungefähr ein Jahr älter als Gabriel. Er hatte dunkles Haar und eine recht kräftige Nase und hätte wirklich gut ausgesehen, wenn er nicht so auffallend schlechte Zähne gehabt hätte.
Als wir unsere Gläser geleert hatten und aufbrechen wollten, kam ein kleiner, berauschter Mann an unseren Tisch. Er sah sehr zufrieden und vergnügt aus. Seine Backen glänzten, er war dick und glatzköpfig und hatte eine weiße Weste an. Er legte seine Hand auf die Schulter des Langen Gustav und sagte:
»Svea Leibgarde, das sind prima Jungs! Und spielen können sie! Ihr spielt königlich, Jungs! Und darum laß ich für jeden eine Halbe springen.«
Ehe jemand von uns sich auch nur äußern konnte, war er schon wieder an seinen Tisch zurückgekehrt, wo mehrere beleibte Männer ihre Gläser zu uns erhoben und winkten und grinsten. Wir winkten zurück.
Der Lange Gustav zwirbelte seinen Schnurrbart und sah zufrieden aus.
»Zu einer Halben Punsch kann man ja schlecht nein sagen.«
Ich fühlte mich allmählich etwas benommen. Der Uniformkragen schabte, der Zigarrenrauch brannte in den Augen. Ich sah die Frauengestalten auf der französischen Stofftapete an und wünschte, daß ich nicht mitgekommen wäre.
Aber wünschte ich das wirklich, damals?
Darüber habe ich viel nachgegrübelt. Ich meine, wenn ich an jenem Abend nicht in das Café mitgekommen wäre, dann hätte sich mein Leben vermutlich völlig anders gestaltet. Dann wäre ich jetzt vielleicht ein pensionierter Musikdirektor — und nicht ein alter Abenteurer oder Reporter oder wie man es nennen soll, reich an Erinnerungen und Erlebnissen, aber arm an allem übrigen.
»Euch geht’s gut«, sagte die Kellnerin, als sie mit dem Punschtablett kam. »Zu so später Stunde noch Punsch spendiert bekommen! Allerdings weiß ich nicht recht, ob einer, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist, so etwas überhaupt trinken darf!«
Sie sah mich an und lächelte ein wenig. Sie war ziemlich hübsch. Aber sie sah müde aus, und kleine Schweißtröpfchen standen ihr auf der Stirn.
»Schließlich spielen nicht alle so schön wie wir«, sagte Gabriel.
»Und so gefroren wie wir haben auch nicht alle«, sagte der Lange Gustav. »Wir brauchen ein bißchen Wärme.« Er streckte sich und zwinkerte ihr zu. »Sag mal, könnten wir nicht ...«
Doch sie war schon zwischen den Tischen verschwunden.
Der Punsch war nicht warm, sondern kalt. Aber er schmeckte gut und erfrischend. Wir tranken und fühlten uns sehr wohl. Dann nickten wir den beleibten Männern zu und gingen.
Draußen war es dunkel. Und kalt. Wahrscheinlich waren wir ziemlich wackelig auf den Beinen, als wir die Treppen hinuntergingen. Im Nebel sahen die vereinzelten Straßenlaternen wie gelbliche Wattebäusche aus.
Trotz der späten Stunde waren noch ziemlich viele Leute unterwegs. Ab und zu rollte eine Mietdroschke zur Stadt hinein, und von den Buden hinten auf dem Tiergartenfeld drang Gelächter und betrunkenes Grölen.
»Wollen wir noch hin?« schlug Gabriel vor.
»Da treiben sich jetzt nur noch Trunkenbolde und Gesindel herum«, meinte der Lange Gustav. »Gehen wir lieber in die Stadt.«
»Das finde ich auch«, sagte ich.
Damals