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      Bernt Danielsson

      Die Diskette

      Aus dem Schwedischen

      von Regine Elsässer

      Saga

      1

      Frohe Feiertage

      „Für dich“, sagte meine Mutter. „Irgendeine Lena.“

      Ich schluckte meinen Kaffee viel zu schnell und bekam einen äußerst peinlichen Hustenanfall.

      „Lena?“ sagte mein Vater spitz. „Ist ja ganz schön was los hier, mein Gott. Was ist denn mit der anderen passiert?“

      „Red keinen Unsinn“, sagte ich hustend und stand vom Sofa auf. Ich versuchte verzweifelt, wieder einen klaren Hals zu kriegen, und ging hinaus in den Flur. Ich nahm den Hörer auf, schluckte mehrmals und schnappte nach Luft, bis ich schließlich ein Art „Hallo?“ rausbrachte.

      „Bist du es, Kevin?“ fragte eine Stimme, die ich nie vergessen werde, und wenn ich 97einhalb Jahre alt werden sollte. Es war die schönste Stimme, die ich je gehört hatte, und sie gehörte jemandem, dem ich, unglaublich aber wahr, das Leben gerettet hatte. Hustend und räuspernd sagte ich so etwas wie ja.

      „Wie geht es? Hast du dich verschluckt?“

      „Ja, genau“, sagte ich, und plötzlich hatte das Serviceteam der Rohrreinigungsabteilung den Fehler gefunden, der Husten war weg, und mein Hals wurde wieder klar und rein. „Hallo“, sagte ich und war froh, wieder meine normale Stimme zu haben.

      „Frohe Feiertage, das sagt man doch. Wie waren die Weihnachtstage bei dir?“ fragte sie.

      „Danke, halt so“, antwortete ich. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte mich auch noch verbeugt.

      „Das klingt ja nicht besonders enthusiastisch.“

      „Mir liegt nicht besonders viel an Weihnachten“, sagte ich.

      „Also genau wie Schröder.“

      „Wie geht es ihm eigentlich?“ fragte ich und merkte, daß ich ein bißchen sauer klang. Um ehrlich zu sein, ich war es auch, vor allem weil er seit fast drei Monaten nichts von sich hatte hören lassen. Das letzte Mal, als ich ihn sah, wurde er von zwei kräftigen Männern in weißen Arztkitteln durch den Ambulanzeingang des Danderyd Krankenhauses getragen, und ich hatte gedacht, er würde sich melden, wenn er sich wieder erholt hatte. Aber die Zeit verging, und ich hörte keinen Ton.

      Sobald mein zermatschtes Knie wieder einigermaßen geheilt war und ich kleinere Spaziergänge schaffte, humpelte ich zu der Kreuzung, wo Mister Raymond Schröder mich und mein Moped mit seiner schrottreifen Dodge-Ram-Karre demoliert hatte. Nach einigem Suchen fand ich in den entlaubten und stacheligen Büschen doch tatsächlich meinen Walkman und die Kopfhörer. Sie waren natürlich beide hinüber, aber die John-Vollem-Kassette hatte überlebt.

      Lena rief ein paar Wochen später einmal an, und wir redeten lange – ich weiß noch jedes Wort. Nachdem sie sich versichert hatte, daß es mir gut ging und mein verletztes Knie auf dem Weg der Besserung war, erzählte sie etwas vage von dieser Gangstermafia BEDA, aber ich hab nicht wirklich was davon verstanden, nicht viel mehr, als ich schon wußte.

      Sie machte mir sehr deutlich, daß sie mit mir am liebsten nicht eingehender über ihre Arbeit sprechen wollte oder konnte – wie sie sagte. Ich glaube, sie hat hauptsächlich deshalb angerufen, um zu kontrollieren, daß ich mein Versprechen hielt und niemandem etwas erzählte. Sie richtete Grüße aus von Schröder und sagte, daß wir uns „bald“ treffen und zusammen essen müßten. Seither: kein Ton.

      Ich war mit meinem total nigelnagelneuen Piaggiomoped ein paarmal abends an Schröders Häuschen vorbeigefahren, aber es war immer dunkel, und Bogart (wie er allen Ernstes seine Schrottschüssel nannte) stand auch nicht davor.

      Dann war die Zeit nur so verflogen – unheimlich viel zu lernen im Endspurt vor den Weihnachtsferien, jede Menge albernen Streß mit einem Mädchen namens Martina (von der hatte auch mein Vater gesprochen) und dann an Weihnachten nach London zu den Großeltern. Das klingt vielleicht sehr spannend, aber Weihnachten ist in England genauso öde und anstrengend wie zu Hause. Für etwas war die Reise allerdings gut – sie half mir, von den allerschlimmsten alptraumhaften Erinnerungen an jene hektischen Oktobertage mit Schröder wegzukommen. Ich war sogar schon über Lena „hinweggekommen“ – obwohl ich noch ziemlich oft von ihr träumte, das muß ich zugeben. Ausgesprochen merkwürdige Träume, die ich nie irgend jemandem erzählen könnte.

      „Doch“, sagte Lena und lachte. „Ihm geht es gut. Ich soll von ihm grüßen.“

      „Er hätte ja mal anrufen können“, brummte ich beleidigt.

      „Hast du ihn denn angerufen?“ fragte sie, und da ließ ich mich auf den kleinen, lederbezogenen Hocker plumpsen und sagte nichts mehr, denn ich hatte ihn natürlich nicht angerufen. „Na, ist ja auch egal“, sagte sie. „Manchmal ist es einfach so – die Zeit verrinnt irgendwie. Und man muß sich auch nicht eine Menge unnötiger „du mußt“ anziehen – davon hat man ja eh schon reichlich. Aber wie auch immer: Jetzt soll endlich dieses Essen steigen, das ich dir im Herbst versprochen habe, als kleines Dankeschön für deine Hilfe. Auch wenn ich dir nie richtig werde danken können – du hast mir ja tatsächlich das Leben gerettet.“

      „Na ja“, sagte ich, als ob das gar nichts Besonderes gewesen wäre, aber gleichzeitig schauderte es mich heftig bei dem Gedanken daran, wie ich die nicht geladene Smith-&-Wesson-Knarre auf das Walroß geschleudert hatte, weil der mit seinem Gewehr auf Lena zielte.

      „Und was wurde aus diesem Typ vom Verfassungsschutz unten in München?“ fragte ich.

      „Das erzähl ich dir später. Ich will nicht am Telefon darüber reden, weißt du ...“

      „Nee“, sagte ich und kam mir wieder mal so blöd vor, und außerdem war ich dankbar, daß wir nur telefonierten. Hört das denn nie auf, daß ich so unmöglich bin? dachte ich. Man sollte doch meinen, daß ich schon aus so was rausgewachsen bin. Oder schlage ich meinem Vater nach? Wenn das so ist, wird es wohl nie so weit kommen. Wunderbare Zukunftsaussichten ... „Paßt dir Freitag? So gegen sieben?“

      „Doch, sicher. Bei dir zu Hause?“

      „Nein, bei Schröder. Er hat versprochen zu kochen – und darüber kannst du nur froh sein, denn ich tauge auf diesem Gebiet nicht viel.“

      „Also gut“, sagte ich und versuchte, nicht so enttäuscht zu klingen, wie ich mich fühlte.

      „Gut“, sagte sie und lachte auf diese besondere Art, es klingt fast so wie eine schnurrende Katze. Mein Ohr wurde ganz warm, und ich bekam ein glühend heißes Gesicht.

      Nachdem wir tschüs gesagt und aufgelegt hatten, blieb ich neben dem Telefon sitzen. Ich weiß nicht, woran ich dachte – an alles und nichts wahrscheinlich. In meinem Kopf wirbelten Gedankenfetzen, Überlegungen, John-Vollem-Stücke und Erinnerungen durcheinander. Und dann dachte ich plötzlich auch an Martina, schob den Gedanken jedoch ärgerlich beiseite und holte statt dessen das peinlich glitzernde Erinnerungsbild an Lena hinter dem Steuer des weißen Porsche hervor, draußen vor unserem Haus, an einem dunklen Abend im letzten Herbst.

      „Was bist du nur für ein verdammt blöder Eimer!“ dachte ich mit Schröders höhnischer, rauher Stimme.

      Mein Blick blieb an einem der Bilder an der Flurwand hängen – Schröder hatte an einem Oktobermorgen vor ungefähr hundert Jahren befunden, daß sie „absolut scheußlich“ seien. Ehrlich gesagt, ich muß ihm immer mehr recht geben. Ich habe sogar schon meiner Mutter vorgeschlagen, sie abzuhängen. „Aber das geht nicht, das mußt du verstehen, die Großmutter würde sonst sehr traurig werden“, hatte sie gesagt und mich richtig empört angeschaut. „Aber sie kommt doch höchstens einmal im Jahr her“, hatte ich gesagt, „und dann können wir sie ja wieder aufhängen.“ Aber dafür hatte sie keinerlei Verständnis.

      Aus dem Wohnzimmer klang aufgesetztes Gejohle und Discomusik aus dem Fernseher. Es klang genauso bescheuert, wie es immer klingt, wenn sie versuchen einen „Jugendfilm“ zu drehen. Mein Vater lachte hingerissen – bestimmt benahm sich jemand daneben. So was findet er lustig.

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