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von Avogadro? Sean war eine lebende Legende. Pete war noch nie jemandem begegnet, der Sean Leonov persönlich kannte. Er grübelte über die Mail. Warum dachte Sean, dass die IA so etwas innerhalb eines Tages implementieren konnten. Wusste er überhaupt, dass es eine solche Abteilung bei Avogadro gab? Und wie waren sie an seine E-Mail-Adresse gekommen? Das alles erschien unwahrscheinlich. Es war eine bizarre Anfrage, aber er dachte, dass er eine solche Schnittstelle leicht auf die Beine stellen konnte. Er stellte sich einen Außendienstler vor, wie er sein Smartphone nutzte, um eine interne Webseite aufzurufen. Kleiner Bildschirm, geringes Datenvolumen. Die Erklärung für die Anfrage machte Sinn. Und wenn es außerdem Sean Leonov beeindruckte, dann würde es seiner Karriere sicher nicht schaden. Vielleicht würde es ihn in eines der echten F&E Projektteams bringen, statt auf ewig in der IA-Abteilung festzusitzen. Er verbrachte einige Minuten mit Gedanken darüber, wie sein Büro dann aussehen würde, wobei er von einem Raum tagträumte, in welchen Sonnenlicht durch große Fenster flutete. Vielleicht hatte er sogar ein großes Fenster zur Straße oder, besser noch, zum Fluss hin. Dann setzte er sich abrupt auf. Er würde sich ein paar Minuten für die Anfrage nehmen. Seine Finger huschten über die Tastatur als er mit der Suche in AvoSearch (Suchdienst von Avogadro) begann. Als seine erste Suchanfrage nach ›E-Mail zu Internet-Dienst‹ einen bereits existierenden Entwurf von ein paar Jungs von IBM lieferte, wuchs seine Begeisterung. Nachdem er den Artikel durchgelesen hatte, wurde ihm klar, dass die Implementierung eine Sache von ein paar Stunden war. All seine andere Arbeit war nun vergessen. Pete begann mit dem Projekt. Er nutzte die existierenden IA-Server und entwarf eine neue Internetapplikation mit Ruby on Rails, die die notwendige Konvertierung von Webseiten in Mails und von Mails in Webformulare durchführte. Es war einfacher als erwartet und gegen Nachmittag hatte er bereits einen simplen, lauffähigen Prototypen. Er entdeckte einige Fehler in der Software. Während er sich noch über Details den Kopf zerbrach, eilte er geistesabwesend den Korridor hinunter zur Kaffeestation, um seinen Becher wieder zu füllen.

      Mike verließ sein Büro, nickte einigen Teammitgliedern im Vorbeigehen zu und ging die Treppe nach unten zur nächsten Außentür. Nachdem er sein Hirn seit Stunden nur über dieses eine Problem zermartert hatte und immer frustrierter wurde, musste er seinen Kopf freibekommen. Der Ressourcenverbrauch erwies sich immer mehr als unüberwindliches Hindernis. Einmal im Freien, schlenderte Mike um Avogadros South Plaza herum, einem Park mit offenem Amphitheater. Nur eine der vielen weiteren Anreize, die Avogadro bot, um alle Mitarbeiter glücklich zu machen. Der Boden war noch nass vom Morgenregen, aber der Himmel war jetzt herrlich klar. Er winkte ein paar Programmierern zu, die er vorbeijoggen sah.

      Er dachte an seine Entdeckung zurück. Was er an diesem Morgen herausgefunden hatte, war sogar noch verwirrender als die Probleme, die er eigentlich erwartet hatte. Mike dachte an die beiden klar getrennten Komponenten von ELOPe. Der eine Teil war das, was der Nutzer sah, das war natürlich das Benutzerinterface, das in Echtzeit E-Mails auswertete, noch während sie geschrieben wurden, um Verbesserungen vorzuschlagen. Aber die Komponente, die Mike Sorgen bereitete, war die andere Hälfte, nämlich der Hintergrundprozess, der die E-Mail-Historie analysierte, um Empfehlungscluster zu generieren. Auch wenn die Leistung von ELOPe aus jedem Blickwinkel schrecklich war, so war sie doch vorhersehbar schrecklich. Im Laufe der Versuche, die Effizienz während der letzten Monate zu verbessern, hatte Mike festgestellt, dass jede neue Mail, die an ELOPe verfüttert wurde immer die gleiche Menge an Rechenzyklen verbrauchte. An diesem Morgen war gar nichts vorhersehbar gewesen. Dem System-Log nach hatte letzte Nacht niemand ELOPe genutzt und dennoch war die Last nach oben gegangen – ein sicherer Hinweis darauf, dass eine Menge Rechenzeit auf etwas verwendet wurde. Aber auf was? ELOPe war im geschlossenen Prototypmodus. Nur die Mitglieder des Entwicklerteams hatten Zugang. Das bedeutete, die Softwareentwickler, die Designer und die Sprachexperten, die zum Projekt gehörten. Alle Aktivitäten wurden aufgezeichnet. Aber irgendjemand oder irgendetwas erzeugte Serverlast, obwohl die Logs keine Aktivitäten verzeichneten. Mike hoffte, dass die frische Luft und ein Spaziergang um die Plaza ihm bei der Lösung des Problems helfen würden. Das Letzte, was er jetzt noch brauchte, waren zusätzliche Leistungseinbußen, während sie nach massiven Verbesserungen suchten. Er setzte sich auf die Stufen des Amphitheaters und legte den Kopf in seine Hände. Er beobachtete eine weitere Gruppe vorbeilaufender Jogger. Für jemanden, der stolz darauf war, die Dinge leicht zu nehmen, lag die Welt zurzeit ziemlich schwer auf seinen Schultern.

      

      Kapitel 4

      Pete Wong war mit sich selbst zufrieden. Er hatte nicht einmal einen Tag gebraucht, um die gewünschte E-Mail-Internet-Verknüpfung zu implementieren. Nun ja, implementieren war womöglich eine Übertreibung. Nach dem Copy&Paste-Prinzip hatte er Programmcodes von einem Dutzend verschiedener Webseiten heruntergeladen und sie quasi mit virtuellem Klebeband zusammengeschustert. Es war ein schlampiger Schnellschuss, nichts, womit man einen Programmierwettbewerb gewinnen konnte. Aber auf der anderen Seite funktionierte es ganz ordentlich. Er hatte es mit dem IA-Netzwerkdienst gegengecheckt ebenso mit der Intranetapplikation der Beschaffungsabteilung und einem halben Dutzend anderer Webseiten. Es schien mit allen zu arbeiten.

      Er trommelte begeistert mit den Daumen auf dem Tisch. Durch die Nutzung von Programmbibliotheken, die andere für Ruby on Rails entwickelt hatten, war er in der Lage gewesen, die notwendigen Bestandteile zügig zusammenzufügen. Die Fähigkeit etwas in Stunden zu erledigen, was in einer älteren Programmiersprache wie Java Wochen gedauert hätte, war die Magie moderner Programmumgebungen wie Ruby. Es war leicht zu erklären, wie Start-up-Unternehmen Produkte an einem einzigen Wochenende bauten und mit einem lächerlich zu nennenden Budget veröffentlichten, jetzt wo ihnen so mächtige Werkzeuge zur Verfügung standen. Er fragte sich zum hundertsten Mal, ob er Avogadro nicht verlassen und seine eigene Firma gründen sollte.

      Pete zog seine Tastatur näher zu sich heran und schrieb eine Mail an John Anderson, dem Kerl aus der Beschaffung, von dem die ursprüngliche Anfrage gekommen war. In einem Anfall von Größenwahn leitete er sie auch an Sean Leonov weiter, sodass Sean sofort sehen würde, wer das Tool geschrieben hatte. In der Mail erklärte Pete auch, was er da eingebunden hatte und wie es benutzt wurde. Als er damit fertig war, hatte er fünf Seiten detaillierter Anweisungen verfasst. Vielleicht war das ein wenig zu kompliziert für die Jungs im Außendienst. Pete kannte niemanden von den Vertretern, aber er vermutete, dass sie technisch nicht versiert waren. Aber zumindest war das, was er ihnen bot, bereits voll funktionsfähig, auch wenn es noch ein bisschen ungeschliffen war, was das Benutzerinterface anging.

      Er klickte auf »versenden«, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nippte an seinem Kaffee. Er sonnte sich im Glanz seines eigenen Erfolges und grinste über beide Ohren. Er hatte es einfach drauf.

      Pete überlegte gerade, bei wem er mit seinem Erfolg angeben konnte, als ihm ein schrecklicher Gedanke kam. Möglicherweise entsprach das, was er gerade gemacht hatte, nicht ganz den Regeln. Er setzte sich auf und ließ seinen Becher auf den Tisch knallen, als ihm klar wurde, dass er niemanden aus seinem Team in Kenntnis gesetzt hatte, was er da tat. Diese Anfrage hätte wie alles andere auch den normalen Dienstweg nehmen sollen. Nicht nur das, das Tool hätte auch von seinen Teamkollegen gegengecheckt werden müssen, bevor es implementiert wurde, in jedem Falle aber vor der Programmfreigabe. Aber er war so damit beschäftigt gewesen Sean zu beeindrucken, dass er sich keine Gedanken über die Einhaltung der Standardprozedur gemacht hatte. Aber niemand würde ihm einen Vorwurf machen, nur weil er ein wenig Initiative zeigte, oder?

      Darüber hinaus beschäftigte ihn aber noch ein weiteres Problem. Was war es nur? Plötzlich sprang er von seinem Stuhl hoch. Verdammt, er hatte gerade ein ungeprüftes Tool eingebunden, das mit einem Dutzend geschäftsrelevanter Webdienste innerhalb des Unternehmens interagieren konnte. Er hatte vermutlich alle möglichen Sicherheitsstandards verletzt. Nicht nur vermutlich, sondern mit Sicherheit. Plötzlich schien es sehr heiß in seinem engen Büro zu sein.

      Aber so schnell wie er sich aufgeregt hatte, beruhigte er sich auch wieder und setzte sich. Wenn Sean Leonov gedacht hatte, dass das IA-Team die Anfrage innerhalb von 24 Stunden erledigen konnte, dann war er sicher einverstanden, wenn sie ohne Netz und doppelten Boden arbeiteten. Pete konnte jetzt nicht zurückrudern und die Applikation wieder von den Servern nehmen. Nicht nachdem er John Anderson und Sean Leonov mitgeteilt hatte, dass

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