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eines schnell vorbeifahrenden Wagens.

      »Der Köter hat ausgelitten«, bemerkte ein Mann, der an das überfahrene Thier herangetreten war.

      Dieses gewöhnliche Ereigniß wirkte so heftig auf die sensitiven Nerven des jungen Mädchens, daß es voll Entsetzen hilf- und sprachlos dastand, und am ganzen Körper zitterte. Teresa führte sie in die nächste offene Thür – eine Musikalienhandlung – und bat um einen Stuhl und ein Glas Wasser. Der Eigenthümer des Ladens, der jenes Interesse für Carmina empfand, das sie selten zu erwecken verfehlte, ging sogar so weit, ihr ein Glas Wein anzubieten. Sie zog aber Wasser vor und erholte sich dann bald soweit, um wieder aufstehen zu können.

      »Wollen wir vom Besuche des Museums abstehen?« fragte sie ihre Begleiterin. »Ich bin nach dem Vorgefallenen nicht in der Stimmung, Curiositäten zu besehen.«

      Teresa suchte mit bereitwilliger Sympathie etwas Anderes ausfindig zu machen »Musik würde Dir mehr zusagen, nicht wahr?«

      In dem Laden hingen die Zettel für die italienische Oper; als aber Carmina wieder eine deutsche Oper auf demselben angekündigt sah, wandte sie sich voll Verzweiflung an den Händler »Kann man denn in London keine andere als nur deutsche Musik hören?«

      Der zuvorkommende Händler holte das Programm eines an diesem Nachmittage stattfindenden bescheidenen Concertes eines obskuren Clavierlehrers, der wohl nur auf Schüler, Gönner und Freunde rechnen konnte. Auf dem Zettel war unter anderen Musik aus Lucia, Norma und Ernani angekündigt und Carmina kaufte nach einer zustimmenden Daumbewegung Teresa’s zwei Billets.

      Der Händler wollte sich beeilen, eine Droschke zu rufen, Carmina aber schrak davor zurück, einen Wagen zu besteigen. »Wir könnten wieder ein armes Geschöpf überfahren«, meinte sie, »und es könnte anstatt eines Hundes dann vielleicht ein Kind sein.« Teresa und der Händler bemühten sich ernstlich, ihr eine andere Ansicht beizubringen, aber wenn Carmina das Vernünftige ihrer Meinung auch zugab, so sagte sie doch: »Verderben Sie mir nicht das Vergnügen; ich kann es einmal nicht!«

      Und so war die seltsame Parallele jetzt vollständig geworden. Beide, Carmina und Ovid, hatten dasselbe Ziel gehabt, Lincoln’s Inn-Fields, und beide waren sie davon abgekommen. Und dann wollte Carmina noch den Garten des British Museum sehen, und so begegnete sie dem jungen Arzt in den ruhigen Anlagen.

      Capitel IV

      Ovid achtete nicht auf die Plakate am Eingange zu der Concerthalle und sah deshalb nicht, daß das Concert von dem Musiklehrer seiner beiden Halbschwestern gegeben wurde und dasselbe war, zu welchem er auf das Drängen seiner Mutter vor einigen Tagen bereits ein Billet genommen hatte. Ohne etwas zu sehen, nur von der Furcht besessen, die beiden Fremden aus den Augen zu verlieren, wenn das Concert stark besucht sein sollte, löste er sich voll Ungeduld ein zweites Billet an der Kasse.

      Der Saal war nur klein und kaum hallvoll aber mit so ungenügenden Ventilationsvorrichtungen versehen, daß trotzdem eine drückende Atmosphäre in demselben herrschte. Leicht entdeckte er die Gesuchte mit ihrer Begleiterin auf zwei Sitzen in der Mittelreihe Ihnen nahe, am Ende der ihnen gegenüber befindlichen Reihe, waren noch mehrere Stühle leer, und auf einen derselben setzte er sich. Sie zu sehen, ohne entdeckt zu werden, weiter wünschte er nichts.

      Das Concert hatte bereits begonnen, und da sie ihre Aufmerksamkeit den Sängern und Spielern auf der Plattform zuwandte, konnte er sich ungestraft ihres Anblicks freuen; in einer Pause aber blickte sie in den Zuschauerraum – und entdeckte ihn.

      Hatte er sie verletzt?

      Dem Anscheine nach hatte er überhaupt keinen Eindruck auf sie gemacht, denn sie sah ruhig von ihm weg nach der anderen Seite des Saales. In diesem bloßen Abwenden des Kopfes aber glaubte Ovid einen Verweis lesen zu können, deshalb begab er sich in die Sitzreihe hinter ihr; so war sie ihm ja auch näher, und er war wieder zufrieden – mehr als zufrieden.

      Das nächste Stück war ein Claviersolo und der Spieler wurde durch allgemeinen Applaus bewillkommt. Als Ovid infolge dessen zum ersten Mal nach der Plattform sah, erkannte er in dem sich Verbeugenden mit der für sein Alter frühzeitigen Glatze und dem servilen Lächeln den Musiklehrer seiner Mutter, und sofort schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß seine Mutter unter den Zuhörern sein könne. Wenn er sie nun auch bei einer sorgfältigen Musterung der Anwesenden nicht entdeckte, so wußte er doch, daß sie kommen würde, denn es war einer ihrer Hauptgrundsätze, für ihr Geld auch etwas zu haben.

      Seufzend blickte er nach dem Eingange; sein neues Glück hatte nicht lange gedauert. Hatte er sich doch neulich, als seine Mutter ihn veranlaßte, ein Billet zu diesem Concerte zu nehmen, offen gegen Concerte ausgesprochen. Was mochte dieselbe nun, wenn sie ihn unter den Zuhörern sah, mit ihrer schnellen Fassungsgabe nicht Alles vermuthen?

      Mochte indeß kommen, was wollte, er blieb auf seinem Platze und weidete seine Augen an der schlanken Gestalt des jungen Mädchens mit der milden und doch so entschiedenen Haltung des Kopfes. Das Vergnügen aber hatte jetzt einen Beigeschmack; der Gedanke an seine Mutter war dazwischen gekommen.

      Als er in der auf das Solo folgenden Pause wieder nach dem Eingange gesehen hatte und sich eben wieder abwenden wollte, hörte er Mrs. Gallilee’s, seiner Mutter, laute Stimme, wie sie ihrem einen Töchterchen eine mütterliche Ermahnung ertheilte: »Sei hier artiger als im Wagen, sonst schicke ich Dich fort.«

      Wenn sie ihn an diesem Platze sah und dann ihre geschickten Schlußfolgerungen zog, würde sie ihre Meinung ganz gewiß auf irgend eine Weise zum Ausdruck bringen; und sie war eine von den Frauen, die eine andere durch einen fragenden Blick, den sie versteckt anzubringen wissen, auf das empfindlichste beleidigen können. Des Mädchens halber entfernte sich Ovid deshalb sofort von demselben und setzte sich auf einen Platz an der Rückwand des Saales.

      In tadelloser Toilette, auf das Vollkommenste gepudert und gemalt, mit Grazie ihre Töchter führend, und in gehörigem Abstande von der Gouvernante derselben gefolgt, trat Mrs. Gallilee imponierend ein. Den Billeteur, der ihr höflich Plätze in der Nähe der Plattform anwies, setzte sie durch eine mit der holdesten Herablassung gehaltene kleine Vorlesung über Akustik in Erstaunen. »Alle Töne, Sir«, – und sie begleitete das Wort »Sir« mit einem Lächeln, – »hört man stets am besten in der Mitte des Auditoriums.« Sie übernahm also die Führung nach der Mitte des Saales, wo in der Reihe, in welcher Carmina und Teresa saßen, leere Sitze zum Platznehmen einluden; und die nicht gekannte Tante setzte sich dicht neben die nicht gekannte Nichte.

      Beide sahen einander an. War es nun infolge der im Saale herrschenden Hitze, oder hatte sich Carmina vielleicht noch nicht vollständig von der vorhergegangenen Nervenerschütterung erholt? – ihr Kopf sank auf die Schulter der alten Teresa; sie war ohnmächtig geworden.

      Capitel V

      Darf ich um eine Tasse Thee bitten, Miß Minerva?«

      »Mit Vergnügen, Mr. Le Frank.«

      »War denn Mrs. Gallilee von dem Concerte befriedigt?«

      »Ganz entzückt. Es war vollkommen.«

      »Nein, Miß Minerva – vollkommen war es nicht. Sie vergessen den Zwischenfall mit der Dame, die ohnmächtig wurde, was ebenso aufregend für das Publikum als unangenehm für die Künstler war.«

      »Vorsichtig, Mr. Le Frank! Diese neuen Häuser haben so dünne Wände und Decken, und man könnte Sie vielleicht oben hören. Die ohnmächtig Gewordene ist dort und mit ihr alle Elemente zu einem Roman. Ist Ihnen der Thee so recht?«

      In dieser scherzhaft reizenden Weise spielte Miß Minerva, die Gouvernante Mrs. Gallilee’s, mit der Neugier des Musiklehrers, der ein höfliches Interesse an der bevorstehenden Enthüllung bekundete, die tiefliegenden Augen aufriß und die zart gezeichneten Brauen in die Höhe zog. Derselbe war nach dem Concerte im Gallilee’schen Hause vorgesprochen, um eine Tasse Thee (mit möglichst viel Lob versüßet) im Schulzimmer einzunehmen, und befand sich nun einem auffallenden persönlichen Contrast im Gesicht der Gouvernante gegenüber, die, an der andern Seite des Tisches sitzend, zuvorkommend die Wirthin machte.

      Mr. Le Franks volle Wangen strotzten von Farbe, die Ueberreste gelben Haares, die noch die Seiten seines Hauptes zierten, erschienen so seidenartig gebrechlich wie gesponnenes Glas,

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