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respektlos dir gegenüber. Wir sollten ihr das nicht durchgehen lassen."

      Riley seufzte.

      "Sie benimmt sich nicht daneben", sagte sie.

      "Wie würdest du es denn nennen?"

      Riley dachte einen Moment nach.

      "Sie hat einfach so viel Mitgefühl", sagte sie. "Sie macht sich Sorgen um ihre Freundin Tiffany und sie fühlt sich machtlos. Sie hat Angst, dass Lois etwas Schreckliches zugestoßen ist. Wir sollten froh sein, dass sie sich um andere kümmert. Das ist auch ein Zeichen des Erwachsenwerdens."

      Wieder verfielen sie ins Schweigen.

      "Was denkst du, was wirklich passiert ist?", fragte Ryan schließlich. "Denkst du, Lois hat Selbstmord begangen oder ist sie ermordet worden?"

      Riley schüttelte erschöpft den Kopf.

      "Ich wünschte, ich wüsste es", sagte sie. "Ich habe gelernt, meinem Bauchgefühl zu vertrauen, meinen Instinkten. Aber meine Instinkte melden sich nicht. Ich habe kein unterschwelliges Gefühl für die eine oder andere Möglichkeit."

      Ryan tätschelte ihr die Hand.

      "Was auch immer passiert ist, es ist nicht deine Verantwortung", sagte er.

      "Du hast Recht", sagte Riley.

      Ryan gähnte.

      "Ich bin müde", sagte er. "Ich denke, ich gehe früh ins Bett."

      "Ich bleibe noch eine Weile sitzen", sagte Riley. "Ich bin noch nicht bereit schlafen zu gehen."

      Ryan ging nach oben und Riley goss sich ein weiteres, großes Glas ein. Das Haus war ruhig und Riley fühlte sich alleine und seltsam hilflos – genau so, wie April sich gerade fühlen musste. Aber nach einem weiteren Drink fing sie an sich zu entspannen und leicht dösig zu fühlen. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und streckte sich auf der Couch aus.

      Eine Weile später wachte sie auf und sah, dass jemand eine Decke über sie ausgebreitet hatte. Ryan musste noch einmal nach unten gekommen sein, um sicherzugehen, dass es ihr gut ging.

      Riley lächelte, sich jetzt deutlich weniger einsam fühlend. Dann schlief sie wieder ein.

      *

      Riley spürte einen Anflug von Déjà-vu, als April auf die Garage der Penningtons zueilte.

      Wie schon am Tag zuvor, rief Riley:

      "April, komm da weg!"

      Diesmal zog April das Absperrband zur Seite, bevor sie die Tür öffnete.

      Dann verschwand April in der Garage.

      Riley rannte hinter ihr her und trat hinein.

      Das Innere der Garage war deutlich größer und dunkler, als es noch am Tag zuvor gewesen war, wie ein großes, verlassenes Lagerhaus.

      Riley konnte April nirgendwo entdecken.

      "April, wo bist du?", rief sie.

      Aprils Stimme hallte durch die Luft.

      "Ich bin hier, Mom."

      Riley konnte nicht sagen, wo die Stimme herkam.

      Sie drehte sich im Kreis, durchsuchte mit zusammengekniffenen Augen die scheinbar endlose Dunkelheit.

      Endlich ging das Deckenlicht an.

      Riley erstarrte vor Entsetzen.

      Von einem Balken hing ein Mädchen, das nur wenig älter war als April.

      Sie war tot, aber ihre Augen waren offen und ihr Blick auf Riley gerichtet.

      Und überall um das Mädchen herum, auf Tischen und auf dem Boden, lagen und standen hunderte von Fotos, die das Mädchen zusammen mit ihrer Familie zu verschiedenen Stadien ihres Lebens zeigten.

      "April!", schrie Riley.

      Es kam keine Antwort.

      Riley erwachte mit einem Ruck und setzte sich kerzengerade auf, fast hyperventilierend nach diesem Albtraum.

      Sie konnte sich gerade noch davon abhalten mit voller Lautstärke nach ihrer Tochter zu rufen.

      "April!"

      Aber sie wusste, dass April im Obergeschoss schlief.

      Die ganze Familie schlief – von ihr abgesehen.

      Warum habe ich das geträumt? fragte sie sich.

      Es dauerte nur einen Augenblick, bevor sie die Antwort wusste.

      Ihre Instinkte hatten sich endlich gemeldet.

      Sie wusste, dass April recht hatte – etwas stimmte nicht an Lois' Tod.

      Und es lag an ihr herauszufinden, was.

      KAPITEL FÜNF

      Riley spürte einen kalten Schauer, als sie am Byars College aus dem Auto stieg. Es lag nicht nur am Wetter, das kalt genug war. Die Schule vermittelte ihr ein seltsam unwillkommenes Gefühl.

      Sie schauderte noch einmal, als sie sich umsah.

      Studenten wanderten über den Campus, dick gegen die Kälte angezogen, von einem Gebäude zum anderen eilend, ohne miteinander zu sprechen. Keiner von ihnen sah glücklich aus, hier zu sein.

      Kein Wunder, dass Studenten sich hier umbringen wollen, dachte Riley.

      Die Schule schien einem vergangenen Zeitalter anzugehören. Riley kam sich fast vor, als würde sie in die Vergangenheit treten. Die alten Backsteingebäude waren in tadellosem Zustand. Ebenso wie die weißen Säulen, Relikte einer Zeit, in der Säulen für jede Art von offiziellem Gebäude benötigt zu werden schienen.

      Der parkähnliche Campus war beeindruckend groß, bedachte man, dass er mitten in der Hauptstadt des Landes lag. Natürlich war DC während seiner etwa zweihundertjährigen Geschichte beständig gewachsen. Die kleine, exklusive Schule war gewachsen, hatte Abgänger hervorgebracht, die anschließend zu den prestigeträchtigsten Universitäten des Landes gingen, bevor sie Machtpositionen in Politik und Wirtschaft erlangten. Studenten kamen an Schulen wie diese, um wertvolle Verbindungen zu knüpfen, die ein Leben lang hielten.

      Natürlich war sie viel zu teuer für Rileys Familie – selbst, dessen war sie sich sicher, mit den Stipendien, die gelegentlich an ausgezeichnete Schüler bestimmter Familien gingen. Nicht, dass sie April hierher schicken wollte. Oder Jilly, was das betraf.

      Riley ging zum Verwaltungsgebäude und fand das Büro des Dekans, wo sie von einer streng dreinblickenden Sekretärin begrüßt wurde.

      Riley zeigte der Frau ihre Marke.

      "Spezialagentin Riley Paige vom FBI. Ich hatte angerufen."

      Die Frau nickte.

      "Dekan Autrey erwartet Sie", sagte sie.

      Die Frau führte Riley in ein großes, düsteres Büro, mit einer dunklen Holzverkleidung.

      Ein eleganter, älterer Mann stand von seinem Schreibtisch auf, um sie zu begrüßen. Er war groß, hatte graue Haare, und trug einen teuren Dreiteiler mit einer Fliege.

      "Agentin Paige, nehme ich an", sagte er mit einem unterkühlten Lächeln. "Ich bin Dekan Willis Autrey. Bitte setzen Sie sich doch."

      Riley ließ sich auf einem der Stühle vor seinem Schreibtisch nieder, Autrey fiel zurück in seinen Bürosessel.

      "Ich bin nicht sicher, dass ich den Grund für Ihren Besuch richtig verstanden habe", begann er. "Etwas über das bedauerliche Verscheiden von Lois Pennington, nicht wahr?"

      "Ihren Selbstmord, meinen Sie", sagte Riley.

      Autrey nickte und legte die Fingerspitzen in einer nachdenklichen Geste vor dem Kinn zusammen.

      "Kaum ein FBI Fall, würde ich denken", sagte er. "Ich habe die Eltern des Mädchens angerufen und

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