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deine Leute?“, fragte Kyra. „Wie sind die?“

      Kyra seufzte.

      „Wir sind ein stolzes Volk“, antwortete sie, „genau wie alle anderen in Escalon auch. Doch wir sind auch anders. Man sagt, dass die Menschen aus Ur ein Auge auf Escalon haben und das andere auf das Meer. Wir blicken zum Horizont. Wir sind weniger provinziell als andere – vielleicht weil so viele Fremde an unserer Küste ankommen. Die Männer von Ur waren einst berühmte Krieger, ganz besonders mein Vater. Jetzt sind wir Unterdrückte, wie alle anderen auch.“

      Sie seufzte und schwieg eine ganze Weile, sodass Kyra überrascht war, als sie weitersprach.

      „Unsere Stadt ist durchzogen von Kanälen“, fuhr Deirdre fort. „Als ich dort aufgewachsen bin, habe ich oft auf dem Gipfel eines Hügels gesessen und stundenlang das Kommen und Gehen der Schiffe beobachtet, manchmal tagelang. Sie kommen aus der ganzen Welt zu uns unter allen möglichen Bannern, mit Segeln in allen erdenklichen Farben. Sie bringen Gewürze und Seide und Waffen und Delikatessen aller Art – manchmal sogar Tiere. Ich habe immer die Leute beobachtet und mich gefragt, wie sie wohl lebten. Ich wollte so gerne eine von ihnen sein.“

      Sie lächelte, ein ungewöhnlicher Anblick und ihre Augen leuchteten von den Erinnerungen.

      „Ich hatte immer einen Traum“, sagte Deirdre. „Ich habe immer gedacht, dass wenn ich alt genug wäre, auf einem dieser Schiffe in ein fremdes Land segeln und dort meinen Prinzen finden würde. Dann würden wir auf einer wunderschönen Insel leben in einem großen Schloss. Egal wo, nur nicht in Escalon.“

      Kyra sah Deirdre an, die immer noch lächelte.

      „Und jetzt?“, fragte Kyra.

      Deirdres Gesicht wurde Ernst, als sie in den Schnee blickte und ihre Augen waren plötzlich traurig. Sie schüttelte nur den Kopf.

      „Für mich ist es jetzt zu spät“, sagte Deirdre. „Nach allem, was sie mir angetan haben.“

      „Es ist nie zu spät“, sagte Kyra, um sie aufzumuntern.

      Doch Deirdre schüttelte nur den Kopf.

      „Das waren die Träume eines unschuldigen Mädchens“, sagte sie voller Bedauern. „Dieses Mädchen gibt es schon lange nicht mehr.“

      Kyra empfand Mitleid und Trauer für ihre Freundin als sie schweigend weiterritten, tiefer und tiefer in den Wald hinein. Sie wollte ihr den Schmerz nehmen, doch sie wusste nicht wie. Sie dachte über all das Leid nach, mit dem viele Menschen leben mussten. Was hatte ihr Vater einst gesagt? Lass dich nicht von Gesichtern täuschen. Wir alle leben Leben voller stiller Verzweiflung. Manche verbergen es besser als andere. Empfinde Mitleid für alle, selbst wenn du keinen äußerlichen Grund dazu siehst.

      „Der schlimmste Tag in meinem Leben“, fuhr Deirdre fort, „war als mein Vater sich dem pandesischen Gesetz unterworfen hat, ihren Schiffen erlaubt hat, in unsere Kanäle zu fahren und seinen Männer befohlen hat, unsere Banner einzuholen. Dieser Tag war sogar noch trauriger als der, an dem er ihnen erlaubt hat, mich mitzunehmen.“

      Kyra verstand sie nur zu gut. Sie verstand den Schmerz, den Deirdre hatte ertragen müssen, das Gefühl, verraten zu werden.

      „Und wenn du zurückkehrst?“, fragte Kyra. „Wirst du deinen Vater sehen?“

      Deirdre blickte mit gequälter Miene zu Boden. Schließlich sagte sie, „Er ist immer noch mein Vater. Er hat einen Fehler gemacht und ich bin mir sicher, dass er nicht wusste, was sie mit mir tun würden. Ich denke er wird nie wieder derselbe sein, wenn er erfährt, was geschehen ist. Ich will es ihm sagen. Von Angesicht zu Angesicht. Ich will, dass er meinen Schmerz über seinen Verrat versteht. Er muss begreifen, was passiert, wenn Männer über das Schicksal von Frauen entscheiden.“ Sie wischte eine Träne fort. „Er ist einmal mein Held gewesen. Ich verstehe nicht, wie er mich an sie übergeben konnte.“

      „Und jetzt?“, fragte Kyra.

      Deirdre schüttelte den Kopf.

      „Nicht mehr. Kein Mann wird je mehr mein Held sein. Ich werde andere Helden finden.“

      „Was ist mit dir?“

      Deirdre sah sie verwirrt an.

      „Was meinst du?“

      „Warum fängst du nicht bei dir selbst an?“, fragte Kyra. „Kannst du nicht deine eigene Heldin sein?“

      Deirdre schnaubte.

      „Warum sollte ich eine Heldin sein?“

      „Für mich bist du eine Heldin“, sagte Kyra. „Was du in dem Kerker erlitten hast – hätte ich nicht ertragen können. Du hast überlebt. Mehr noch – du bist aufgestanden und blühst auf. Das ist es, was für mich eine Heldin ausmacht.“

      Deirdre schien über ihre Worte nachzudenken, während sie schweigend weiter ritten.

      „Und du, Kyra?“, fragte Deirdre schließlich. „Erzähl mir von dir.“

      Kyra zuckte mit den Schultern.

      „Was möchtest du wissen?“

      Deirdre räusperte sich.

      „Erzähl mir von dem Drachen. Was ist da passiert? Ich habe noch nie so etwas gesehen. Warum ist er zu dir gekommen?“ Sie zögerte. „Wer bist du?“

      Kyra war überrascht, Furcht in der Stimme ihrer Freundin zu spüren. Sie dachte über ihre Worte nach, denn sie wollte so wahrheitsgetreu wie möglich antworten – und wünschte sich, sie hätte eine Antwort.

      „Ich weiß es nicht“, sagte sie ehrlich. „Ich denke, das werde ich am Ende dieser Reise herausfinden.“

      „Du weißt es nicht?“, drängte Deirdre. „Ein Drachen schießt vom Himmel herab, um für dich zu kämpfen, und du weißt nicht warum?“

      Kyra dachte darüber nach, wie verrückt das klang, doch sie konnte nur den Kopf schütteln. Instinktiv blickte sie zum Himmel auf, der durch die knorrigen Äste zu sehen war und hoffte auf ein Zeichen von Theos.

      Doch sie sah nichts als bedrückende Finsternis. Sie hörte ihn auch nicht und das Gefühl der Isolation wurde stärker.

      „Du weißt, dass du anders bist, nicht wahr?“, fragte Deirdre.

      Kyra zuckte mit den Schultern. Ihre Wangen brannten und sie war unsicher. Sie fragte sich, ob ihre Freundin für eine Missgeburt hielt.

      „Ich war mir immer aller Dinge so sicher“, antwortete Kyra. „Doch jetzt… weiß ich gar nichts mehr.“

      Sie fielen wieder in behagliches Schweigen und ritten stundenlang weiter. Manchmal, wenn der Wald sich lichtete, kamen sie schneller voran, und manchmal wurde er so dicht, dass sie absteigen und ihre Pferde führen mussten. Kyra war die ganze Zeit über nervös und hatte das Gefühl, dass sie jederzeit angegriffen werden könnten. Sie wusste nicht, was mehr schmerzte, die Kälte oder der Hunger. Ihre Muskeln brannten und sie konnte ihre Lippen nicht spüren. Sie war schrecklich unglücklich. Sie konnte kaum glauben, dass ihre Reise gerade erst begonnen hatte.

      Nach dem weitere Stunden vergangen waren, begann Leo zu wimmern. Es waren seltsame Laute, nicht sein normales Winseln, sondern die Laute, die er von sich gab, wenn er etwas zu essen Roch. Und plötzlich roch Kyra es auch und auch Deirdre wandte den Kopf.

      Kyra spähte durch den Wald, doch sie sah nichts. Als sie stehenblieben und lauschten, begann sie, etwas vor sich zu hören.

      Kyra war aufgeregt über den Geruch und nervös über das, was es bedeutete: andere waren hier mit ihnen im Wald. Sie erinnerte sich an die Warnung ihres Vaters und das letzte, was sie wollte war eine Konfrontation. Nicht hier und nicht jetzt.

      Deirdre sah sie an.

      „Ich bin am Verhungern“, sagte sie.

      Auch Kyra knurrte der Mangen.

      „Wer auch immer das ist“, sagte Kyra. „Ich fürchte, dass niemand in einer Nacht wie dieser gerne teilen möchte.“

      „Wir haben jede  Menge Gold“, sagte Deirdre. „Vielleicht verkaufen

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