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      J’accuse / Zwei Jahre in französischer Gefangenschaft

      Wo warst Du?

      Einstellen aller Fehden,

      Befehl, Gewehr in Ruh!

      Nun, Deutschland, frage jeden

      Das eine: Wo warst du?

      Hast du den Ruf vernommen

      Vom heil’gen Deutschen Reich?

      Bist du zurückgekommen,

      Und kamst du alsogleich?

      Uns hat ein Heimatkünden

      Wie Schreckensruf gejagt,

      Der Weg war schwer zu finden,

      Wir haben ihn gewagt —

      Und dann in Kerkermauern

      Den falschen Weg gebüßt,

      Doch ohne Reu und Trauern,

      Weil wir es so gemüßt. —

      Wag’ einer, uns zu schmälen,

      Weh dem, der unser spott’!

      Den Weg galt’s uns zu wählen,

      Wohin er führte, Gott. —

      Wir haben schwer gelitten,

      Daß noch das Inn’re brennt,

      So wie wir keinem Dritten

      Zu leiden je gegönnt.

      Eh’ wer uns höhnend stelle,

      Ballt uns’re Faust sich zu:

      Auf Widerfrag’, Geselle,

      Sag’ an: Wo, wie warst du?

      Château d’If

      Es war eine klägliche Rolle, die mir im Weltkriege 1914 zufiel, ich hatte mir alles so anders gedacht, als ich auf den ersten Kriegsruf hin von Malaga nach Barcelona fuhr, mich zu stellen. Zweimal machte ich die Fahrt, war inzwischen auch in Valencia, um dort einen Weg nach der schwerbedrohten Heimat zu suchen. Die Würfel fielen ungleich. Während einige von uns mit gutem Glück nach Genua gelangten, wurden wir trotz der Zusicherung, die wir von der deutschen, französischen und spanischen Regierung erhielten, in Marseille gefangengenommen und zur Untätigkeit rettungslos verdammt. Wenn mir je ein Wort Goethes Trost gewesen, so war es in dieser trostlosen Zeit Fausts Mahnung an den Menschen: Er stehe fest und sehe hier sich um, dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm. Dieses weltumfassende Wort verkleinerte ich mir für meine augenblickliche Lage so: Nicht jedem ist es vergönnt, in so gewaltiger Zeit da zu stehen, wo der Tod oder das E. K. winkt. Auch andere Posten verteilt das eherne Kriegsgesetz, und wen es auf minderwertigen gestellt, von dem fordert es gleiche Hingabe wie vom Vorposten. Fest soll er stehen und sich umsehen, dem Tüchtigen weist auch geringe Stellung seine Aufgabe, und ein Zusammenarbeiten aller erfordert so ernste Zeit. So lernte ich mich bescheiden und gewöhnte mich daran, dem Kasernenton französischer Korporale zu gehorchen und die hämische Behandlung unserer Vorgesetzten zu ertragen, unter der wir mehr litten, als unter schlechter Behausung und Ernährung. Ich suchte meinen Anteil am Kriege zu gewinnen, so klein er sei, und es ist mir oft gelungen, nicht immer.

      Was ich bringe, ist wahr, mag es auch romanhaft klingen. Alle Briefe sind authentische Kopien, mit Ausnahme der Briefe an meine Frau, welche nur meinem Bedürfnis Rechnung trugen, mich ihr mitzuteilen, die ebenso litt wie ich. Sie hätten natürlich in dieser Form die Zensur nie passiert. So mag das Buch von seelischen und körperlichen Leiden erzählen. Es bringt davon vielleicht mehr, als sonst Gefangene erduldet haben; es mag auch berichten von einer Auferstehung unserer selbst, die viele, nicht alle, feiern durften.

      Da unsere Beglaubigungen, die der Sisterleute, in Bausch und Bogen gemacht sind, bringe ich diejenigen zur Veröffentlichung, mit welchen versehen zwei Herren, auf demselben Wege wie wir, drei Wochen später unser Schicksal zu teilen gezwungen wurden. Die beiden Herren, Herr Müller und Herr Weißschedel, trugen folgendes Schriftstück in spanischer und französischer Sprache und amtlich beglaubigt bei sich:

      Staatsministerium: Als Resultat der vom Staatsministerium bei Empfang der Verbalnote der deutschen Gesandtschaft vom 24. August d. J. unternommenen Schritte, gibt die Regierung der französischen Republik die Zusicherung, daß die deutschen Untertanen – Nichtkombattanten – , welche, von Barcelona kommend, auf der Heimreise einen französischen Hafen berühren und mit einem Ausweis des deutschen Generalkonsulats, der vom Zivilgouverneur von Barcelona visiert ist, versehen sind, weder angehalten noch belästigt werden sollen. San Sebastian, 28. August 1914.

      In den ersten Morgenstunden des 24. August fuhren wir auf dem spanischen Schiff „Sister“ an den Inseln „Château d’If“ und „Frioul“ vorüber in den Hafen von Marseille, von wo wir, nach kurzem Aufenthalt, nach Genua sollten. Die Gestalt der durch Dumas Grafen von Monte Christo, genugsam bekannten Insel in der fahlen Dämmerbeleuchtung reizte uns zur üblichen Unterhaltung. Wir ahnten nicht, wie tief wir in die Geheimnisse der sagenumsponnenen Ruine eindringen sollten. Aber der Anblick allein warf seine Schatten voraus. Es ging wie ein banges Ahnen durch unsere Reihen, und die frohe Stimmung des gestrigen Abends wollte nicht mehr aufkommen. Wir verloren an dem bedrückenden Morgen mehr und mehr die Zuversicht, und wie ein Alpdruck legte sich langsam die Erkenntnis unserer Lage auf uns. Nachmittags war es bestimmt: 72 Männer, also fast alle, gleichviel ob sie über 45 Jahre, ob sie Invaliden, Aerzte oder Priester waren, wurden zu Kriegsgefangenen der französischen Republik gemacht. Wehrlos mußten wir den Bajonetten der französischen Soldaten gehorchen, und nach einem kurzen und würdigen Abschied von den Unseren – ich reiste mit meiner Frau und meiner 16jährigen Tochter – wurden wir aufs Ponton kommandiert, von Bajonetten umschlossen, und fuhren, zuerst von dem erschütternden Jammern der Unseren, dann von dem Johlen und Kreischen der Marseiller Weiber: à bas! à bas! à la mer! à la mer! begleitet nach Château d’If. —

      Wir langten etwa um 4½ Uhr nachmittags an der Landungsbrücke an, mußten unsere Koffer usw. bis nach oben zum Platze, der das eigentliche Château umgibt, tragen, dann kam die Revision des Gepäcks auf Waffen, Ferngläser und photographische Apparate, eine Untersuchung, die sich in der Zeit unserer Gefangenschaft noch bis zum Ueberdruß wiederholen sollte. Dann waren wir für einige Zeit uns selber überlassen. Wenn man mir mit einer Keule über den Kopf geschlagen hätte, mir wäre, glaube ich, nicht übler zumute gewesen, als diesen Nachmittag. Der Major, welcher uns auf dem Schiffe gefangennahm, hatte so freundlich meiner Frau versichert: „Seien Sie ganz unbesorgt, Ihr Herr Gemahl wird es gut haben, gutes Bett, gutes Essen, gerade wie zu Hause.“ Er hatte das so treuherzig versichert, und wir kannten damals die hämische Art unserer Quäler noch nicht. Nun standen mein Freund Moritz und ich vor den öden Mauern der Burgruine, durch deren vergitterte Fensterhöhlen die untergehende Sonne kümmerlichen Weg suchte. Wir sahen erstaunt einander an und unsere blöden Gesichter fragten: „Soll das die standesgemäße Unterkunft für uns bedeuten?“ Gegenüber vom Kastell lag ein Café für Sonntagsbesucher; der Preis für Erfrischungen war noch aufgeschrieben, aber die Wirtschaft war außer Betrieb gesetzt. Senkrecht dazu die Kantine, welche uns ihre Räume heimlich öffnete und uns, die wir den ganzen Tag nichts genossen, etwas Speise und Trank verabreichte. Vergebens spähte unser Auge nach einem kasernenartigen Gebäude, das uns wenigstens gefensterte Räume, die durch Türen zu schließen waren, geboten hätte. Man ließ uns keine Zeit zu solchen nichtswürdigen Betrachtungen. Château d’If öffnete sein Kerkertor, nachdem wir je 2 und 2 Mann mit einer Strohmatratze beladen waren, und schloß sich hinter uns. Wir suchten ermüdet Raum, wo wir ihn fanden, uns zu betten, und die kleinen Schlafgesellen, die wir von nun an nie mehr ganz entbehrten, hätten uns kaum erweckt, wenn nicht ein französischer Offizier diese Aufgabe übernommen hätte, wohl in der löblichen Absicht, uns daran zu gewöhnen, daß wir in Frankreich nicht auf Rosen gebettet seien. Wie einer nächtlichen Vision erinnere ich mich dieses Besuches. Das Geisterzimmer plötzlich blendend hell, durch Fackeln erleuchtet, blitzende Uniformen, grell leuchtende Bajonette, ein kurzer Befehl, vier Hände rissen eine Matratze mit rasender Geschwindigkeit an sich, deren schlaftrunkene Inhaber zu einem kunstvollen Saltomortale gezwungen wurden. Aufschlagen, wie von gebrochenen Leibern, Abmarsch der Sieger, leises Wimmern der Besiegten, tiefe Dunkelheit und Ruhe. – Wir hatten es eben ganz wie zu Hause. – Am nächsten Morgen erwachten wir beim ersten Grauen des Tages. Es lag eine bleierne Schwere auf

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