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arl May

      OLD SUREHAND II

      Erstes Kapitel: Bei Mutter Thick

      Jefferson-City, die Hauptstadt des Staates Missouri und zugleich der Hauptort des County Cole, liegt am rechten Ufer des Missouri auf einer anmutigen Höhe, welche einen sehr interessanten Blick auf den unten strömenden Fluß und das auf demselben herrschende rege Leben und Treiben bietet. Die Stadt hatte damals viel weniger Einwohner als jetzt, war aber trotzdem bedeutend durch ihre Lage und durch den Umstand, daß hier die regelmäßigen Sitzungen des Distriktsgerichts abgehalten wurden. Es gab mehrere große Hotels da, welche für gutes Geld passable Wohnung und genießbares Essen gewährten; ich verzichtete aber darauf, in einem derselben einzukehren, weil ich erstens das Hotelleben nicht liebe, sondern lieber dahin gehe, wo ich die Menschen in ihrer Ursprünglichkeit kennen lernen kann, und weil es zweitens einen Ort gab, an welchem man für viel weniger Geld sehr gut wohnte und vortrefflich verpflegt wurde. Das war Firestreet No. 15 bei Mutter Thick, in dem von den Seen bis zum mexikanischen Golfe und von Boston bis San Francisco wohlbekannten Boardinghouse, an welchem gewiß kein echter Westmann, falls er einmal nach Jefferson-City kam, vorüberging, ohne einen kürzeren oder längeren drink zu halten und dabei den Erzählungen zu lauschen, welche im Kreise der anwesenden Jäger, Trapper und Squatter die Runde machten. Mutter Thicks Lokal war bekannt als ein Ort, in welchem man auf diese Weise den wilden Westen kennen lernen konnte, ohne die dark-and-bloody-grounds selbst aufsuchen zu müssen.

      Es war Abend, als ich den Gastraum betrat, wo ich noch nie gewesen war. Mein Pferd und meine Gewehre hatte ich auf einer aufwärts am Flusse liegenden Farm gelassen, wo Winnetou meine Rückkehr erwarten wollte. Er liebte es nicht, in der Stadt zu wohnen und sich auf den Straßen herumzutreiben, und hatte deshalb für einige Tage diesen Aufenthalt auf dem Lande genommen. Ich hatte in der City verschiedene Einkäufe zu machen, und auch mein Anzug, der außerordentlich mitgenommen war, bedurfte einiger Aufbesserung oder vielmehr er bedurfte derselben sehr, besonders was die langen Stiefel betraf, die an vielen Stellen höchst »offenherzig« geworden waren und ihren früheren Gehorsam in der Weise verloren hatten, daß sie, ich mochte die Schäfte herauf bis an den Leib ziehen, so oft ich wollte, doch immer wieder bis auf die Füße herunterrutschten.

      Zugleich wollte ich meinen kurzen Aufenthalt hier in der Stadt dazu benutzen, eine Erkundigung nach Old Surehand einzuziehen. Als ich ihn bei unsrer Trennung gefragt hatte, ob, wann und wo ich ihn vielleicht wiedersehen könne, war er nicht imstande gewesen, mir eine bestimmte Antwort zu geben, hatte mir aber gesagt:

      »Wenn Ihr einmal zufälligerweise nach Jefferson-City, Missouri, kommt, so geht in das Bankgeschäft von Wallace und Co., wo Ihr erfahren werdet, wo ich mich zu der betreffenden Zeit befinde.«

      Nun war ich da und wollte diese Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen lassen, ohne Wallace und Co. aufzusuchen.

      Also es war abends, als ich bei Mutter Thick eintrat. Ich sah einen langen und ziemlich breiten Raum, der von mehreren Lampen hell erleuchtet war. Es standen wohl gegen zwanzig Tische da, von denen die Hälfte besetzt war, und zwar von einer sehr gemischten Gesellschaft, wie ich trotz des außerordentlich dichten Tabakqualmes sah. Es gab da einige fein gekleidete Gentlemen – die Papiermanschetten weit aus den Aermeln hervorstrebend, den Cylinder tief im Nacken und die in glanzledernen Stiefeletten steckenden Füße auf dem Tische; Trappers und Squatters in allen Formen und Farben und in die unbeschreiblichsten Gewandungen gehüllt; farbige Leute vom tiefsten Schwarz bis zum hellen Graubraun, mit wolligem, lockigem und schlichtem Haare, mit wulstigen und schmalen Lippen, mit gestülpten Negernasen oder solchen von mehr oder weniger kaukasischem Schnitte; Flößer und Schiffsknechte, die Stiefelschäfte hoch heraufgezogen und das blitzende Messer neben dem heimtückischen Revolver im Gürtel; Halbblutindianer nebst andern Mischlingen von allen möglichen Sorten und Schattierungen.

      Dazwischen fegte die wohlbeleibte, ehrbare Mutter Thick umher, und sorgte mit behender Gewandtheit dafür, daß keinem ihrer Gäste das mangelte, wonach sein Begehr ging. Sie kannte alle, nannte jeden bei seinem Namen, warf dem einen freundlichen Blick zu und drohte jenem, der zum Streite aufgelegt zu sein schien, heimlich warnend mit dem Finger. Sie kam auch zu mir, als ich mich gesetzt hatte, und fragte nach meinem Wunsche.

      »Kann ich ein Glas Bier bekommen, Mutter Thick?« fragte ich.

      »Yes,« nickte sie, »sehr gutes sogar. Habe es gern, wenn meine Gäste Bier trinken; ist besser und gesünder und auch anständiger als Brandy, der oft tolle Köpfe macht. Seid wahrscheinlich ein Deutscher, Sir?«

      »Yes.«

      »Dachte es mir, weil Ihr Bier verlangt. Die Deutschen trinken immer Bier, und sie sind klug, daß sie es thun. Ihr waret noch nicht bei mir?«

      »Nein, möchte aber heut Eure Gastfreundlichkeit in Anspruch nehmen. Habt Ihr ein gutes Bett?«

      »Meine Betten sind alle gut!«

      Sie musterte mich mit prüfendem Blicke. Mein Gesicht schien ihr besser zu gefallen als mein sonstiges Aeußere, denn sie fügte hinzu:

      »Scheint lange keine Wäsche gewechselt zu haben; aber Eure Augen sind gut. Wollt Ihr billig boarden?«

      Billig boarden heißt, das Bett mit noch andern teilen.

      »Nein,« antwortete ich. »Es würde mir sogar lieb sein, wenn ich nicht im gemeinschaftlichen Saal schlafen müßte, sondern ein separates Zimmer haben könnte. Zahlungsfähig bin ich trotz meines schlimmen Anzuges.«

      »Glaube das, Sir. Sollt ein Zimmer haben. Und wenn Euch hungern sollte, da ist der Speisezettel.«

      Sie gab mir das Papier und ging fort, um das Bier zu holen. Die gute Dame machte ganz den Eindruck einer sehr verständigen, freundlichen und besorgten Hausmutter, deren Glück es ist, Zufriedenheit um sich zu sehen. Auch die Einrichtung des Lokals heimelte mich an; sie war mehr deutsch als amerikanisch zu nennen.

      Ich hatte an einem leeren Tische Platz genommen, welcher in der Nähe einer langen Tafel stand, die von Gästen vollständig besetzt war. Es gab da einige Herren, die man mit dem ersten Blicke als wirkliche Gentlemen erkannte, wahrscheinlich Einwohner der Stadt und Stammgäste der Mutter Thick, daneben aber auch Gestalten von der Art, wie ich sie soeben beschrieben habe. Diese Leute hatten, als ich eintrat und mich unfern von ihnen niedersetzte, eine sehr animierte Unterhaltung unterbrochen, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu richten; das dauerte aber nur so lange, als Mutter Thick mit mir sprach; dann schienen sie einzusehen, daß ich kein würdiger Gegenstand ihres ferneren Interesses sei, und derjenige von ihnen, welcher zuletzt gesprochen hatte, nahm seine unterbrochene Rede wieder auf:

      »Ja, es ist so, wie ich sage: Es hat in den Vereinigten Staaten niemals einen größeren Schurken gegeben wie den Kanada-Bill. Wer das nicht glaubt, dem will ich es gern und sogleich mit einigen Zoll kalten Eisens in den Leib beweisen. Wünscht einer von euch diesen Beweis, Mesch‘schurs?«

      »Nein; wir glauben es gern; wir wissen es ja,« antwortete einer von den erwähnten Gentlemen.

      »Besser wie ich könnt Ihr es nicht wissen, Sir!«

      »Ihr habt wohl eine Rechnung mit ihm gehabt?«

      »Eine Rechnung? Pshaw! Ein ganzes, großes, vollgeschriebenes Schuldbuch, muß ich sagen. Er war so berüchtigt, daß man sogar drüben im alten Lande in den Zeitungen über ihn geschrieben hat, wie ich erfahren habe. Keinem aber hat er in der Weise mitgespielt als wie mir.«

      Er schien, wie ich, zum ersten Male hier zu sein, denn als er diese Worte sagte, betrachteten ihn die Anwesenden mit besonderen Blicken. Er war ein langer, sehr hagerer Mann und trug einen Büffellederrock, der so viel Dienste geleistet hatte, daß er nur noch aus Flicken und Flecken bestand. Die Leggins waren ihm viel zu kurz; sie reichten lange nicht hinab bis zu den Mokassins, die mit vielen Kreuz- und Querstichen von Hirschsehne ausgebessert waren, und auf dem Kopfe trug er eine Mütze, die früher vielleicht einmal eine Pelzmütze gewesen war, jetzt aber alle Haare verloren hatte und ihm wie ein umgestülpter Bärenmagen auf dem Haupte saß. Im Gürtel, der mit allen möglichen Requisiten behangen war, steckten Bowiekneif, Revolver und Tomahawk; den Lasso hatte er sich in Schlingen unter dem linken Arm bis über die rechte Schulter geworfen, und neben ihm lehnte eine alte Büchse, welche vom Kolben bis zum Laufteile mit zahlreichen Einschnitten, Kerben und sonstigen für Fremde rätselhaften Charakteren versehen war.

      »Ihr macht uns neugierig,

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