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Sehnerven wieder erholt hätten, zu einem chirurgischen Eingriff schreiten.

      Charousek ballte die Fäuste.

      «Das nennen wir in der Schachsprache ›Zugzwang‹, lieber Meister Pernath! – Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, – ein erzwungener Zug nach dem andern.

      Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr. Wassory, er möge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise verschieben und die Operation selber vornehmen. – Es handle sich doch um mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden Augenblick erblinden zu müssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben könne.

      Und je mehr das Scheusal sich sträubte und jammerte: ein Aufschub seiner Reise könne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto höhere Summen boten freiwillig die Kranken.

      Schien schließlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und fügte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren Schaden zu, jenes immerwährende Gefühl des Geblendetseins, das das Leben zu stetiger Qual gestalten mußte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein für allemal verwischte.

      Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, – es befriedigte gleichzeitig seine maßlose Geldgier und frönte seiner Eitelkeit, wenn die ahnungslosen, an Körper und Vermögen geschädigten Opfer zu ihm wie zu einem Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.

      Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unüberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und Vermögensverhältnisse erriet und durchschaute, – nur ein solcher – «Halbhellseher» möchte man es beinahe nennen, – konnte jahrelang derartige Scheußlichkeiten verüben.

      Und wäre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch, würde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schließlich als ehrwürdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren, künftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu genießen, bis – bis endlich auch über ihn das große Verrecken hinweggezogen wäre.

      Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener Atmosphäre höllischer List gesättigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu bringen, – so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, – wie aus heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.

      Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der Entlarvung, – ihn schob ich vor und häufte Beweis auf Beweis, bis der Tag anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.

      Da beging die Bestie Selbstmord! – Gesegnet sei die Stunde!

      Als hätte mein Doppelgänger neben ihm gestanden und ihm die Hand geführt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche Diagnose des grünen Stars zu stellen, – absichtlich und mit dem glühenden Wunsche, daß es dieses Amylnitrit sein möchte, das ihm den letzten Stoß geben sollte.

      Der Gehirnschlag hätte ihn getroffen, hieß es in der Stadt.

      Amylnitrit tötet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das Gerücht nicht aufrechterhalten werden».

      Charousek starrte plötzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trödlerladen lag.

      «Jetzt ist er allein», murmelte er, «ganz allein mit seiner Gier und – und – und mit der Wachspuppe!»

      Mir schlug das Herz bis zum Hals.

      Ich sah Charousek voll Entsetzen an.

      War er wahnsinnig? Es mußten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge erfinden ließen.

      Gewiß, gewiß! Er hat alles erfunden, geträumt!

      Es kann nicht wahr sein, was er da über den Augenarzt Grauenhaftes erzählt hat. Er ist schwindsüchtig, und die Fieber des Todes kreisen in seinem Hirn.

      Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.

      Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene Tür hereingeschaut hatte.

      Dr. Savioli! Dr. Savioli! – ja, ja, so war auch der Name des jungen Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh flüsternd anvertraut als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.

      Dr. Savioli! – Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstürmten.

      Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzählen, was ich damals erlebt, da sah ich, daß ein heftiger Hustenanfall sich seiner bemächtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie er sich mühsam mit den Händen an der Mauer stützend in den Regen hinaustappte und mir einen flüchtigen Gruß zunickte.

      Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber, – fühlte ich, – das unfaßbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht Tag und Nacht und sich zu verkörpern sucht.

      Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plötzlich schlägt es sich nieder in einer Menschenseele, – wir ahnen es nicht, – da, dort, und ehe wir es fassen können, ist es gestaltlos geworden und alles längst vorüber.

      Und nur noch dunkle Worte über irgendein entsetzliches Geschehnis kommen an uns heran.

      Mit einem Schlage begriff ich diese rätselhaften Geschöpfe, die rings um mich wohnten, in ihrem innersten Wesen: sie treiben willenlos durchs Dasein von einem unsichtbaren magnetischen Strom belebt – so, wie vorhin das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorüberschwamm.

      Mir war, als starrten die Häuser alle mit tückischen Gesichtern voll namenloser Bosheit auf mich herüber, – die Tore: aufgerissene schwarze Mäuler, aus denen die Zungen ausgefault waren, – Rachen, die jeden Augenblick einen gellenden Schrei ausstoßen konnten, so gellend und haßerfüllt, daß es uns bis ins Innerste erschrecken müßte.

      Was hatte zum Schluß noch der Student über den Trödler gesagt? – Ich flüsterte mir seine Worte vor: – Aaron Wassertrum sei jetzt allein mit seiner Gier und – seiner Wachspuppe.

      Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?

      Es muß ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich, – eines jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu überfallen pflegt, die man nicht versteht, und die einen, wenn sie später unerwartet sichtbar werden, so tieferschrecken können wie die Dinge von ungewohnter Form, auf die plötzlich ein greller Lichtstreif fällt.

      Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck, den mir Charouseks Erzählung verursacht hatte, abzuschütteln.

      Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten: Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich gelacht hatte.

      Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenüber.

      Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zügen zuckte vor Erregung.

      Unwillkürlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, daß sie wie gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die drüben jenseits der Gasse stand, ihr immerwährendes Lächeln um die Lippen.

      Der Alte war bemüht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daß sie es wohl wußte, aber sich benahm, als verstünde sie nicht.

      Endlich hielt es der Alte nicht länger aus, watete auf den Fußspitzen

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