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Gerade dies ist ja so wunderbar, Kranken während ihres Schlafes innig nahe zu sein, wenn alle Angstgedanken in ihnen gefangen sind, wenn sie so restlos ihr Gebrest vergessen, daß sich manchmal auf ihre halboffenen Lippen ein Lächeln niederläßt wie ein Schmetterling auf ein schwankes Blatt, ein fremdes, gar nicht ihnen selbst gehöriges Lächeln, das auch sofort wegschrickt beim ersten Erwachen. Welches Glück von Gott, denke ich mir, daß die Verkrüppelten, die Verstümmelten, die vom Schicksal Beraubten wenigstens im Schlaf nicht um Form oder Unform ihres Leibes wissen, daß der milde Betrüger Traum wenigstens dort ihnen ihre Gestalt in Schönheit und Ebenmaß vortäuscht, daß der Leidende zumindest in dieser einen, dunkel umrandeten Welt des Schlummers dem Fluch zu entfliehen vermag, in den er leiblich verkettet ist. Das Ergreifendste aber für mich sind die Hände, die über der Decke verkreuzt liegen, matt durchäderte, langgestreckte Hände mit zerbrechlich schmalen Gelenken und spitz zugeformten, etwas bläulichen Nägeln – zarte, ausgeblutete, machtlose Hände, gerade vielleicht noch stark genug, kleine Tiere zu streicheln, Tauben und Kaninchen, aber zu schwach, etwas festzuhalten, etwas zu fassen. Wie kann man, denke ich mir erschüttert, mit solch ohnmächtigen Händen sich gegen wirkliches Leiden wehren? Wie irgend etwas erkämpfen und fassen und halten? Und es widert mich fast, wenn ich an meine eigenen Hände denke, diese festen, schweren, muskulösen, starken Hände, die mit einem Zügelriß das unbotmäßigste Pferd bändigen können. Gegen meinen Willen muß mein Blick nun auch auf die Decke hinabstarren, die zottig und schwer, viel zu schwer für dies vogelleichte Wesen, auf ihren spitzen Knien lastet. Unter dieser undurchsichtigen Hülle liegen tot – ich weiß nicht, ob zerschmettert, gelähmt oder bloß geschwächt, ich habe nie den Mut gehabt, zu fragen – die ohnmächtigen Beine in jene stählerne oder lederne Maschinerie gespannt. Bei jeder Bewegung, erinnere ich mich, hängt sich schwer wie Kettenkugeln diese grausame Apparatur an die versagenden Gelenke, unablässig hat sie dies Widrige klirrend und knirschend mit sich zu schleppen, sie, die Zarte, die Schwächliche, gerade sie, von der man fühlt, daß ihr Schweben und Laufen und Sichaufschwingen natürlicher wäre als Gehen!

      Unwillkürlich schauere ich zusammen bei dem Gedanken, und so stark rinnt und rieselt der Riß bis zu den Sohlen, daß die Sporen klingelnd aufzittern. Es kann nur ein ganz minimales, ein kaum hörbares Geräusch gewesen sein, dies silberne Klirren und Klingeln, aber es scheint ihren dünnen Schlaf durchdrungen zu haben. Noch öffnet die beunruhigt Aufatmende nicht die Lider, aber die Hände beginnen bereits aufzuwachen: lose falten sie sich auseinander, dehnen sich, spannen sich; als ob die Finger im Aufwachen gähnten. Dann blinzeln versucherisch die Lider, und befremdet tasten die Augen um sich.

      Plötzlich entdeckt mich ihr Blick und wird sofort starr; noch hat der Kontakt vom bloß optischen Schauen nicht hinübergezündet zum gewußten Denken und Erinnern. Aber dann ein Ruck, und sie ist völlig erwacht, sie hat mich erkannt; mit purpurnem Guß stürzt ihr das Blut in die Wangen, vom Herzen mit einem Stoß hochgepumpt. Wieder ist es, als schüttete man in ein kristallenes Glas plötzlich roten Wein.

      »Wie dumm«, sagt sie mit scharf zusammengezogenen Brauen und rafft mit einem nervösen Griff die abgesunkene Decke näher an sich, als hätte ich sie nackt überrascht. »Wie dumm von mir! Ich muß einen Augenblick eingeschlafen sein.« Und schon beginnen – ich kenne das Wetterzeichen – die Nasenflügel leise zu zucken. Herausfordernd sieht sie mich an.

      »Warum haben Sie mich nicht sofort aufgeweckt? Man beobachtet einen nicht im Schlaf! Das gehört sich nicht. Jeder Mensch sieht lächerlich aus, wenn er schläft.«

      Peinlich berührt, sie mit meiner Rücksicht verärgert zu haben, versuche ich, mich in einen dummen Scherz hinüberzuretten. »Besser lächerlich, während man schläft«, sage ich, »als lächerlich, wenn man wach ist.«

      Aber schon hat sie sich mit beiden Armen höher die Lehne emporgestemmt, die Falte zwischen den Brauen schneidet tiefer, jetzt beginnt auch um die Lippen das wetterleuchtende Flattern und Flackern. Scharf springt ihr Blick mich an.

      »Warum sind Sie gestern nicht gekommen?«

      Der Stoß ist zu unerwartet losgefahren, als daß ich gleich antworten könnte. Aber schon wiederholt sie inquisitorisch:

      »Nun, Sie werden doch eine besondere Ursache gehabt haben, uns einfach sitzen und warten zu lassen. Sonst hätten Sie wenigstens abtelephoniert.«

      Dummkopf, der ich bin! Gerade diese Frage hätte ich doch voraussehen und im voraus mir eine Antwort zurechtlegen sollen! Statt dessen trete ich verlegen von einem Fuß auf den andern und kaue an der altbackenen Ausrede herum, wir hätten plötzlich Remonteninspektion bekommen. Noch um fünf Uhr hätte ich gehofft, wegpaschen zu können, aber der Oberst hätte uns allen dann noch ein neues Pferd vorführen wollen, und so weiter und so weiter.

      Ihr Blick, grau, streng und scharf, weicht nicht von mir. Je umständlicher ich schwätze, um so argwöhnischer spitzt er sich zu. Ich sehe, wie die Finger an der Lehne auf und nieder zucken.

      »So«, antwortet sie schließlich ganz kalt und hart. »Und wie endet diese rührende Geschichte von der Remonteninspektion? Hat es der Herr Oberst schließlich gekauft, das funkelnagelneue Pferd?«

      Ich spüre bereits, daß ich mich gefährlich verrannt habe. Ein-, zwei-, dreimal schlägt sie mit ihrem losen Handschuh auf den Tisch, als wollte sie eine Unruhe in den Gelenken loswerden. Dann blickt sie drohend auf.

      »Schluß jetzt mit dieser dummen Lügerei! Kein einziges Wort von all dem ist wahr. Wie können Sie wagen, mir solchen Unsinn aufzutischen?«

      Heftig und heftiger klatscht der lose Handschuh gegen die Tischplatte. Dann schleudert sie ihn entschlossen im Bogen weg.

      »Kein Wort ist wahr von Ihrer ganzen Faselei! Kein Wort! Sie sind nicht in der Reitschule gewesen, Sie haben keine Remonteninspektion gehabt. Schon um halb fünf sind Sie im Kaffeehaus gesessen, und dort reitet man meines Wissens keine Pferde zu. Machen Sie mir nichts vor! Unser Chauffeur hat Sie ganz zufällig noch um sechs beim Kartenspiel gesehen.«

      Mir stockt noch immer das Wort. Aber sie unterbricht sich brüsk:

      »Übrigens, wozu brauch ich mich vor Ihnen zu genieren? Soll ich, weil Sie die Unwahrheit sagen, vor Ihnen Verstecken spielen? Ich fürchte mich ja nicht, die Wahrheit zu sagen. Also, damit Sie es wissen – nein, nicht durch Zufall hat Sie unser Chauffeur im Kaffeehaus gesehen. Sondern ich hab ihn eigens hineingeschickt, um nachzufragen, was mit Ihnen los ist. Ich dachte, Sie seien am Ende krank oder es sei Ihnen was zugestoßen, weil Sie nicht einmal telephoniert haben, und … nun, bilden Sie sich meinetwegen ein, daß ich nervös bin … ich vertrag es eben nicht, daß man mich warten läßt … ich vertrag’s einfach nicht … so hab ich den Chauffeur hineingeschickt. Aber in der Kaserne hat er gehört, Herr Leutnant tarockierten wohlbehalten im Kaffeehaus, und da hab ich dann noch Ilona gebeten, sich zu erkundigen, warum Sie uns derart brüskieren … ob ich Sie vielleicht vorgestern mit etwas beleidigt habe … ich bin ja manchmal wirklich unverantwortlich in meiner blöden Hemmungslosigkeit … So – damit Sie’s sehen – ich schäme mich nicht, Ihnen das alles einzugestehen … Und Sie kramen solche einfältigen Ausreden aus – spüren Sie nicht selbst, wie schäbig das ist, unter Freunden so miserabel zu lügen?«

      Ich wollte antworten – ich glaube, ich hatte sogar den Mut, ihr die ganze dumme Geschichte von Ferencz und Jozsi zu erzählen. Aber ungestüm befiehlt sie:

      »Keine neuen Erfindungen jetzt … nur keine neuen Unwahrheiten, ich ertrag keine mehr! Mit Lügen bin ich überfüttert bis zum Erbrechen. Von früh bis abends löffelt man sie mir ein: ›Wie gut du heute aussiehst, wie famos du heute marschierst … großartig, es geht schon viel, viel besser‹ – immer dieselben Beruhigungspillen von früh bis abends, und keiner merkt, daß ich daran ersticke. Warum sagen Sie nicht kerzengrad: Ich habe gestern keine Zeit, keine Lust gehabt. Wir haben doch kein Abonnement auf Sie und nichts hätt mich mehr gefreut, als wenn Sie mir durchs Telephon hätten sagen lassen: ›Ich komm heut nicht hinaus, wir bummeln lieber in der Stadt lustig herum.‹ Halten Sie mich für so albern, daß ich’s nicht verstehen sollte, wie Ihnen das manchmal über sein muß, hier tagtäglich den barmherzigen Samariter zu spielen, und daß ein erwachsener Mann lieber herumreitet oder seine gesunden Beine spazierenführt, statt an einem fremden Lehnstuhl herumzuhocken? Nur eins ist mir widerlich und

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