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Читать онлайн.Der Oberportier, der vortrat und sich zum Zeichen dessen, daß er von Anfang an alles durchschaut hatte, laut auf die Brust schlug, wurde vom Oberkellner mit den Worten: »Ja, Sie hatten ganz recht, Feodor!« gleichzeitig beruhigt und zurückgewiesen.
»Es ist nicht mehr viel zu erzählen«, sagte der Oberkellner. »Wie die Jungen eben schon sind, haben sie den Mann zuerst ausgelacht, haben dann mit ihm Streit bekommen, und er ist, da dort immer gute Boxer zur Verfügung stehen, einfach niedergeboxt worden; und ich habe gar nicht zu fragen gewagt, an welchen und an wie vielen Stellen er blutet, denn diese Jungen sind fürchterliche Boxer, und ein Betrunkener macht es ihnen natürlich leicht!«
»So«, sagte die Oberköchin, hielt den Sessel an der Lehne und sah auf den Platz, den sie eben verlassen hatte. »Also sprich doch, bitte, ein Wort, Roßmann!« sagte sie dann. Therese war von ihrem bisherigen Platz zur Oberköchin hinübergelaufen und hatte sich, was sie Karl sonst niemals hatte tun sehen, in die Oberköchin eingehängt. Der Oberkellner stand knapp hinter der Oberköchin und glättete langsam einen kleinen, bescheidenen Spitzenkragen der Oberköchin, der sich ein wenig umgeschlagen hatte. Der Oberportier neben Karl sagte: »Also wird's?«, wollte damit aber nur einen Stoß maskieren, den er unterdessen Karl in den Rücken gab.
»Es ist wahr«, sagte Karl, infolge des Stoßes unsicherer, als er wollte, »daß ich den Mann in den Schlafsaal gebracht habe.«
»Mehr wollen wir nicht wissen«, sagte der Portier im Namen aller. Die Oberköchin wandte sich stumm zum Oberkellner und dann zu Therese.
»Ich konnte mir nicht anders helfen«, sagte Karl weiter. »Der Mann ist mein Kamerad von früher her, er kam, nachdem wir uns zwei Monate lang nicht gesehen hatten, hierher, um mir einen Besuch zu machen, war aber so betrunken, daß er nicht wieder allein fortgehen konnte.«
Der Oberkellner sagte neben der Oberköchin halblaut vor sich hin: »Er kam also zu Besuch und war nachher so betrunken, daß er nicht fortgehen konnte.« Die Oberköchin flüsterte über die Schulter dem Oberkellner etwas zu, der mit einem offenbar nicht zu dieser Sache gehörigen Lächeln Einwände zu machen schien. Therese – Karl sah nur zu ihr hin- drückte ihr Gesicht in völliger Hilflosigkeit an die Oberköchin und wollte nichts mehr sehen. Der einzige, der mit Karls Erklärung vollständig zufrieden war, war der Oberportier, welcher einigemal wiederholte: »Es ist ja ganz recht, seinem Saufbruder muß man helfen«, und diese Erklärung jedem der Anwesenden durch Blicke und Handbewegungen einzuprägen suchte.
»Schuld also bin ich«, sagte Karl und machte eine Pause, als warte er auf ein freundliches Wort seiner Richter, das ihm Mut zur weiteren Verteidigung geben könnte, aber es kam nicht, »schuld bin ich nur daran, daß ich den Mann – er heißt Robinson, ist ein Irländer – in den Schlafsaal gebracht habe. Alles andere, was er gesagt hat, hat er aus Betrunkenheit gesagt und ist nicht richtig.«
»Du hast ihm also kein Geld versprochen?« fragte der Oberkellner.
»Ja«, sagte Karl, und es tat ihm leid, daß er das vergessen hatte, er hatte sich aus Unüberlegtheit oder Zerstreutheit in allzu bestimmten Ausdrücken als schuldlos bezeichnet.
»Geld habe ich ihm versprochen, weil er mich darum gebeten hat. Aber ich wollte es nicht holen, sondern ihm das Trinkgeld geben, das ich heute nacht verdient hatte.« Und er zog zum Beweise das Geld aus der Tasche und zeigte auf der flachen Hand die paar kleinen Münzen.
»Du verrennst dich immer mehr«, sagte der Oberkellner. »Wenn man dir glauben sollte, müßte man immer das, was du früher gesagt hast, vergessen. Zuerst hast du also den Mann – nicht einmal den Namen Robinson glaube ich dir, so hat, seit es Irland gibt, kein Irländer geheißen –, zuerst also hast du ihn nur in den Schlafsaal gebracht, wofür allein du übrigens schon im Schwung hinausfliegen könntest, Geld aber hast du ihm zuerst nicht versprochen, dann wieder, wenn man dich überraschend fragt, hast du ihm Geld versprochen. Aber wir haben hier kein Antwort- und Fragespiel, sondern wollen deine Rechtfertigung hören. Zuerst aber wolltest du das Geld nicht holen, sondern ihm dein heutiges Trinkgeld geben, dann aber zeigt sich, daß du dieses Geld noch bei dir hast, also offenbar doch noch anderes Geld holen wolltest, wofür auch dein langes Ausbleiben spricht. Schließlich wäre es ja nichts Besonderes, wenn du für ihn aus deinem Koffer hättest Geld holen wollen; daß du es aber mit aller Kraft leugnest, das ist allerdings etwas Besonderes, ebenso wie du auch immerfort verschweigen willst, daß du den Mann erst hier im Hotel betrunken gemacht hast, woran ja nicht der geringste Zweifel ist, denn du selbst hast zugegeben, daß er allein gekommen ist, aber nicht allein weggehen konnte, und er selbst hat ja im Schlafsaal herumgeschrien, daß er dein Gast ist. Fraglich also bleiben jetzt nur noch zwei Dinge, die du, wenn du die Sache vereinfachen willst, selbst beantworten kannst, die man aber schließlich auch ohne deine Mithilfe wird feststellen können: Erstens, wie hast du dir den Zutritt zu den Vorratskammern verschafft, und zweitens, wie hast du verschenkbares Geld angesammelt?«
›Es ist unmöglich, sich zu verteidigen, wenn nicht guter Wille da ist‹, sagte sich Karl und antwortete dem Oberkellner nicht mehr, so sehr Therese wahrscheinlich darunter litt. Er wußte, daß alles, was er sagen konnte, hinterher ganz anders aussehen würde, als es gemeint gewesen war, und daß es nur der Art der Beurteilung überlassen bleibe, Gutes oder Böses vorzufinden.
»Er antwortet nicht«, sagte die Oberköchin.
»Es ist das Vernünftigste, was er tun kann«, sagte der Oberkellner.
»Er wird sich schon noch etwas ausdenken«, sagte der Oberportier und strich mit der früher grausamen Hand behutsam seinen Bart.
»Sei still«, sagte die Oberköchin zu Therese, die an ihrer Seite zu schluchzen begann, »du siehst, er antwortet nicht, wie kann ich denn da etwas für ihn tun? Schließlich bin ich es, die vor dem Herrn Oberkellner unrecht behält. Sag doch, Therese, habe ich deiner Meinung nach etwas für ihn zu tun versäumt?« Wie konnte das Therese wissen, und was nützte es, daß sich die Oberköchin durch diese öffentlich an das kleine Mädchen gerichtete Frage und Bitte vor diesen beiden Herren vielleicht viel vergab?
»Frau Oberköchin«, sagte Karl, der sich noch einmal aufraffte, aber nur um Therese die Antwort zu ersparen, zu keinem anderen Zweck, »ich glaube nicht, daß ich Ihnen irgendwie Schande gemacht habe, und nach genauer Untersuchung müßte das auch jeder andere finden.«
»Jeder andere«, sagte der Oberportier und zeigte mit dem Finger auf den Oberkellner »das ist eine Spitze gegen Sie, Herr Isbary.«
»Nun, Frau Oberköchin«, sagte dieser, »es ist halb sieben, hohe und höchste Zeit. Ich denke, Sie lassen mir am besten das Schlußwort in dieser schon allzu duldsam behandelten Sache.«
Der kleine Giacomo war hereingekommen, wollte zu Karl treten, ließ aber, durch die allgemein herrschende Stille erschreckt, davon ab und wartete.
Die Oberköchin hatte seit Karls letzten Worten den Blick nicht von ihm gewendet, und es deutete auch nichts darauf hin, daß sie die Bemerkung des Oberkellners gehört hatte. Ihre Augen sahen voll auf Karl hin, sie waren groß und blau, aber ein wenig getrübt durch das Alter und die viele Mühe. Wie sie so dastand und den Sessel vor sich schwach schaukelte, hätte man ganz gut erwarten können, sie werde im nächsten Augenblick sagen: ›Nun, Karl, die Sache ist, wenn ich es überlege, noch nicht recht klargestellt und braucht, wie du richtig gesagt hast, noch eine genaue Untersuchung. Und die wollen wir jetzt veranstalten, ob man sonst damit einverstanden ist oder nicht, denn Gerechtigkeit muß sein.‹
Statt dessen aber sagte die Oberköchin nach einer kleinen Pause, die niemand zu unterbrechen gewagt hatte – nur die Uhr schlug in Bestätigung der Worte des Oberkellners halb sieben und mit ihr, wie jeder wußte, gleichzeitig alle Uhren im ganzen Hotel, es klang im Ohr und in der Ahnung wie das zweimalige Zucken einer einzigen großen Ungeduld –: »Nein, Karl, nein, nein! Das wollen wir uns nicht einreden. Gerechte Dinge haben auch ein besonderes Aussehen, und das hat, ich muß es gestehen, deine Sache nicht. Ich darf das sagen und muß es auch sagen; ich muß es gestehen, denn ich bin es, die mit dem besten Vorurteil für dich hergekommen ist. Du siehst, auch Therese schweigt.« (Aber sie schwieg doch nicht, sie weinte.)
Die