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er Professor Dr. Friedrich August Helbling gegenüber auf dem schwarzen Ledersofa im sonst schneeweißen Büro. Eine dezent nach Limonen duftende Brünette stellte das gewünschte Sprudelwasser aufs Beistelltischchen und zog sich geräuschlos zurück, wie sie gekommen war.

      »Dr. Jonas Herzog. Pharmakologe, Spezialgebiet Pharmacogenomics«, las der Professor mit hochgezogenen Brauen und singendem Bariton vom Blatt auf seinen Knien, als vernähme er zum ersten Mal von ihm.

      »Ja«, antwortete Jonas verblüfft. Ihm fiel nichts Besseres ein.

      Helblings nächste Frage brachte ihn vollends aus dem Konzept: »Wie gefällt Ihnen Basel?«

      »Äh …«

      Der Professor musste ihn spätestens jetzt für einen Idioten mit beschränktem Wortschatz halten. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er räusperte sich verlegen, bevor er endlich eine unverbindliche Antwort über die Lippen brachte:

      »Was ich bis jetzt gesehen habe, gefällt mir ganz gut.«

      »Sie sind eben erst aus Boston in die Schweiz zurückgekehrt, wie ich feststelle.«

      Wieder die hochgezogenen Brauen. Jonas atmete auf. Boston, die Forschungsarbeit an der Harvard Medical School, Pharmakologie – fester Boden unter den Füßen. In diesem Bereich verfügte er über einen wesentlich größeren Wortschatz.

      »Was haben Sie denn schon gesehen von unserem schönen Basel?«

      Jonas hatte sich zu früh gefreut. Er versuchte trotzdem ein Lächeln. »›Bernoulli‹ zum Beispiel«, sagte er. Es war nicht ironisch gemeint. Er hatte viel über die Firma gelesen, in der er Karriere machen wollte. Den Rest von Basel hob er sich für später auf.

      Helbling fand seine Antwort originell genug, um zu schmunzeln. »Leuchtet ein«, meinte er, »sonst wären Sie nicht hier. Und weiter?«

      »Die Rheinpromenade, die Altstadt?«

      Es hörte sich wie eine Frage an. Jonas war ziemlich sicher, dass Basel über eine Altstadt verfügte. Die Rheinpromenade dagegen: reine Spekulation.

      Helbling musterte ihn eine Weile schweigend mit hochgezogenen Brauen, dann nickte er bedächtig, als hätte er den tieferen Sinn der Antwort endlich begriffen. »Ich sehe schon, Sie müssen noch viel lernen, junger Mann«, seufzte er.

      Jonas warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Die Zeit für das Interview beim Chef war schon fast vorbei, und bisher hatten sie kein Wort über seine Qualifikationen oder die künftige Tätigkeit gewechselt. Vielleicht sollte er Helbling den Zweck der Besprechung sanft in Erinnerung rufen. Er versuchte es wieder mit einem Lächeln. »In dieser Beziehung haben Sie natürlich vollkommen recht, Herr Professor. Was allerdings meinen Beruf angeht …«

      »Sind Sie über jeden Zweifel erhaben, ich weiß«, unterbrach Helbling. »Sie wundern sich vielleicht, warum wir uns nicht über Ihr Fachgebiet unterhalten.«

      »Na ja.«

      »Warum glauben Sie, habe ich Sie empfangen?«

      »Na ja«, wiederholte er albern. Er konnte nicht mit Fangfragen umgehen.

      Helbling deutete auf das Blatt auf seinen Knien. »Sie sind achtundzwanzig, haben einen PhD der ›HMS‹ in der Tasche und sind Mitautor von fünf Studien, die in den ›Pharmacological Reviews‹ veröffentlicht worden sind. Mein lieber Dr. Herzog, was soll ich Ihnen da noch für Fachfragen stellen? Dass Sie Ihr Handwerk beherrschen, betrachte ich als erwiesen. Es geht mir nur darum, ob Sie zu uns passen. Auch wenn Sie’s vielleicht jetzt noch nicht verstehen: ›Bernoulli‹ ist eine große Familie. Wir halten hier zusammen wie Pech und Schwefel.«

      Die Zeit war um. Helbling erhob sich. Verwirrt folgte Jonas seinem Beispiel. Helblings Pokergesicht ließ keinen Schluss zu, ob er den seltsamen Eintrittstest bestanden hatte. »Verstehe«, sagte er nur, um kein weiteres Geschirr zu zerschlagen.

      Helbling hob ein Dossier von seinem Schreibtisch auf und entschuldigte sich: »Leider ruft der nächste Termin. Es ist Zeit, dem Basler Kunstverein die avantgardistischen Flausen auszutreiben.« Er reichte Jonas die Hand, drückte sie kräftig und fügte hinzu: »Hat mich gefreut, Dr. Herzog. Willkommen bei ›Bernoulli‹. Kopf hoch – Sie werden die Familie mit der Zeit schon mögen.«

      Im selben Augenblick, als er seine Hand losließ, öffnete sich die Tür. Die Brünette trat ein und wandte sich ernst aber freundlich an Jonas: »Ich werde Sie in die Abteilung zu Herrn Rohner bringen, Dr. Herzog.«

      Abteilung, Rohner, alles Fremdwörter. Im Grunde hatte er sich noch nicht einmal formell beworben, war nur hier, um mehr über die frei gewordene Stelle zu erfahren.

      Helbling schien sein verdutztes Gesicht zu amüsieren. »Herr Rohner wird Ihnen alle Fragen beantworten«, versicherte er. »Er ist zwar kein Akademiker wie wir, aber von ihm können Sie eine Menge lernen. Garantiert. Auch an seinen archaischen Dialekt werden Sie sich schnell gewöhnen.«

      Damit eilte er in den Korridor und schwebte bald darauf im gläsernen Lift nach unten.

      »Ein vielbeschäftigter Mann«, murmelte Jonas, um der Vorzimmerdame zu bestätigen, dass er ihre wichtige Position durchaus erkannt hatte.

      »Oh ja. Und der Herr Professor tut soviel für diese Stadt.«

      Das Soviel lastete schwer auf Jonas. Wie die Brünette es betonte, lag das Schicksal Basels praktisch allein in den Händen ihres verehrten Chefs. Vielleicht sollte er sich die Stadt doch bald einmal ansehen.

      Niklaus Rohner war ein untersetzter Mann mit kleinen Knopfaugen im glatten rosa Gesicht, das gar nicht zu seiner weißen Mähne passen wollte. Sein Alter war deshalb schwierig einzuschätzen. Vielleicht Mitte fünfzig, dachte Jonas. Der Mann reichte ihm nur knapp über die Schulter. Beim ersten Wort, mit dem er ihn begrüßte, verstand Jonas, was Helbling als archaischen Dialekt bezeichnete.

      »Ho«, sagte Rohner mit aufmunterndem Lächeln.

      Es war ein nasales, melodiöses O, fast gesungen. Der Mann war ein waschechter Appenzeller und meinte eigentlich: »So«. Soviel verstand Jonas, da er immerhin in der Nähe, in Gossau, aufgewachsen war.

      »Sie sind also Hausers Nachfolger.«

      Noch mehr Rätsel. »Wer sagt das?«, wunderte sich Jonas.

      »Der Chef, und der muss es ja wissen.«

      »Professor Helbling? Mir gegenüber hat er nichts von einem Hauser erwähnt. Allerdings meinte er, ich würde noch viel von Ihnen lernen.«

      »Ho – wenn Helbling das sagt …« Rohner lachte still in sich hinein.

      »Wer war denn dieser Hauser?«

      Die Knopfaugen musterten ihn eingehend. Nach einer Weile schüttelte Rohner den Kopf und fragte ungläubig: »Er hat Sie wirklich nicht informiert?«

      »Wir haben über Basel gesprochen.«

      »Das sieht ihm ähnlich. Helbling hat Basel erfunden, erbaut und zu kultureller Blüte gebracht, müssen Sie wissen. Das hat Hauser eben nicht kapiert. Darum sag ich’s Ihnen gleich am Anfang.«

      »Moment«, stutzte Jonas. »Mein Vorgänger, wie Sie ihn nennen, hat sich wegen Basel mit Professor Helbling überworfen? Ist es das, was Sie andeuten?«

      »Ich deute gar nichts an. Ich sage, wie es ist. Hauser war sechs Jahre lang unser Abteilungsleiter – ein guter Mann übrigens, allseits beliebt. Dann hat er den Fehler gemacht, sich in die Kunstkommission wählen zu lassen. Nach ein paar Sitzungen herrschte der totale Krieg. Hausers Geschmack war so inkompatibel mit Helblings Kunstverständnis wie Salzsäure mit Natronlauge. Potz Heidenblitz! Sie hätten die Streithähne hören sollen. Jetzt gibt es keinen Hauser mehr in irgendeiner städtischen Kommission, und wir brauchen einen neuen Abteilungsleiter. Schade.«

      »Vielen Dank«, lachte Jonas.

      »Keine Ursache. Ach so – war nicht gegen Sie gerichtet. Ich meine: Schade, dass er gehen musste. Tee?«

      »Warum

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