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doch nur Komplimente hören.“

      „Ich habe noch nie jemand so schielen sehen wie dich, Paula. Ich finde, du schielst wundervoll.“

      Paula wurde von einer zweiten Hitzewelle erfasst, nach der sie jedoch erbleichte. Sie zischelte: „Du spinnst doch wohl dreimal, Rosenbusch! Sag bloß nicht noch einmal, dass ich schielen würde!"

      Niccolò wurde stutzig, irgend etwas stimmte da nicht. Er wollte sich vorsichtshalber entschuldigen, da sagte Ole: „Niccolò hat schwer recht. Na klar, du schielst umwerfend, Klette.“

      „Halt du dich da raus, Grabow!“

      „Ich sage dir, du schielst wie das Schielmonster im Gruselschocker Wenn der Tod eine schwarze Brille trägt.“

      Paula schnappte nach Luft, ihr Mund stand weit offen, ihre Zahnspange blitzte im Sonnenlicht. Sie wollte etwas sagen, aber es war nur ein rabenähnliches „Krrchz, krrchz“ zu hören.

      „Halt den Mund, Ole“, befahl Niccolò seinem Freund. Er konnte nicht mit ansehen, wie Paula Klette litt. Er sagte tröstend zur ihr: „Vielleicht schielst du ja auch gar nicht, Paula. Du schielst sogar kein bisschen.“

      „Sie schielt aber doch“, beharrte Ole. „Mit dem Blick kannst du gleichzeitig nach oben und unten und nach rechts und links gucken.“

      „Krrchz! Krrchz!“

      Paula verschluckte sich, sie hustete und stieß Carola Sanddorn weg, die ihr auf die Schultern klopfen wollte. Dann spuckte sie aus, wischte sich mit dem Ärmel kreuz und quer übers Gesicht, rückte die Herzbrille zurecht, dass ihre Augen wieder hinter den getönten Gläsern verborgen waren. Sie sagte mit abgrundtiefer Verachtung: „Du bist ein saublöder, hundsgemeiner, ochsendummer Kerl, Rosenbusch. Und quatsche mich nur nie wieder an. Sonst haue ich dir auch noch dein anderes Auge blau.“

      Für einen Augenblick verlor Niccolò sein Gleichgewicht, er musste sich an Oles Schulter festhalten. Er hörte sich stottern: „A – aber, aber ich wo – wollte dir doch nur sa – sagen ...“

      „Dass du schielst, Klette“, ergänzte Ole ungerührt.

      Da gab es einen Knall, Niccolò sah in ein Feuerwerk und schwankte. Als er endlich wieder klar sehen konnte, erklärte Ole ihm, dass Paula ihm eine einwandfreie Ohrfeige versetzt hätte.

      Auf dem Nachhauseweg schwiegen die beiden Freunde. Niccolò stand noch immer unter Schock. Ole fühlte sich anscheinend auch nicht gut. Er wurde schweigsamer, je näher er seinem Zuhause kam.

      Niccolò ging mit Ole, obwohl das ein Umweg für ihn war. Der Freund wohnte mit seinen Eltern am anderen Ende der Siedlung, in der „Gammel- Bude“, wie Ole das heruntergekommene Einfamilienhaus nannte, das in einem großen verwilderten Garten stand. Das Grundstück wurde von einem Bahndamm begrenzt, hinter dem die Züge vorbeipfiffen. Wenige Meter entfernt führte eine neue gebaute Bundesstraße zur Autobahn und zum nahegelegenen Flugplatz.

      Sie standen vor dem wackeligen Holzzaun und schwiegen. Ole lauschte zum Haus hin. Hastig trug er dem Freund eines seiner vielen Mathe-Rätsel vor, als wollte er verhindern, dass der ihn allein ließ.

      „Hör doch mal zu, Alter, welche Nuss der gute Onkel Ole da wieder geknackt hat: Charly, ein abenteuerlustiger und stets zu Rätseln und Denkaufgaben aufgelegter Globetrotter, berichtet am Lagerfeuer: ‚Ich ritt auf dem Rücken eines Maulesels mit gleichbleibender Geschwindigkeit von Bixley über Pixley nach Quixley.‘ Nach 40 Minuten fragte ich Don Pedro, den eingeborenen Führer, wie weit wir inzwischen wären. Don Pedro antwortete: ‚Wir haben gerade halb soviel hinter uns, wie wir bis Pixley vor uns haben.‘ Nach weiteren 7 Meilen fragte ich: ‚Wie weit ist es noch bis Quixley?‘ Und er sagte: ‚Halb so weit wie von hier bis Pixley.‘ Eine Stunde später erreichten wir Quixley.“

      „Ja und?“, fragte Niccolò, der wenig Interesse an Oles Leidenschaft zeigte.

      „Und nun, mein Alter, sollst du aus diesen Angaben folgendes rauskriegen“, fuhr Ole eifrig fort. „Erstens: Wie viele Meilen ist Bixley von Quixley entfernt? Zweitens: Wie viele Meilen legte mein Maulesel in einer Stunde zurück? Drittens: Wie viele Meilen ist Bixley von Pixley entfernt?“

      Niccolò tat so, als überlegte er angestrengt, bis er die angehaltene Luft zischend ausstieß und sagte: „Teuflisch schwer.“

      „Kindisch einfach“, entgegnete Ole zufrieden, er präsentierte Niccolò auch gleich die Ergebnisse und den Rechenweg mit der Flüchtigkeit eines Genies.

      Niccolò wusste, dass Ole zu Hause Probleme hatten. Früher hatten sie in Oles Bodenkammer Spielerporträts von ihren Lieblingsfußballern getauscht, an Oles Computer experimentiert und miteinander geschwatzt. Wenn dann Oles Eltern nach Hause kamen, hatte es zwischen ihnen lauten Streit gegeben. Der Vater war fast zwei Meter lang, kantig und wortkarg. Er arbeitete auf dem Bau und war zwischendrin immer wieder arbeitslos. Es hieß, dass er mehr in den Kneipen des Städtchens als zu Hause sei. Die Mutter war klein und muskulös, sie trainierte Bodybuilding und hatte schon Wettkämpfe gewonnen. In ihrer Jugend hatte sie zu den Punks gehört, noch immer färbte sie ihre Haare grellrot oder hellgrün. Sie arbeitete in einem Supermarkt als Kassiererin. Ole hatte auch eine Schwester, die „Große“, sie verschwand öfter von zu Hause und tauchte dann wieder auf, ohne ein Wort zu verlieren.

      Die Nachbarn waren sich einig, dass die Grabows „Assis“ wären, eben Leute, die sich nicht in das normale Leben einfügen könnten. Balanca, Niccolòs Großvater also, hingegen meinte, dass solche Reden „verschimmelter Schlauquark“ seien. Manche Menschen passten eben nur nicht zusammen, und je eher sie sich trennen würden, um so mehr Unheil könnten sie verhindern.

      Dass Ole überhaupt das Gymnasium besuchte, war wohl nur einem Lehrer zu verdanken, der frühzeitig die außergewöhnliche mathematische Begabung des Jungen erkannt hatte. Es war ihm gelungen, Oles Eltern zu überzeugen, dass sie nicht das Recht hätten, ihrem Sohn einen höheren Bildungsweg vorzuenthalten. Ole löste im Handumdrehen die schwierigsten Matheaufgaben, und wo andere sich quälten, begann bei ihm der Spaß.

      Manchmal fehlte Ole tagelang in der Schule. Es hieß, er sei krank. Wenn Niccolò bei ihm zu Hause klingelte, öffnete niemand. Oles Zimmerfenster blieb dann auch geschlossen, wenn Niccolò kleine Steine gegen die Scheibe warf. Nur die Gardine wurde leicht bewegt.

      „Ist noch was?“, fragte Ole, als Niccolò sich schon verabschiedet hatte und doch stehen blieb.

      Niccolò stöhnte leise und druckste dann: „Sag mal, Ole, wie sehe ich eigentlich aus?“

      „Wie sollst du denn aussehen? Wie immer, denk ich mal.“

      „Versuch doch mal zu gucken, als ob du ein Mädchen wärst.“

      Ole bohrte mit dem kleinen Finger in der Nase, ein sicheres Zeichen, dass er schwer am Überlegen war. Schließlich fragte er: „Wie guckt denn so ein Weib? Weißt du das vielleicht?“

      Niccolò zuckte bedauernd die Schultern und sagte: „Guck einfach mal.“

      Er hielt sein Gesicht dicht vor Oles Augen.

      „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwer das für einen Mann ist“, sagte Ole, hielt den Kopf schief und klimperte mit den Augenlidern.

      „Nun? Wie findest du mich?“

      „Tja“, sagte Ole und rieb sich das Kinn. „Wenn ich wie ein Mädchen gucke, siehst du ziemlich blöd aus. Aber wenn ich dich wie ein Junge ansehe, siehst du ganz normal aus.“

      „So ist das also.“ Niccolò senkte betrübt den Kopf. „Danke, Ole. Nun weiß ich also die Wahrheit.“

      „Was denn für eine Wahrheit, Mann?“ Ole war selbst schlechter Laune, wenn sein Freund nicht froh war.

      Als Niccolò beharrlich schwieg, sagte Ole: „Denke nicht, dass ich völlig ahnungslos bin. Ich weiß nämlich, was mit dir los ist. Denn geisteskrank bin ich nicht.“

      „Was soll denn mit mir los sein?“

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