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mit Blick auf den Riedsee und schaute auf eine leidenschaftliche Jugend zurück, über die sie Stillschweigen bewahrte.

      »Woher der Begriff kommt, wissen Sie?« Sie schaute mir kurz in die Augen. »Para bedeutet auf Griechisch neben.«

      »Eine Nebenseelenwissenschaft also. Haben Gespenster eine Psyche?«

      »Erstens geht es in der Parapsychologie nicht nur um Gespenster, sondern um Hellsehen, Wahrsagen, um Fernwirkungen wie Telekinese und Telepathie, um alles, was so aussieht, als wirkten Kräfte, die nicht direkt physikalisch erklärbar sind. Und zweitens sind naturgemäß alle diese Erscheinungen an Menschen gekoppelt, die davon berichten, weil sie sie wahrgenommen haben.«

      »Also Einbildung.«

      »Vielleicht.« Becker legte mir den ersten Packen hin, Papier und eine DVD. »Der Fall Nina Kulagina. Sie war im Krieg in Leningrad Funktechnikerin in einem Panzer, bekam Kinder und wurde in den Sechzigern mit telekinetischen Fähigkeiten bekannt. Nur einem einzigen westlichen Parapsychologen ist es 1970 gelungen, sie zu besuchen und zu filmen.«

      Die Schwarzweißaufnahmen, die Becker mir am Computer vorführte, zeigten eine frisierte Hausmutter an einem Tisch mit einem Häufchen Streichhölzer und einem Salzstreuer. Sie ließ die Hände intensiv, konzentriert, beschwörend über den Gegenständen kreisen, und die ruckten dann auf sie zu. Auch einen Kompass brachte sie zum Kreiseln.

      »Mit Magneten an der Hand oder auf dem Knie unterm Tisch eine durchaus lösbare Aufgabe«, bemerkte ich.

      »Hat man ihr aber nicht nachweisen können. Finley McPierson, der diese Filmaufnahmen gemacht hat, ist bei Zauberkünstlern in die Lehre gegangen. Er tritt sogar auf damit, bis heute. Er hat Kulagina allerdings nur durch die Tür filmen dürfen.«

      »Finley McPierson?« Das war doch der, den Rosenfeld am Freitag vom Flughafen hätte abholen sollen. Als er den Kulagina-Film drehte, war er ein junger Mann mit wilden blonden Locken gewesen. Ein aktuelles Foto zeigte einen jetzt weißen Lockenkopf mit dicker Brille vor teichblauen Augen, hagerem Gesicht und bübischem Lachen.

      »Er und Professor Dr. Gabriel Rosenfeld vom Institut für Para­psychologie in Holzgerlingen …« Sie schaute mich an.

      »Rosenfeld ist tot«, sagte ich. »Seine Leiche wurde am Vormittag gefunden.«

      Becker blickte mich scharf an. »Ah so, darum das Interesse.«

      »Dieser McPierson, wer ist das?«

      »Jahrgang 1949, geboren in Bombay, dem heutigen Mumbai, als Sohn von Diplomaten. Alte schottische Familie. Er hat in der ganzen Welt studiert, auch bei Hans Bender.«

      »Und wer ist das?«

      »Der bekannteste deutsche Geisterjäger. Ist Ihnen der Fall Chopper ein Begriff?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Das war 1982 der Geist in einer Zahnarztpraxis. Er hat eine attraktive Helferin mit obszönen Stimmen verfolgt, die aus Klos und Waschbecken tönten. Bender hat sich in die Untersuchung gestürzt. Doch dann haben die Arzthelferin, der Zahnarzt und dessen Frau gestanden, dass sie alles inszeniert hätten. Allerdings im Fall Rosenheim …«

      Ich schüttelte wieder den Kopf.

      »Das war 1967.«

      »Da war ich noch im vorrationalen Zustand der Menschwerdung.«

      Becker lächelte nachsichtig. »Da gingen in einer Anwaltskanzlei Leuchtstoffröhren an und aus, Glühbirnen zerplatzten. Ein Telefon wählte von selbst ununterbrochen die Zeitansage an und trieb die Telefonrechnung in die Höhe, Kronleuchter schaukelten an der Decke, Bilder drehten sich um den Nagel in der Wand. Die Stromwerke maßen starke Spannungsausschläge, ohne jedoch im Leitungsnetz tatsächlich eine Überspannung feststellen zu können. Die Polizei rückte an. Dann kam Bender. Ihm gelang es zu filmen, wie sich ein an der Wand hängendes Bild einmal um sich selbst drehte. Ein einmaliges Filmdokument!« Becker lächelte untergründig und zeigte mir ein Filmchen. Auf einem blassen Schwarzweiß-Röhrenfernseher in Benders Büro sah man unter Interferenzstreifen schemenhaft ein gerahmtes Bild, das sich plötzlich gewaltig schnell um den Nagel drehte.

      »Irre!« Womöglich war doch was dran an diesen Geschichten.

      »Dann passen Sie mal auf.« Becker stoppte den Film. »Ich gehe noch mal zurück und wir schauen uns das Sekunde für Sekunde an. Sehen Sie her: Eine Minute, 55 Sekunden, das Bild hängt. Eine Minute, 56 Sekunden …«

      »Kein Bild zu sehen, nur unscharfe weiße Streifen.«

      »Und bei 58 Sekunden …«

      »Da ist es wieder. Es hängt schief auf der Ecke. Was habe ich da vorhin gesehen?«

      »Das.« Becker ließ die drei Sekunden lange Sequenz noch mal laufen, und in der Tat, das Bild drehte sich so schnell, dass man nicht sah, wie es sich drehte. Es schaukelte kurz aus und hing dann schief.

      »Eine optische Täuschung?«

      Becker nickte mit seligem Glanz auf dem hageren Jungferngesicht. »Wir ergänzen, was wir nicht sehen, zu einem Film und sehen folglich, wie es sich dreht und ausschwingt.«

      »Oha!«

      »Beweis oder geniale Täuschung, das ist bei diesen Phänomenen immer die Frage. Den Rosenheim-Spuk haben insgesamt vierzig Leute untersucht. Bender hat immer die These vertreten, dass ein Spuk an eine Person gekoppelt ist und von ihr ausgelöst wird. In diesem Fall wurde eine neunzehnjährige Angestellte, Annemarie Schaberl, Tochter eines Kraftfahrers, ausgemacht. Eine junge Mutter, die in einer Beziehungskrise steckte. Bender diagnostizierte bei ihr, was er für die Kennzeichen von spukauslösenden Persönlichkeiten hielt: eine Lebenskrise, seelische Labilität, leichte Erregbarkeit, geringe Frustrationstoleranz, Gier nach Beachtung. Pubertär im Grunde.«

      »So was wird heute Massenmörder. Vermutlich hat man sie … wie sagte man früher? … ständig gehänselt in der Kanzlei.« Was natürlich die Phänomene nicht erklärte.

      »Wer kann das heute noch sagen?« Becker legte mir einen Spiegel-Artikel vom 15.1.1968 vor und sagte: »Der Anwalt wollte das Mädchen übrigens nicht entlassen, obgleich Annemaries Fähigkeiten …«

      »… falls es ihre waren oder überhaupt Fähigkeiten …«

      »… obgleich sie beträchtlichen Schaden anrichteten. Er wolle einen solchen Geist nicht gern aufgeben, wird er hier zitiert. Das hört man doch heute mit ganz anderen Ohren, nicht?«

      Ich stutzte und hörte es auch. Die alte Jungfer und ich alte Kriegerin, wir lächelten uns wissend an. »Nur sagen darf man es nicht, schon gar nicht schreiben! Oder?«

      »Besser nicht. Annemarie lebt noch, und der Sohn des Anwalts auch. Als sie übrigens dann doch bald darauf die Kanzlei verließ, hörte der Spuk auf. Sie bestreitet bis heute, diese Kräfte besessen zu haben und die Auslöserin gewesen zu sein.«

      »Vielleicht ging der Schabernack nicht von ihr, sondern von einem Witzbold aus. Eine Lampe kann man hinter ihrem Rücken anstoßen und sagen, sie sei es gewesen.«

      »Wenigstens ein Fall ist dokumentiert, wo sie selbst der Lampe den Schubs gegeben hat.«

      »Na bitte!«

      »Bis heute ist jedoch ungeklärt, wie sie ein Telefon dazu hätte bringen können, dass es ununterbrochen die Zeitansage anwählt, ohne dass sie den Hörer abnimmt und die Wählscheibe dreht.«

      Ja, die alten mechanischen Dinger. »Oder man hätte am anderen Ende der Geschichte die Telefonrechnung manipulieren müssen.« Ich ließ die Augen über die Sammlung der Artikel gleiten, darunter eine Schlagzeile der Abendzeitung: Hexenspuk in Anwaltskanzlei. »Ja, was war die denn nun?« Ich wunderte mich. »Praktikantin, Sekretärin, Auszubildende?«

      »Sie werden feststellen«, sagte Becker, »dass solche Widersprüche typisch für Berichte über parapsychologische Phänomene sind. Immer sind die Daten je nach Autor ein wenig anders, auch die Maßnahmen und Erscheinungen, die geschildert werden, variieren. Ich denke manchmal, es ist, als würde

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