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Eva sieht rot. Liza Cody
Читать онлайн.Название Eva sieht rot
Год выпуска 0
isbn 9783867548861
Автор произведения Liza Cody
Жанр Зарубежные детективы
Издательство Автор
Jedenfalls haben uns die Gruftis rausgeschmissen, und wir saßen wieder auf der Straße und wussten nicht, wohin. Da sagt Crystal: »Los, wir gehen nach Paddington, vielleicht lässt uns meine Schwester bei sich auf dem Fußboden schlafen.«
Ich war total geplättet. Ich wusste gar nicht, dass sie eine Schwester hatte. Und während wir durch die leeren Straßen nach Paddington latschten, fragte ich mich, wieso Crystal Platte machen muss, wenn ihre Schwester was zum Wohnen hatte.
Das fand ich heraus, als wir ankamen.
»Verpiss dich, Crystal«, sagte Dawn. Das war das Erste, was sie von sich gab, als sie die Tür aufmachte. Hinter ihr sah ich ein warmes Zimmer, ganz in Rosa. Aber Dawn versperrte uns den Weg. »Wenn du glaubst, ich lass dich rein, bist du schief gewickelt«, sagte sie. »Du stinkst wie eine Müllkippe, und was ist das für eine Type, die du da angeschleppt hast? Die Zwillingsschwester vom Incredible Hulk?«
»Das ist Eva«, sagte Crystal.
»Die kann auch abschieben«, sagte Dawn. Sie war in voller Kriegsbemalung, rosa Backen und schwarz umrandete Augen um drei Uhr morgens. Das konnte meiner Meinung nach nur eines bedeuten. Und ich hatte recht.
»Ihr kostet mich Geld, wenn ihr vor meiner Tür rumsteht«, sagte Dawn. »Das ist hier schließlich keine Absteige.«
»Nur zum Aufwärmen, Dawn«, sagte Crystal. »Wir bleiben auch nicht lange. Es ist arschkalt draußen.«
Ich fand es furchtbar, sie so betteln zu sehen. Sie war zwar nur ein Furz im Wind, aber sie hatte was auf dem Kasten.
»Was du unter aufwärmen verstehst, kenne ich«, sagte Dawn. »Als du das letzte Mal hier warst, habe ich mich anschließend tagelang gekratzt. Ich musste mein Bett mit Flohspray einsprühen. Zieht Leine.« Und sie knallte uns die Tür vor der Nase zu, aber da hatte ich schon längst den Riesenkasten Pralinen auf ihrem Bett gesehen und die Comichefte und die heizbaren Lockenwickler. Alles, was eine Nutte braucht, um sich zwischen zwei Nummern die Zeit zu vertreiben.
Und dann standen wir wieder draußen, in der Affenkälte.
»Reizende Familie«, sagte ich. Meine Schwester hätte uns nämlich nicht rausgeschmissen. Wenn ich bloß gewusst hätte, wo sie war. Meine Schwester hätte uns einen Tee gekocht und uns auf ihrem Bett ein Nickerchen machen lassen. Sie hätte uns eine ganze Handvoll Pralinen gegeben und ein heißes Bad eingelassen.
»Wo steckt denn deine tolle Schwester?«, sagte Crystal. Sie konnte ziemlich gehässig sein, wenn sie Kohldampf hatte. Sie wusste nämlich genau, dass ich sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich suchte nach ihr, aber ich fand sie nicht.
So habe ich Dawn damals kennengelernt, und ich habe es bis heute nicht vergessen. Vergeben und vergessen ist nur was für Leute, die es sich leisten können. Nicht für mich. Ich kann bis in alle Ewigkeit nachtragend sein, wenn ich Lust dazu habe.
Aber es lohnte sich nicht, Dawn etwas krummzunehmen. Sie schadete sich selbst am meisten. Sie hatte keine Traute. Den ganzen Mumm in der Familie hatte Crystal abgekriegt. Jetzt hat Crystal ein Zimmer und einen Trödelstand auf dem Mandala Street Market, und Dawn steht an der Straßenecke und steigt zu irgendwelchen Freiern ins Auto. Und alles, was sie verdient, versäuft sie im Pub. Kann man noch blöder sein?
Sie ist bloß hierher gezogen, auf die Südseite vom Fluss, damit sie Crystal leichter anpumpen kann. Früher hatte sie einen Beschützer, aber mit ihm lief es so wie mit allen Kerlen, wenn sie mit einer Frau fertig sind. Mit ihm ging es steil bergauf. Und mit Dawn lief es so wie mit allen feigen Frauen, die keinen Beschützer haben. Mit ihr ging es rapide bergab.
So läuft es immer, wenn man von anderen abhängig ist. Glaub mir. Auf dieser Welt darfst du dich nur auf dich selber verlassen. So hat Crystal es gemacht, so habe ich es gemacht. Und wir haben es geschafft.
Ich bezahlte meine Bananen und ging. Dawn war immer noch da. Die Kids hatten sie umgerempelt, und ein Junge versuchte ihr mit einem Stock den Rock hochzuschieben.
»Dawn ist eine Nutte, Dawn ist eine Nutte«, johlten sie. »Die kann jeder kriegen, im Stehen und im Liegen.«
Ich wollte mich gerade umdrehen und nach Hause gehen, als plötzlich Crystal wie von der Tarantel gestochen über die Straße gerast kam. Sie schnappte sich den Stock und drosch um sich wie ein mordlustiger Gartenzwerg. Sie ist selber nicht viel größer als eine Zehnjährige, aber sie hatte Dawn die Meute im Handumdrehen vom Hals geschafft. Sie sah so komisch aus, dass ich mich fast totgelacht hätte.
Großer Fehler. Sie entdeckte mich.
»Eva!«, schrie sie. »Pack mal mit an.«
»Du kannst mich mal!«, schrie ich zurück. »Ich hab zu arbeiten.«
Aber dann zeigte ein Jüngelchen mit dem Finger auf mich und sagte zu seinen Kumpeln: »Ist das nicht das Kampfschwein?«
»Kampfschwein« ist noch eine der netteren Beleidigungen, die ich bei einem Kampf zu hören kriege. Und weil ich geschmeichelt war, dass mich der Wicht erkannt hatte, marschierte ich ganz lässig rüber. Unterwegs zog ich mir die Jacke aus, damit alle meine muskulösen Arme sehen konnten. Ich bin sehr stolz auf meine Arme. Da steckt jede Menge harte Arbeit drin. Auf meinen Bauch bin ich nicht so stolz, aber den wollte ich auch schließlich keinem zeigen. Jedenfalls nicht mitten auf der Straße. Und schon gar nicht, ohne dafür bezahlt zu werden.
»Pack mal mit an«, sagte Crystal noch einmal.
»Bist du echt das Kampfschwein?«, fragte einer der Jungen.
»Was dachtest du denn?«, sagte ich. »Aber hüte deine Zunge, sonst muss ich es dir beweisen.«
»Mein Dad sagt, Catchen ist bloß Schau.«
»Ja?«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Der Bursche war beeindruckt. Er machte zwei Schritte zurück. Ich war stolz wie Oskar. Letztes Jahr um diese Zeit kannte mich kein Mensch, jetzt werde ich auf der Straße angesprochen. Das zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
»Mein Dad sagt, wenn es hart auf hart kommt, sind Catcher nicht zu gebrauchen. Wenn es echt zur Sache geht.«
»Pass auf«, sagte ich. »Du gibst mir jetzt den Namen und die Adresse von deinem Dad, falls du sie überhaupt weißt, und dann wollen wir mal sehen, was er sagt, wenn ich dich durch seinen Briefschlitz schiebe.«
Crystal sagte: »Gib nicht so an, hilf mir lieber.«
Sie hatte Dawn hingesetzt und ein bisschen an ihr herumgewischt, aber um sie auf die Beine zu stellen, hätte sie eine Motorwinde gebraucht. Sie hatte überhaupt keine Knochen mehr in den Beinen. Ich hatte meine Ma schon in derselben Verfassung gesehen, und ich weiß, da hilft nur eins: der gute alte Feuerwehrmanngriff. Und den wandte ich dann auch an. Nicht Dawn zuliebe, bestimmt nicht. Von mir aus hätte sie auf der Straße verrotten können. Aber Crystal und ich hatten einiges zusammen durchgemacht. Wir sind nicht gerade ein Herz und eine Seele, das waren wir eigentlich nie, aber wir haben ein-, zweimal im selben Boot gesessen, und obwohl sie mir nie einen Gefallen getan hat, hat sie mir auch nie geschadet. Engere Freunde habe ich nicht.
Crystals Zimmer sah fast so chaotisch aus wie ihr Trödelstand. Möbel gab es keine; es war eher ein Lagerraum mit einer Matratze in der Mitte. Wir packten Dawn ins Bett, damit sie sich auspennen konnte, dann ging Crystal wieder auf den Markt und ich zurück zum Schrottplatz.
Da wohne ich nämlich – auf einem Schrottplatz. Und wenn dir das komisch vorkommt, überleg doch mal, ob du vielleicht auch fürs Wohnen bezahlt wirst. Wenn du aber einen Hauswirt oder eine Hypothek am Hals hast, brauchst du über mich nicht zu lachen. Ich wohne umsonst. Das gehört zum Job. Das ist nämlich der andere Job, den ich neben dem Catchen noch habe, ich bewache nachts den Schrottplatz. Wenn du also auf Ersatzteile oder Werkzeuge scharf bist und nicht dafür bezahlen willst, musst du zuerst an mir und meinen Hunden vorbei. Einfach ist das nicht, das kannst du mir glauben. An Ramses, Lineker und mir ist noch so gut wie keiner vorbeigekommen. Wir mögen vielleicht nicht die Schönsten sein, aber dafür haben wir mächtig was auf dem Kasten; wir können kämpfen und Krach schlagen.