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Busbahnhof der großen Präriestadt Regina setzte ich mich – außerhalb des luftgefilterten Warteraumes – zu den wartenden Indianern, Männern, Frauen, Kindern, ins Freie. Es war sehr heiß; während meines Aufenthaltes in den Präriegegenden im Juli schwankte die Temperatur zwischen -8 und +40 Grad Celsius: An dem Tage, von dem ich spreche, mochten es +35 Grad sein. Die ruhige Würde und Zurückhaltung meiner indianischen Nachbarn auf der Wartebank machten es mir nicht leicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Als sie mit feinem Gefühl erfaßten, daß ich sie nicht besichtigen oder studieren, auch nicht als diebisch verdächtigen oder als schmutzig betrachten würde, erschien jenes fast unmerkliche Lächeln auf ihrem Gesicht, das den freundschaftlichen Kontakt ermöglichte. Wir hatten leider nicht viel Zeit füreinander; die Busse fuhren in verschiedene Richtungen davon. In Assiniboia, der Endstation der von mir benutzten Buslinie, erfuhr ich, was ich nie für möglich gehalten hätte: der Zug nach Wood Mountain war weg… nun gut, so würde ich mit dem nächsten fahren. Der nächste Zug ging Dienstag… aber jetzt war erst Freitag… das hieß vier Tage verlieren – unmöglich! Fluglinie? Nicht vorhanden. Bus? Nein. Mietwagen? Nicht vorhanden. Taxi? Nicht vorhanden. Offenbar näherte ich mich den Restbeständen des Wilden Westens.

      Eine gastfreundliche Kanadierin, die auf meine Verlegenheit aufmerksam geworden war, lud mich in ihr Haus ein. Es war eines jener für ganz Kanada typischen Holzhäuser; Einfamilienhaus, nicht billig, mit Doppelwänden, warm und in der Inneneinrichtung hübsch und zweckmäßig. In der Nacht setzte ein Sturm ein, mit der ganzen Gewalt der Präriestürme, die ungehindert durch einen halben Kontinent brausen und die Gewalt von Meeresstürmen haben. Nicht nur das Haus, auch die Bettstatt zitterte, und ich erinnerte mich des Fluges nach Regina, bei der in der DC 8 die Stewardeß das Essen nicht hatte ausgeben können, weil das Flugzeug in den Böen schwankte. Der Sturm störte mich aber in meinem Holzhaus-Asyl nicht. Ich hörte noch ein letztes mächtiges Krachen, der »Donnervogel« schrie...

      Am Morgen war der Himmel blau, aber alle Landstraßen außerhalb des Städtchens waren nach dem Gewitter unpassierbar geworden, tief verschlammt. Vielleicht kam ein Pferd hier noch durch, doch sicher kein Auto. Das bestätigte mir auch meine liebenswürdige Gastgeberin. Wenige Stunden später sollte allerdings nach sachverständiger Voraussage das Unergründliche schon wieder zu steilen und tiefen Furchen getrocknet und für kanadische Autofahrer immerhin passierbar sein. Ich hatte Zeit bis dahin, schlenderte zum Stadtrand, blickte über die weite graugrüne Prärie, trank den unvergeßlichen Eindruck dieses weiten Landes in mich hinein, dessen ehemalige Herren und Söhne ich suchte… und wandte mich dann mißtrauisch meinen Füßen zu, an denen ein Kribbeln aufstieg. Bis zum Knie herauf saßen schon die Moskitos, ununterscheidbar, eine einzige schwarze Masse. Ich floh, verständlicherweise, und zwar in eines der kleinen Cafés, die bis in die entferntesten Gegenden vordringen und still, sauber, ordentlich jedem Gast, auch dem »farbigen«, eine angenehme Reise verbürgen.

      Dann kam der scheinbare Zufall, der von so großer Wirkung sein kann. Die Umfrage im Städtchen nach einer Transportgelegenheit zu den Wohnplätzen der Indianer in den Woodmountains hatte Erfolg. Es klingelte an dem Holzhaus. Als ich aus der Tür ging, stand ein Dakota-Teton-Oglala vor mir und lud mich ein, mit ihm und seiner Familie zu den Woodmountains zu fahren. Lange hatte ich die Geschichte und Wesensart dieses Volkes studiert, mit immer erneuten Anstrengungen Zugang gesucht, seinen Wert und sein Recht auf eigenes Leben in den geschichtlichen Formationen und Kämpfen gestaltet – und nun stand ich vor einem seiner Vertreter, der, das fühlte ich sofort, ganz das verkörperte, was ein Dakota ist.

      Ich wurde Gast in den Woodmountains. Der junge freie indianische Viehzüchter, dem ich zuerst begegnet war, und seine Familie gehörten zu den Nachfahren jener Gruppen der Teton, die 1877 unter unendlichen Mühen und Gefahren die Black Hills und die umliegenden Prärien, alte Heimat des Stammes, verlassen hatten, nach Kanada ausgewandert waren und dort verblieben sind im Unterschied zu den großen Scharen der Dakota, die nach der Ausrottung der Büffel keine Nahrung in den kanadischen Prärien mehr fanden, und daher in die USA auf die Reservation zurückkehrten. General Custer und seine Truppen waren von den Dakota und ihren Verbündeten besiegt und vernichtet worden, aber neue Truppen rückten nach, und den Dakota mangelte es an Waffen und Munition, die sie nicht selbst herstellen konnten. So mußten sie sich unterwerfen oder gehen. Die kleine Stammesabteilung, die in den Woodmountains eine neue Heimat gefunden hat, lebt von Viehzucht, als Rancher und Cowboys.

      Die Woodmountains, 2008. Links: Ehemalige Farm John Okutes Sicas.

      Ich saß – in voller Einsamkeit und Abgeschiedenheit – bei dem Ältesten und Häuptling John Okute. Er stand am Ende seines Lebens; langsam sprach er und wog jedes Wort. Die Männer, unter denen er aufgewachsen war, hatten Ta­shunka-witko und Tatanka-yotanka noch gekannt. Er hat es von klein auf geliebt, den Alten zuzuhören und aus der Geschichte und den Mythen der Dakota alles zu erfahren, was er nur erforschen konnte. Daher trug er als Kind schon den Spitznamen »Alter Mann«. Er wußte viel, und sein ganzes Denken und Leben gehörte den Dakota. Ich lauschte auf das, was er mir zu erzählen hatte, während rings­umher der Wind um Bäume und Gräser strich und der Himmel sich blau über der immer noch einsamen weiten Prärie wölbte.

      John Okute war freier Rancher gewesen, bis er sich in seinem Alter zurückzog. Seine Blockhütte stand zwischen Wiesen, Busch und Wald. Weit konnte er über das einsame Land schauen. Er freute sich an Kindern und Enkeln, die gesund heranwuchsen und in deren Ranchhaus ich zu Gast sein durfte. Wenige Monate, nachdem ich bei ihm gesessen und auf seine Worte gelauscht, seine Niederschriften gelesen hatte, ist er gestorben, verehrt und betrauert von allen Indianern, die ihn gekannt haben.

      Die Witwe John Okutes gab mir das Manuskript, in dem er aufgezeichnet hat, was ihm wichtig und überliefernswert erschien.

      Liselotte Welskopf-Henrich, 1965

      Liselotte Welskopf-Henrich (1901-1979) war Schriftstellerin und Professorin für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr in 18 Sprachen übersetzter Romanzyklus »Die Söhne der Großen Bärin«, ein Kinder- und Jugendbuch über die Zeit der letzten Indianerkriege, erlebte allein in Deutschland eine Gesamtauflage von bis heute ca. 3,5 Millionen. Außerordentlich erfolgreich war auch ihre Pentalogie »Das Blut des Adlers«, in der sie die Zustände auf der Pine-Ridge-Reservation in den 60er und frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auf sehr realistische Weise schildert. Des weiteren unterstützte sie aktiv das American Indian Movement. Vertreter der Lakota verliehen ihr den Ehrennamen Lakota-Tashina, »Schutzdecke der Lakota«. Eine Biographie über Liselotte Welskopf-Henrich ist 2009 im Palisander Verlag erschienen.

      Der Text des Vorworts wurde dem Aufsatz »Bei den Dakota in den Woodmountains« (Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Nachlaß Liselotte Welskopf-Henrich, Nr. 152) entnommen und um einige Passagen aus der Einleitung Liselotte Welskopf-Henrichs zu ihrer Übertragung der Erzählung John Okute Sicas »Der Mann mit dem Namen Mato-wa-wo-yuspa, der Bär der zupackt« (im vorliegenden Buch »Der Mann, den sie Seizing Bear nannten«), ergänzt, die sich in ihrem Nachlaß befindet.

      Einleitung

      Der Stamm, der sich nicht ergab

      Im Jahre 1874 hatte eine Militärexpedition unter General Custer in den Black Hills Gold gefunden. Die Black Hills waren historisches Jagdgebiet der Sioux und der als heilig angesehene Mittelpunkt ihrer Welt. Der Vertrag von Fort Laramie aus dem Jahre 1868 hatte ihnen die Black Hills zur uneingeschränkten und exklusiven Nutzung und Besiedlung zugeschrieben. Nun jedoch strömten zahllose Goldsucher in das Gebirge, und die Regierung versuchte mit allen Mitteln, die Lakota zum Verkauf des Gebietes zu bewegen. Im Winter 1875 beschloß die US-Regierung, die Black Hills mit Gewalt in ihren Besitz zu bringen. Sie erließ den Befehl, daß sämtliche Sioux sich unverzüglich in die bestehenden Reservationen zu begeben hätten. Dies führte zum Aufstand. Tausende Reservationsindianer verließen im Frühjahr 1876 heimlich die Reservationen und schlossen sich den freilebenden Sioux des Westens an. Lieber wollten sie im Kampfe sterben, als den Raub ihres heiligen Stammeslandes zu dulden.

      General Custer wurde ausgesandt, um die Aufständischen zu zwingen,

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