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Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy
Читать онлайн.Название Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Год выпуска 0
isbn 9783867548724
Автор произведения Marge Piercy
Жанр Книги о войне
Издательство Автор
»Lass uns jetzt nicht darüber streiten. Ich dachte, es wäre hübsch, gemeinsam zu Abend zu essen, zur Erinnerung an alte Zeiten. Schließlich werden wir sowieso den ganzen Abend aneinander denken. Warum dann nicht zusammen?«
»Bittest du mich um ein Rendezvous, Oscar?« Es klang albern, aber sie wollte Zeit gewinnen.
»Genau das. Wäre das nicht schön? Wir haben schon eine Ewigkeit nicht mehr manierlich zusammengesessen und ein gutes Essen und eine Flasche Wein geteilt. Ich brenne darauf, dir zu erzählen, was ich mache. Und natürlich auch alles von dir zu hören.«
Oscar widerstrebte es zutiefst, Frauen loszulassen. Er versuchte, alle seine ehemaligen Freundinnen in der einen oder anderen Funktion beizubehalten, als Freundinnen, Kolleginnen, Abhängige, zumindest als Bekannte. Er war es gewohnt, immer noch die Fürsorglichkeit seiner verwitweten Mutter zu beanspruchen. Er wollte nicht einsehen, warum er auch nur eine der Frauen, deren Zuwendung er genossen hatte, je gehen lassen sollte. Er wusste sogar noch ihren Wunsch nach Rat und Anteilnahme bei ihren Problemen mit Kay für seine Zwecke zu nutzen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, jemals nicht mehr neugierig auf Oscar zu sein; ihr Problem mit anderen Männern war, dass sie alle mit ihm verglich. Dennis Winterhaven behauptete, sie mache Oscar zu einem Mythos, aber er kannte Oscar eben nicht.
»Komm, Louie, warum nicht? Ich gehe mit dir hin, wo du möchtest. Aber ich habe ein wunderbares spanisches Restaurant in der Vierzehnten entdeckt, natürlich Flüchtlinge, hervorragender Gitarrist, vorzügliche Paella.«
Sie war an dem Abend mit Dennis verabredet, aber erst um sieben. Sie wollten zusammen essen, dann führte er sie ins Savoy, um Hildegarde zu hören. »Sonntagabend habe ich schon etwas vor. Aber ich könnte mit dir zu Mittag essen.«
»Ich hol dich um eins ab?«
»Ist gut.« Sowie sie aufgelegt hatte, wanderte sie im Büro umher. Warum hatte sie zugestimmt? Weil sie der Versuchung nicht widerstehen konnte, ihn zu sehen. Dabei war sie ungefährdet, denn sie traf sich gleich anschließend mit Dennis. Oscar hatte natürlich recht; sie hätte den Abend damit zugebracht, an ihn zu denken. Wäre sie doch nur fähig, sich in Dennis zu verlieben! Das Abendessen war theoretisch reich an Möglichkeiten. Wie ihre flatterigen Gefühle nutzen? Ihre Finger zeichneten Kreise auf die Schreibtischunterlage. Sie konnte keine Geschiedene zur Heldin nehmen. Die gaben in den Journalen nur gelegentlich die böse Schlange ab. Sie selbst fand großen Gefallen am anrüchigen Klang, eine Geschiedene zu sein. Sie hatte das glanzlose Gattinnendasein überwunden und war daraus als schillernder tropischer Prachtfalter hervorgegangen, aber einer mit einem Wespenstachel.
Würde man ihr ein Paar, das in Trennung lebte, durchgehen lassen? Oder musste es ein vor Jahren beinahe geheirateter Mann sein? Das war sicherer. Der Hochzeitstag, das war das Gedenken an den Tag, an dem sie beinahe geheiratet hatten, aber dann eben doch nicht. Und weshalb nicht? Louise schaute auf die Uhr. Ihr blieben noch ein paar Stunden bis zum Abendbrot. Sie grub nach dem verborgenen Traum, der in dieser nichtssagenden Geschichte steckte. Das war ihre Stärke, den geheimen Phantasievorstellungen von Frauen auf die Spur zu kommen, diese Gesteinsader auszubeuten wie radioaktives Erz, wie das Uran, an dem Madame Curie gearbeitet hatte; oder, ehrlicher, wie die Buttercremeschicht einer Torte. Wollen mal sehen, beispielsweise eine Witwe? Jung verwitwet? Auf Kriegstote war man noch nicht eingestellt, aber beispielsweise ein Unfall? Nicht mit Makel behaftet, und nun geh deinen Weg in deinem Tempo. Eine zweite Chance mit einem Mann, den du abgewiesen oder fallen gelassen hast, aus Gründen, von denen du heute weißt, dass es die falschen waren. Ja, eingehen auf diese geheimen Phantasievorstellungen verheirateter Frauen, dass ihr Depp von einem Mann plötzlich tot umfiel und der Davongekommene wieder auf der Bildfläche erschien. Das verkaufte sich mit Sicherheit.
Sie brauchte noch einen guten Köder und einen guten Titel. Ein Strauß gelber Rosen, der plötzlich an der Tür abgegeben wird. Bestimmt ein Irrtum. Die Erinnerung an frühere Jahre. Nenn sie Betsy. Das ist ein netter, sicherer, achtbar klingender Name. Es war eine Neuengland-Geschichte, beschloss sie, eine von denen, die in der von ihr erfundenen Cape-Ann-Stadt Glastonbury spielten. Ein Fischer, der in einem Sturm draußen blieb. Oder ein Pendler in einem Zugunglück? Mit dieser Gesellschaftsschicht konnten sich ihre Leserinnen eher identifizieren.
Komisch, wie das Telefongespräch mit Oscar sie angeregt hatte. Schon oft hatte sie die Ausdünstungen ihres Zusammenlebens zu verwertbarem Material verdichtet. Als sie heranwuchs, hatte Louise nie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden, Verfasserin von Romanen oder Kurzgeschichten. Nein, Journalistin hatte sie werden wollen, Auslandskorrespondentin, eine Dorothy Thompson. Dann hatte sie ihre erste Geschichte geschrieben, als Oscar arbeitslos war und Kay ein kleines Mädchen und sie die Miete nicht zahlen konnten. Zu der Wohnung am Rande von Flatbush gehörte ein Regal voller Saturday Evening Posts, Ladies’ Home Journals, Nummern von McCall’s und Redbooks. In dem Winter hatten sie kein Geld, um sich Zeitungen zu kaufen. Oscar hob sie immer von der Straße auf, nachdem andere sie gelesen hatten.
Dass ihre Geschichte gekauft wurde, überraschte sie. Sie konnte sich noch erinnern, wie sie von dem Geld eingekauft hatte. Huhn, Lammkoteletts, eine richtige Puppe für Kay mit echtem Haar und Schlafaugen, einen warmen Pullover für Oscar und die Zahlung der rückständigen Miete. Die nächste Geschichte wurde nicht gekauft, die übernächste auch nicht, aber dann verkaufte sie wieder eine. Sie begann zu erkunden, was ankam und was nicht; sie analysierte abgedruckte Geschichten nach den soziologischen und psychologischen Profilen annehmbarer Heldinnen und Helden. Sie schematisierte die Handlungsverläufe von je zwanzig Geschichten aus den am besten zahlenden Zeitschriften. Sie schärfte ihren Blick und begann, regelmäßig zu verkaufen.
Ihr Pseudonym war das, unter dem sie ihre erste Geschichte geschrieben hatte, als ihr auffiel, dass unter den abgedruckten Autoren keine jüdischen Namen vertreten waren und dass Frauen, deren Namen sie als verheiratet auswiesen, sich besonders gut zu verkaufen schienen. Sie hatte Annette Hollander Sinclair erfunden, und später, als diese Dame eine populäre Autorin von Frauenromanen wurde, lernte Louise, sich für öffentliche Auftritte in Annette zu verwandeln. Sie kaufte Annette eigene Kostüme, Hüte, Handschuhe, Handtaschen, Schuhe. Sie hatte sogar eine Annette-Stimme. Dennis, dachte sie, hatte sich in Annette verliebt, weshalb sie wahrscheinlich nicht in ihn verliebt war. Oscar wollte immerhin mit Louise essen gehen. Obwohl sie sich ein wenig schämte, begann sie vorsichtig, sich auf Sonntag zu freuen. Unterdessen lief sie über den Flur, zog sich eine bequeme Hängebluse und einen weiten Glockenrock an, schlüpfte in Fellpuschen und widmete sich dann am Schreibtisch wieder der Geschichte von Betsy, deren Mann bei einem Zugunglück im 5-Uhr-15-Nahverkehrszug von der North Station starb; und deren Jugendfreund gelbe Rosen schickte und geheimnisvoll lächelte, der jungenhaft lachte, dessen schelmische schwarze Asiatenaugen aber von Oscar ausgeliehen waren.
Daniel 1
Ein alter China-Hase
Daniel Balaban überquerte die Brücke von der Harvard Business School, in der er und seine Kommilitonen untergebracht waren, zum älteren Harvard auf der Cambridge-Seite des Charles River. Die Scharen junger College-Studenten betrachtete er ebenso neugierig und kühl distanziert, wie er die vielsprachigen Spaziergänger auf der Bund in Schanghai beobachtet hatte. Er gehörte hier nicht her. Die Marine erlaubte sich Harvard gegenüber einen kleinen Scherz mit diesem Sammelsurium aus Missionarssöhnen, Marinestabsoffizieren und alten China-Hasen, die in Geschäfts- oder Militärangelegenheiten die letzten zwanzig Jahre dort verbracht hatten. Die meisten konnten ein wenig Japanisch, doch andere wie er selbst konnten nur Chinesisch. Die Marine hatte sie hier zu einen Japanisch-Intensivkurs am Yenching-Institut versammelt. Daniel, Kind einer in der Bronx untergekrochenen jüdischen Emigrantenfamilie, hatte als Student hier und da Tüpfel von Begabung gezeigt, war jedoch zu keinem besonderen Ehrgeiz gelangt, zumindest keinem, für den akademische Grade verliehen wurden. Nun arbeitete er hart an seinem Japanisch und war von sich selbst überrascht: Sein Glück freute ihn, und zugleich fand er es komisch.
Daniel erinnerte sich gut genug an die Depression, um niemals zu vergessen, was Hunger war und wie er einen Menschen zusammenstutzte auf nichts als sich selbst. Sein Vater war mit fünfzehn Jahren aus dem polnischen Kozienice in die Vereinigten Staaten gekommen. Nach und nach hatte er sich ein kleines Knopfgeschäft