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worden ist. Und wenn die Missionare eingeladen sind, dann natürlich auch deren Gäste aus Deutschland.

      Colleen hat extra verschiedene Sets von Kleidern für die Brautjungfern gesammelt und zusammengestellt. Für uns Männer befiehlt die Sitte bei so einer Feier, dass wir ein weißes Kleid unter einer Anzugsjacke tragen. Wir wechseln also an einer Tankstelle die Klamotten, was ungefähr zwei Stunden dauert. Da meine Anzugsjacke den Gepäcktransport nicht überlebt hat, sehe ich nur mit meinen langen Haaren und meinem Kleid von hinten aus wie eine deutsche Braut. Auf die Frage, wie viel Zeit wir denn für die Verlobung einplanen sollten, bekomme ich einen Vortrag gehalten, dass Zeit hier keine Rolle spiele. „Steck deine Uhr die nächsten drei Wochen am besten einfach weg!“ Meine Frau würde es hier lieben.

      Als wir ankommen, wird erst mal um den Preis der Braut gefeilscht. Diesmal ist sie zwei Kühe wert. Eine Sitte, die viele ugandische Kirchen bekämpfen, um das Statement zu setzen, dass Frauen kein Besitz sind. Viele Familien stürzen sich deswegen nämlich in unglaubliche Schulden, um die Familie der Braut mit Geschenken zu beeindrucken.

      „Steck deine Uhr die nächsten drei Wochen einfach weg!“

      Es gibt Geschichten von Großeltern, die mit Mitte 70 endlich genug Geld zusammenhaben, um zu heiraten. Oder Pärchen, die sich nur heimlich treffen, weil eine Hochzeit finanziell außer Reichweite ist, bis das Mädchen schließlich an einen Reicheren verheiratet wird. Oder eben Heiratswillige, die nie heiraten.

      Der Umgang mit den vielen unverheiratet zusammenlebenden Paaren ist manchmal ein Problem für die Missionare. Die sind schließlich davon überzeugt, dass es eine Sünde ist, unverheiratet zusammenzuleben. Aber was sollen sie einem Paar raten, das sich eine Hochzeit schlichtweg nicht leisten kann und auch in absehbarer Zukunft nicht können wird?

      Als Deutscher, der eine Kanadierin geheiratet und selbst 17 Jahre im Ausland gewohnt hat, versuche ich, andere Sitten und Bräuche nicht mehr mit „Bei uns ist es aber besser!“ zu kommentieren (dazu hat auch der ständige Widerspruch meiner Frau einen guten Teil beigetragen). Manche Traditionen und Gebräuche sind einfach über Jahrhunderte entstanden, und es ist unglaublich schwer, sie wieder loszuwerden.

      Irgendwann gibt es dann eine Prozession, bei der die Gäste des Bräutigams – zu denen auch wir gehören – zu den Trucks gehen, um die dort gelagerten Brautgeschenke reinzutragen. Unter dem Jubel der Gäste marschieren wir also in Reih und Glied mit unseren Päckchen vor den Vater der Braut, um die Sachen vor ihm aufzubauen. Ich habe mir einen 50 Pfund schweren Sack Mehl geschnappt und über die Schulter geschmissen – schließlich muss man mit langen Haaren und weißem Kleid hart arbeiten, wenn man trotzdem männlich rüberkommen will. Als ich meinen Mehlsack gekonnt durch die Stuhlreihen schleppe, fangen die Afrikaner plötzlich an zu kichern, was man in dieser Kultur vor allem dann macht, wenn man peinlich berührt ist. Als ich später die Missionare frage, was denn der Grund für die Heiterkeit gewesen sei, fingen sie an zu lachen: Auch in Afrika kennt man das alte Jesusbild vom langhaarigen, weißgekleideten Hippie mit dem langen Gewand. Ich muss die Gruppe in meinem Outfit daran erinnert haben, und später kursierte tatsächlich das Gerücht, Jesus selbst wäre auf dieser Verlobungsfeier erschienen. Ich war eigentlich hier, ihn zu finden, jetzt werde ich mit ihm verwechselt. Wenn die nur wüssten!

      Der Rest der Feier besteht aus Stand-up-Comedy, Modeschauen und Geschenken. Die Frauen müssen ständig knien, während wir Männer essen. Das Ganze dauert ungefähr sechs Stunden. Glaube ich zumindest, ich habe ja jetzt keine Uhr mehr um. Irgendwann verlassen wir die Party, was eigentlich unhöflich ist, aber was soll man machen? Wenn man hier jede Party zu Ende feiern würde … wir sind nun mal Deutsche und schließlich zum Arbeiten hier. Zeit ist für uns eben anders. Also gibt es eine große Abschiedsszene, und wir fahren nach Hause.

      Fazit des 2. Tages: Wir dürfen die Zeit kontrollieren, sie ist ein Geschenk! Andersrum ist doof!

       Andere Sitten

      Heute gab es endlich die Einführung in die ugandische Kultur, die uns helfen soll, uns hier nicht komplett danebenzubenehmen und zu verstehen, was um uns herum passiert. Hier ein paar der Regeln, die ich in den nächsten drei Wochen ausleben darf:

      Regel Nummer 1: Zeit ist uninteressant!

      Regel Nummer 2: Es wird erwartet, dass du deine Geschichte erzählst! Dafür ist immer Zeit da!

      Regel Nummer 3: Männer, die lange Händchen halten, sind nett, nicht schwul!

      Regel Nummer 4: Männer, die ihre Beine übereinanderschlagen, sind unhöflich; in der Nase popeln ist aber okay!

      Regel Nummer 5: Eine schöne Oberweite ist uninteressant, ein dicker Hintern dafür sexy!

      Regel Nummer 6: Knien ist höflich!

      Regel Nummer 7: Lehne niemals etwas zu essen ab!

      Regel Nummer 8: Auch wenn es heiß ist, ist es schön, so eng wie möglich zusammenzusitzen!

      Regel Nummer 9: Beziehungen sind wichtiger, als die Arbeit fertigzukriegen!

      Regel Nummer 4: Männer, die ihre Beine übereinanderschlagen, sind unhöflich; in der Nase popeln ist aber okay!

      Regel Nummer 10: Man darf zu Bitten „nein“ sagen! Aber wenn du nickst, hast du ein Versprechen gemacht, und Versprechen werden nicht gebrochen!

      Regel Nummer 11: Sei vorsichtig, wenn jemand deine Telefonnummer will! Das ganze Dorf wird dich anrufen!

      Und noch ein paar Fakten über Uganda:

      1. 60 % der Bevölkerung sind unter 16! Kaum etwas ist wichtiger als eine gute Schulbildung!

      2. Aids ist überall! Fast jede Familie in Uganda ist davon betroffen, über 50 % der medizinischen Ressourcen werden hierfür verbraucht!

      3. Keiner weiß so richtig, wie viele Menschen es in Uganda gibt. Von der Regierung werden die Zahlen eher kleingeredet, um den Bedarf einer besseren Infrastruktur zu vertuschen.

      Gegen Mittag sind wir wieder zur Schule gefahren, in der wir von jetzt an viel Zeit verbringen werden. Ich bin zusammen mit Teammitglied Claudia der Einladung gefolgt, anstelle von Steineschleppen (unsere eigentliche Aufgabe an diesem Tag) zwei Stunden lang Musikunterricht zu geben. Man darf hier manchmal Sachen machen, die man sich nie zu träumen gewagt hätte. In den Pausen kann ich dann immer wieder mit Kindern spielen, die sich inzwischen alle trauen, mich anzufassen und mit meinen komisch glatten Haaren zu spielen. Die anfängliche Schüchternheit ist schnell verflogen, und mit den ganz Kleinen kann man herrlich durch Tiergeräusche in Kontakt kommen.

      Dann erlebe ich meine erste ganz besondere Begegnung. Ich bin gerade dabei, einem Jungen ein paar Gitarrengriffe beizubringen, als mir Joseph vorgestellt wird. Meine Schwester Sonja (die so einen Einsatz auch schon mal mitgemacht hat) hatte ihn vor zwei Jahren vier Tage lang unterrichtet und ihm sogar ihr Instrument geschenkt; Joseph ist seitdem der Gitarrenlehrer von Kampala. Als der junge Lehrer erfährt, dass ich Sonjas Bruder bin, wird es sehr emotional: Es gibt Umarmungen, Tränen, und Bilder werden gezeigt. Spontan bildet sich jetzt ein Afrikanischer Chor, und erst bringe ich ihnen ein neues Lied bei, dann wieder Joseph, dann wieder ich und immer so weiter. Alle Lieder von Joseph, die er selbst komponiert hat, werden übrigens in der gleichen Akkordfolge gespielt: G - C - D - C - G. Also im Prinzip wie unsere westliche Worship-Musik, nur dass hier Moll-Akkorde unbekannt sind. Mein absolutes Highlight: „Jesus, you are the hope of Africa“. Man kann kaum beschreiben, was da gefühlsmäßig abgeht, wenn die fünfjährigen Kinder und ich als reicher Europäer das zusammen brüllen.

      Irgendwann muss ich leider los, weil der Bus längst auf mich wartet. Ich bin eigentlich kein Nachtschwärmer, aber wenn du zwei Jahre später dort weitermachen kannst, wo deine Schwester etwas Wunderschönes angefangen hat, ist das wirklich was Besonderes! Ich wäre am liebsten die ganze Nacht dortgeblieben!

      Fazit des 3. Tages: Jesus is the hope for Africa! Für einen Moment kann ich das heute glauben!

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