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Stimmen des Yukon. Birte-Nadine Neubauer
Читать онлайн.Название Stimmen des Yukon
Год выпуска 0
isbn 9783961456826
Автор произведения Birte-Nadine Neubauer
Жанр Морские приключения
Издательство Автор
»Dies ist also die berühmte Start- und Ziellinie des legendären Yukon Quest!«, hörte sich Julie beeindruckt leise in Gedanken murmeln. Sie wusste, dass das Yukon Quest eines der härtesten Hundeschlittenrennen der Welt ist und Mensch und Tier an seine Grenzen zu bringen vermochte. Daher stand sie für einen Augenblick einfach nur da und ließ diesen Ort auf sich wirken.
»Was er wohl alles erzählen würde, könnte er nur sprechen«, ging es Julie durch den Sinn, als sie schließlich das Ufer des Yukon erreicht hatte. Mächtig und breit lag er in einem langgestreckten Kies- und Steinufer eingebettet zu ihren Füßen. An mancher Stelle stand sattgrünes Gras und die in der Nähe gewachsenen Baumgruppen spiegelten sich leicht, durch die immer mehr an Oberhand gewinnenden Sonnenstrahlen, auf seiner Oberfläche. Unermessliche, klare Wassermassen rauschten friedlich an Julie vorüber. Die Luft war frisch und sie duftete nach dem bittersüßen, terpentinartigen Harzgeruch, der von den die Ufer säumenden Weißtannen, Kiefern und Birken ausging. An manchen Stellen ragten größere Gesteinsbrocken aus dem Wasser und das Rauschen des daran vorüberziehenden Wassers drang wie ein liebliches Lied an ihr Ohr. Julie war so vereinnahmt von dem Augenblick, dass sie nun direkt an diesem riesigen Fluss stand, der Weltgeschichte geschrieben hatte, dass sie alles um sich herum vergaß. Erst der die Stille zerreißende Aufschrei eines Weißkopfseeadlers ließ sie zusammenzuckend ihren Blick abrupt vom sanft dahinfließenden blaugrünen Wasser abwenden und in die Höhe schweifen. Sein Ruf hallte über die gesamte Weite des Flusstales. Julies Nackenhaare stellten sich unwillkürlich auf und ein Schauer lief über ihren Rücken und verursachte eine Gänsehaut. Sie entdeckte ihn gerade am Himmel auf der anderen Seite des Ufers, als sein Ruf von einem weiteren Weißkopfseeadler, der den Fluss hinaufgeflogen kam, erwidert wurde. Zu zweit zogen sie mit breit geweiteten Schwingen ihre Bahnen entlang des gegenüberliegenden Ufers. Julie schaute sich mit einem Strahlen im Gesicht um, ob denn jemand anderes die beiden ebenso sehen würde. Aber es war nach wie vor niemand in sichtbarer Nähe. So richtete sich ihr Blick wieder auf die beiden Weißkopfseeadler und es dauerte nur unwesentlich länger, bis noch drei weitere Adler durch deren Rufe angelockt wurden. Sie flogen entweder umher und verkündeten in der Luft, was sie zu berichten hatten, oder saßen hoch oben in den Wipfeln der tannengrünen Fichten, von wo aus sie sich gegenseitig zuriefen. Es war eine ohrenbetäubende Konversation, denn die Stille, die über dem Flusstal lag, hob die Schreie der Adler noch stärker hervor. Sie begannen immer tiefer zu fliegen, um in der Nähe des Flussufers Beute ausfindig zu machen. Einer der größeren Exemplare stieß schließlich einen Schrei aus, der einem in Mark und Bein fuhr. Er setzte zum Sturzflug an und schoss mit rasanter Geschwindigkeit hinab. Kurz vor der Wasseroberfläche weitete er seine Schwingen und für den Bruchteil einer Sekunde schien er über ihr zu schweben, bevor er blitzschnell an seichterer Stelle mit seinen Klauen die Wogen des Flusses durchbrach. Er hatte Erfolg und konnte einen Fisch erbeuten. Mühsam erhob er sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Lüfte und hatte damit zu kämpfen, dass ihm seine nach allen Seiten ausschlagende Beute nicht wieder verloren ging. Am kiesreichen Ufer, an dem er sich niederließ, vermochte er den Fisch schließlich zu bändigen. Noch tiefer bohrten sich nun die riesigen Klauen des Adlers in das Fleisch des Fisches, während er sich nach allen Seiten umsah. Der Fisch versuchte noch ein paarmal verzweifelt zappelnd sich zu befreien, bevor er sich schließlich, in seinen Bewegungen immer langsamer werdend, seinem Schicksal hingeben musste. Der Weißkopf schüttelte sich. Erhaben und anmutig saß er aufgeplustert da und beäugte für einen Moment mit geneigtem Kopf, scheinbar voller Stolz, seine Beute. Anschließend beugte sich sein reinweiß gefiederter Kopf zu seinen Klauen hinab und sein riesiger gelber Schnabel hackte tief in den Fisch, um diesem ein Stück seines saftigen Fleisches zu entreißen. Er war nicht lange alleine, denn ein anderer Adler gesellte sich alsbald zu ihm und versuchte dem erfolgreichen Jäger ein Stück seiner Beute abspenstig zu machen. Die Situation verlief glimpflich, denn nach nur kurzer Zankerei flog der Dieb, nachdem er ein Stück der fremden Beute ergattern konnte, hinauf gen Himmel und ließ sich auf dem Ast einer hohen Kiefer nieder, um sich sein Mal schmecken zu lassen. Währenddessen flog ein Steinadler das Ufer an Julies Seite an. Er landete auf einer Felsplatte, die von ihr nicht weit entfernt lag.
Julie konnte ihn genau betrachten. Das weiche dunkelbraune Federkleid und die klaren, aufmerksamen, stechenden, ja beinahe orangefarbenen Augen, denen vermutlich nichts entgehen konnte, schimmerten glänzend in den momentan vereinzelten, aber intensiven Strahlen der Morgensonne. Sein steingrauer Schnabel war mächtig und spitz nach unten gebogen. Julie getraute nicht, sich zu bewegen, denn sie wollte diesen wunderschönen Vogel so lange wie möglich aus nächster Nähe bewundern. Als der Adler sich mit seiner Brust in ihre Richtung drehte, neigte er seinen Kopf etwas zur Seite. Sein zum Fluss gerichtetes Auge blitzte auf und Julie bildete sich ein, das Spiegelbild der Landschaft darin erkennen zu können. Es machte den Anschein, als betrachte nun der Adler Julie genauer und nicht umgekehrt. Für einen kurzen Moment schauten sie sich direkt in die Augen und es schien, als fließe eine außergewöhnliche Art Energie zwischen ihnen beiden.
Nachdem sich das unsichtbare Band wieder vorsichtig gelöst hatte, senkte und hob der Steinadler sein Haupt, bevor er sich unter einem zischenden Aufschrei wieder abwendete und sich von seinen mächtigen Schwingen in die Luft tragen ließ. Julie stand wie angewurzelt, nicht nur gefesselt von diesem beeindruckenden Moment, sondern auch spürend, dass sie etwas tief in ihrem Inneren soeben berührt hatte. Obwohl es ein ihr vertrautes Gefühl war, wusste sie immer noch nicht, was es ihr mitteilen wollte. Allerdings hatte sie gelernt, es zu akzeptieren und auch zu genießen und sich nicht allzu sehr damit zu beschäftigen, denn die Antwort, die sie erhielt, lag lediglich in ihrer Vermutung.
Die Adler verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren, und Julie bemerkte plötzlich, dass sie nicht mehr die einzige Person war, die das Ufer des Yukon besuchte. Sie wunderte sich nur, dass sie nicht schon eher bemerkt hatte, dass bereits zuvor andere Menschen an ihr vorbeigegangen sein mussten. Wie lange hatte sie wohl wirklich dem morgendlichen Treiben der Adler geistesabwesend beigewohnt? Julie hatte sämtliches Zeitempfinden während deren Vorstellung verloren und überlegte, dass es an der Zeit war, weiterzugehen.
Die zuvor am Himmel düster hängende Wolkenschicht hatte nun im Gesamten aufgehellt und an einigen Stellen konnte man immer besser einen Blick auf den wunderbar hellblau strahlenden Himmel dahinter erhaschen. Julie wollte zunächst die Gegenwart des Flusses noch weiterhin genießen und dann den restlichen Tag mit der Erkundung der Stadt verbringen. Während sie weiterging und die herrliche Umgebung in sich aufsog, hallte der Aufschrei des Adlers immer wieder, zum Verblüffen ihrer selbst, in ihren Gedanken nach. Etwas irritiert, aber dennoch entspannt, folgte Julie dem Weg, der unmittelbar am Ufer des Flusses entlang führte und auf dessen rechter Seite für eine kurze Strecke eine Eisenbahnschiene verlief. Um auf dem Weg weitergehen zu können, musste sie nach einer Weile die Hauptstraße überqueren. Auf der anderen Straßenseite sah sie einen riesigen reinweißen Dampfer mit kräftig orangefarbenem Schaufelrad auf dem trockenen Kiesbett liegen. Er trug die Aufschrift ›Klondike‹. Interessiert betrachtete sie ihn für kurze Zeit und genoss den grandiosen Anblick auf den sich windenden Yukon, der sich ihr von diesem Platz aus bot. In seiner Mitte waren ein paar Kiesbänke zu sehen, die stellenweise mit leuchtend hellgrünem Gras bewachsen waren und auf denen sich so manches Treibholz angesammelt hatte. Fasziniert riss Julie sich dennoch los und ließ die Stadt hinter sich liegen.
Vereinzelt zierten kleine Rosenbüschchen mit weißgelben Blüten den Wegesrand und vor einem Wald, dem sie sich allmählich näherte, stand das herrliche schmalblättrige Weidenröschen meterhoch in Hülle und Fülle. Seine gegenständig angeordneten Laubblätter waren dunkelgrün gefärbt und die schirmtraubigen Blütenstände, mit einer Vielzahl an kleinen vierzähligen Blüten, leuchteten rosa bis purpurrot in der Sonne. Die dahinter liegenden ockerbraunen Stämme der hohen Kiefern,