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und Hauke gehen zurück zum Einsatzwagen, wo Prof. Dr. Kramm gerade Staatsanwalt Pepperkorn von seinem ersten Befund berichtet hat. Dann kommen die beiden Kriminaloberkommissare an die Reihe und erzählen von den heißen Spuren, die Polizeimeister Seifert in der Scheune gefunden hat.

      „Na also, lieber Stöver, da haben wir ja ’ne Menge ordentliche Ansätze. Ich schlage vor, Frau Masal und Steffens machen sich auf den Weg nach Kiel, sobald die KTU-Untersuchungsergebnisse vorliegen. Jedenfalls rufe ich sofort das Oberkommissariat und auch den Oberstaatsanwalt in Kiel an, damit da ja nichts schiefgeht und die ganze Bande noch so lange festgenagelt bleibt.“

      Nili berichtet, dass sie sowieso von Waldi Mohr angefordert worden sei, bei der Vernehmung der beiden festgenommenen Drogendealer mit ihren Sprachkenntnissen behilflich zu sein.

      „Umso besser, verehrte KOK Masal, dann fahren Sie bitte gleich am Montagmorgen nach Kiel, ich informiere Ihren Boss Boie Hansen in Oldenmoor. Gute Arbeit, Leute, wirklich verdammt gute Arbeit! Und nun wollen wir unter der da draußen lauernden Pressemeute ein wenig Futter verteilen. Die lassen einem sonst überhaupt keine Ruhe! Dann sage ich erst einmal herzlichen Dank und wünsche Ihnen noch ein schönes und geruhsames Wochenende!“

       ***

      Nachdem Hauke Steffens und Nili Masal am späten Nachmittag mit ihrem Dienstwagen zurück im eigenen Kommissariat eingetroffen sind, machen sie Feierabend. Nili wünscht dem Kollegen ein schönes Wochenende, steigt in ihren grünen Cross Polo um und fährt nach Hause. Sie parkt den Wagen direkt vor Onkel Suhls Haus in der Theodor-Heuss-Straße. Nach der Wiedervereinigung von DDR und BRD im Oktober 1990 hat man auch in der Kleinstadt einige Straßen umbenannt. Die vormalige Kaiserstraße – während der Nazizeit schnöderweise vorübergehend Adolf-Hitler-Straße – bekam gleich nach Kriegsende wieder den ursprünglichen Namen zurück, wurde aber nun zu Ehren des allseits beliebten ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland umgewidmet. Nili öffnet die Tür des Hauses, das sie seit der Ankunft aus Israel gemeinsam mit ihrer Mutter, Lissy Masal, und ihrer inzwischen sechsundneunzigjährigen Oma, Clarissa Keller, bewohnt. Ihr Großvater, Heiko Keller, war nach dem vierzehnjährigen Exil seiner Familie in Bolivien im Jahre 1952 gleich wieder in dieses Haus gezogen und hatte die ihm zurückerstattete Marschländer Backwarenfabrik bis wenige Jahre vor seinem plötzlichen Tod geleitet. Das noch bis zur politischen Wende in der DDR florierende Unternehmen konnte dem unlauteren Preiskampf mit den Billigbroten der Discounter- und Supermarktketten sowie den anderen, überall wuchernden neuen Bäckereiverkaufsstellen irgendwann nicht mehr standhalten. Der redliche Bäckergeselle und Kaufmann Heiko Keller weigerte sich, die stets hohe Qualität seiner Erzeugnisse den ruinösen Preispraktiken des Wettbewerbs zu opfern. Schweren Herzens gab er endlich auf: Die traditionsreiche Marschländer Backwarenfabrik (Tadeusz Rembowski Nachfolger – gegr. 1905) wechselte in die Hände eines Düsseldorfer Großbäckereikonzerns. Es dauerte nicht lange, bis dieser die gesamte Fabrikation aus Oldenmoor nach Thüringen verlagerte und die altehrwürdigen Fabrikgebäude abgerissen wurden. Auf dem umfangreichen Gelände in der Deichstraße entstanden danach neue Wohn- und Geschäftshäuser.

      „Nili, eres tú? – Bist du es?“ Mit ihrer Großmutter Clarissa, die gerade fragend an der Küchentür erscheint, ebenso wie mit ihrer Mutter spricht Nili immer Spanisch, um ihre Kenntnisse in dieser Sprache aufrechtzuerhalten. Wenn ihre Mutter Lissy sich mit ihr allein unterhält, tun sie dies allerdings meistens auf Iwrith. Liebevoll betrachtet Nili ihre Großmama. Sie gehört zu jenen selten begnadeten Menschen, deren Gene trotz einiger Gesichtsfalten ihre in der Jugend gewesene Schönheit bis ins hohe Alter erahnen lassen. „Sí, abuelita, soy yo!“, bestätigt Nili, geht auf die alte Dame zu und umarmt sie liebevoll. „Ist die Mami noch nicht zu Hause?“, fragt sie und blickt auf die Armbanduhr. „Es ist ja schon fast halb sieben.“ In diesem Augenblick hören sie den Dieselmotor des Taro Pickup, den Lissy gerade hinter Nilis Polo abstellt.

      Nili öffnet ihrer Mutter die Tür. „Shalom, Habibi, willkommen zu Hause!“

      Mutter und Tochter fallen sich in die Arme. „Puh, Ima, welch ein apartes Hühnerparfüm!“ Nili rümpft die Nase und macht eine ulkige Grimasse.

      „Schon gut, schon gut, ich geh ja gleich unter die Dusche! Was gibt es Gutes zum Abendessen?“, fragt Lissy. „Es duftet so verdächtig verführerisch aus der Küche.“ Sie nimmt auch Oma Clarissa liebevoll in die Arme.

      „Überraschung! Wird nicht verraten!“

      Wenig später sitzen die drei Generationen gemeinsam am Esszimmertisch und verspeisen genüsslich einige der heiß duftenden Humintas, die Clarissa aus dem Backofen gezaubert hat. Die beliebten Kuchen aus Maisbrei und Frischkäse, in Deckblätter von Maiskolben gewickelt und gebacken – das Rezept hat Clarissa aus Bolivien mitgebracht –, sind ein immer wieder willkommener Menüklassiker des Hauses.

      „Als ich heute beim Einkaufen im Rewe-Markt die verlockend frischen Maiskolben in ihre grünen Chalas eingewickelt sah, konnte ich nicht an mich halten. Ich musste an unsere liebe Köchin Panchita denken, die uns doch so oft mit dieser Köstlichkeit verwöhnt hat. Erinnerst du dich noch, Lissy? Was wohl aus ihr und unserer schönen Villa in Sopocachi geworden sein mag?“ Es folgt ein tiefer Seufzer.

      „Lass man, Mami, wollen wir hoffen, es geht ihr gut, ja?“

      Sehr oft, vor allem seit sie ihren geliebten Ehemann Heiko, den sie alle den Deichkater genannt hatten, vor einigen Jahren verlor, schwelgt Clarissa meist in ihren Erinnerungen. Viel Zeit verbringt sie neuerdings beim Lesen ihrer ihr so teuren Tagebücher, inzwischen etwa dreißig an der Zahl, in denen sie akkurat die Geschehnisse und die intimsten Gedanken seit ihrer frühen Jugend festgehalten hat.

      „Heute hatten wir einen ziemlich schaurigen Einsatztag“, bemerkt Nili, um ihre Omi von ihrem trübseligen Nachsinnen abzulenken. Sie skizziert in groben Umrissen, was auf dem weit abgelegenen Bauernhof vorgefallen ist. Ihre beiden Zuhörerinnen sind entsetzt. „Wie furchtbar, die armen Frauen! Wer tut nur so etwas?“

      Nili wälzt sich unruhig von der einen zur anderen Seite. Während der gesamten Nacht hat sie schlimme Träume gehabt und immer wieder kommen ihr die verkohlten Leichen in den Sinn. Eigentlich ist ja heute Samstag, sie könnte doch länger schlafen. Sie schaut zum Wecker: sieben Uhr! Dennoch beschließt sie aufzustehen, geht ins Badezimmer, putzt sich die Zähne. Nach einer kurzen Katzenwäsche fasst sie die Haare mit einem Gummiband zum Pferdeschwanz zusammen und schlüpft in ihren Jogginganzug. Als sie ihre Laufschuhe angezogen hat, schleicht sie sich leise aus der Haustür und trottet die noch menschenleere Straße entlang. Die frische Morgenluft tut ihr gut und die körperliche Anstrengung vertreibt schon bald den finsteren Nachtnebel aus ihren Gedanken. Nach etwa einer Viertelstunde erreicht sie eine der Landstraßen, die aus Oldenmoor hinausführen, und läuft gleichmäßig auf dem Fahrradweg neben der zu dieser frühen Morgenstunde fast unbefahrenen Autostraße. Als sie an der Auffahrt zum Holstenhof angelangt ist, biegt sie in diese ein, verlangsamt das Lauftempo und macht gleichzeitig tiefe Atemübungen mit weit kreisenden Armen. Kurz bevor sie an das Haus kommt, öffnet sich die Tür und ihr Onkel Oliver, der Bruder ihrer Mutter, kommt ihr mit einem freudigen Lächeln entgegen. „Hola, Nili, que sorpresa tan linda“, begrüßt er sie. „Welch schöne Überraschung schon zu so früher Stunde! Du kommst gerade recht zum Frühstück!“

      „Hi, Onkel Oliver, prima! Darf ich aber erst einmal kurz unter die Dusche, ich bin total verschwitzt!“

      Wenig später sitzt die Großfamilie in der geräumigen Wohnküche. Das sind zum einen der mit seinen siebenundsiebzig Jahren noch sehr kernig erscheinende Onkel und seine daneben sitzende Gattin, Tante Emma-Martha – auch Madde genannt. Sie ist, ebenso wie Nilis Mutter Lissy, zwei Jahre jünger als er, im Gegensatz zu Lissy allerdings ziemlich korpulent. Zum anderen sind das zwei ihrer drei Kinder: Hans-Peter und der Nachkömmling Oskar, den Onkel Oliver spaßig als seinen „selbstgemachten Enkel“ bezeichnet. Die Tochter, Annette, ist schon vor Jahren ausgezogen und wohnt in Berlin. Nilis Onkel Oliver hat sich vor zwei Jahren auf das Altenteil zurückgezogen. Sein ältester Sohn Hans-Peter, der ihm sehr ähnlich sieht, bewirtschaftet seitdem den Holstenhof zusammen mit seiner Ehefrau Corinna. Auch sie haben drei Kinder: Steffan, Carola und Sophie. Natürlich sind alle mächtig stolz auf ihre Nichte-Cousine-Großcousine

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