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und der Revierförsterei gebildet hatte? Da war es nicht gerade spannend. Also nach Hause zurück? Doch am nicht eben warmen Ofen zu sitzen, hatte er noch keine rechte Lust.

      Er überlegte noch, als plötzlich auf der anderen Straßenseite etwas Dunkles aus dem Unterholz brach. Im ersten Augenblick hielt er es für einen Hirsch, dann sah er, dass es sich um einen Menschen handelte. Der Hund begann zu kläffen und riss wie wild an der Leine.

      «Hilfe!», schrie der Mann. «Hilfe, ich kann nicht mehr …» Priepert sah ihn zusammenbrechen und lief, vom Hund gezogen, über die Fahrbahn.

      Der Mann war schwer verletzt, Gesicht und Hände waren blutüberströmt. Das konnte Priepert sogar im matten Licht der Gaslaterne erkennen. Er beugte sich hinunter.

      «Was ist denn passiert?»

      «Ich bin überfallen worden, als ich …» Der Mann röchelte, konnte nicht mehr.

      «Als Sie was?»

      «Da hat einer ein Liebespaar überfallen, und als ich zu Hilfe kommen wollte, da hat er mich … Polizei!»

      Damit verlor der Mann das Bewusstsein. Priepert war sich sicher, dass er gestorben wäre, bevor ein Arzt zur Stelle sein könnte. Die Polizei musste herbeigerufen werden. Er hetzte zum ersten Haus an der Forststraße und klingelte Sturm.

      GESCHIEHT EIN MORD im tiefsten Frieden, so sind die Bürger ungemein erschrocken und reagieren mit Abscheu und Empörung, wird aber einer von ihnen mitten im Krieg ermordet, zudem noch im bis dahin blutigsten seit Menschengedenken, dann sind sie zu erschöpft, um sich darum zu kümmern. Auch sind in Behörden, die als nicht kriegswichtig gelten, die Bureaus nur dünn besetzt, weil die Männer in den Schützengräben hocken. So kam es, dass die Liebespaarmorde im Berliner Norden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. Bis zum Januar 1920 waren es immerhin vier Taten, die zu Protokoll genommen werden mussten. Der modus operandi war immer derselbe, so dass auf ein und denselben Täter geschlossen werden konnte: Erst beobachtete er ein Liebespaar, das gerade zur Sache kommen wollte, dann erschoss er den Mann, verging sich an der Frau und tötete schließlich auch diese.

      Im Mai 1917 wurde im Tegeler Forst, Nähe Schulzendorf, genauer gesagt am Fuße des Bahndamms auf Höhe des Apolloberges, ein Liebespaar ermordet.

      Im Juni 1918 gab es die zweite Tat, und zwar im Wald bei Hermsdorf, in der Nähe der Kneippstraße.

      Im August 1919 registrierte man die dritte Tat, diesmal traf es ein Paar im Wald bei Heiligensee, das sich im Gebüsch hinter dem Elchdamm scheinbar unbeobachtet gewähnt hatte.

      Im Oktober 1919 schlug der Lustmörder, wie man ihn nun schon nannte, zum vierten Mal zu, diesmal am Hermsdorfer See bei Waidmannslust, Nähe Tonstichweg.

      Man hatte in diesen Zeiten anderes zu tun, als die Bevölkerung zu warnen, und wo die Leute wirklich von den Mordtaten gehört hatten, war der Trieb stärker als die Angst, zum nächsten Opfer zu werden. Die Wohnverhältnisse waren so schlecht, und man hockte so dicht aufeinander, dass einem oft nichts weiter übrigblieb, als es im Walde und auf der Heide miteinander zu treiben.

      Die Gemeinden Lübars, Frohnau, Heiligensee, Schulzendorf, Hermsdorf und Tegel gehörten zum Landkreis Niederbarnim und sollten erst am 1. Oktober 1920 mit dem Inkrafttreten des Groß-Berlin-Gesetzes Teil Berlins werden, zusammengefasst im Bezirk Reinickendorf.

      Was also tun, wenn im Landkreis Niederbarnim ein Serientäter am Werke ist, den zu ergreifen die örtlichen Kräfte bei weitem nicht ausreichen? Charlottenburg und Rixdorf, die größten angrenzenden Städte, hatten sich schon im Jahre 1900 mit Berlin zu einem einheitlichen Landespolizeibezirk zusammengeschlossen, nicht aber die oben genannten Gemeinden im Landkreis Niederbarnim. Da sich dessen Verwaltung aber ohnehin in Berlin befand – eine eigene Kreisstadt gab es nicht –, lag es für den zuständigen Landrat nahe, den Lustmörder von der Berliner Kriminalpolizei jagen zu lassen, und über den Regierungspräsidenten und den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg landete der Vorgang auch tatsächlich bei der höchsten politischen Instanz, dem Preußischen Minister des Innern. Dort entschied man, die Mordfälle im Norden Berlins vom Alexanderplatz aufklären zu lassen, wo die größte Kompetenz angesiedelt war. Der Fall lege eine zentrale Bearbeitung nahe, es gelte nicht das Orts-, sondern das Täterprinzip, und zudem sei die aufgebrachte Bevölkerung vor Ort am ehesten zu beruhigen, wenn man ihr mitteilte, die erfahrenen Berliner Beamten würden die Sache in die Hand nehmen. In der Presse erregte dieser Vorgang keinerlei Aufsehen, nahm doch der Alexanderplatz schon seit Jahren faktisch weit über Berlin hinaus die Funktionen eines Landeskriminalpolizeiamtes wahr.

      Hermann Kappe merkte täglich, dass ihm seine Frau immer fremder wurde, seit die kleine Margarete auf der Welt war. Sie war Klaras Ein und Alles, er selbst kam irgendwo unter «ferner liefen …». Wie sollte es auch zu einer aufregenden Liebesnacht kommen, wenn die Kleine schon beim geringsten Geräusch aufwachte und zu schreien begann? Sofort schüttelte Klara ihn ab, um aufzuspringen und nach dem Würmchen zu sehen. Sie fürchtete bei jedem Laut, Margarete würde ersticken. So wie die Dinge lagen, wollte Kappe kaum glauben, dass Klara abermals schwanger war. Es musste bei einem Besuch in Wendisch Rietz passiert sein, als die Tochter bei der Fischer-Oma im Bett geschlafen hatte.

      Vorgestern nun war Kappes Mutter für ein paar Tage nach Berlin gekommen, um abends auf Margarete aufzupassen, und Kappe und Klara konnten endlich wieder einmal zusammen ins Restaurant, ins Kino oder ins Theater gehen.

      «Wie wär’s mal wieder mit Kempinski in der Leipziger Straße?»

      «Ja, gerne!»

      Vom alten Glanz fehlte dort noch immer eine ganze Menge. Die Tischwäsche ließ viel zu wünschen übrig, die im Krieg gefallenen guten Köche konnten noch nicht vollständig ersetzt werden, ebenso - wie überall - das in langen Jahre geschulte Personal. Es mangelte an Glühbirnen, Toilettenpapier, Gläsern, Töpfen und Kasserolen. Die Gasherde konnten wegen der Sperren nur stundenweise benutzt werden, und für die anderen Herde hatte man zu wenig Kohle.

      Dazu kam, dass das Publikum ein anderes geworden war. Militär und Adel hatten ihre dominierende Stellung eingebüßt, und alles, was am Hofe gedient hatte oder zum Antichambrieren nach Berlin gekommen war, konnte als potentieller Gast vergessen werden. An diese Stelle traten die Neureichen, die Raffkes. Auch die Flüchtlinge aus Russland waren nicht alle mittellos nach Deutschland gekommen.

      Kempinskis Weinkarte konnte sich schon wieder sehen lassen, aber Kappe hielt sich zurück, denn er hatte Bereitschaftsdienst, musste zwar nicht im Bureau sitzen, aber angeben, wo man ihn im Falle eines Falles sofort ans Telefon rufen konnte.

      Und so unlieb wäre ihm ein Anruf gar nicht einmal gewesen, denn Klara fing, kaum hatten sie an einem kleinen Tisch einander gegenüber Platz genommen, sofort wieder an, von einer neuen Wohnung zu reden.

      «Bei deinen vornehmen Verwandten, bei den Börnickes, zerreißen sie sich schon das Maul über uns, weil wir noch immer nicht in eine bessere Gegend gezogen sind», sagte Klara.

      Kappe fiel nichts Besseres ein als der abgedroschene Spruch, dass auch in der kleinsten Hütte Platz sei für ein glückliches Paar.

      «Und wenn ich befördert werde, ziehen wir auch um.»

      «Außer mit der Straßenbahn wirst du doch nicht mehr befördert», brummte Klara. «Wenn das zweite Kind kommt, brauchen wir Platz, und meine Kinder sollen nicht in einer Armeleutegegend aufwachsen.»

      Kappe ging es zunehmend auf die Nerven, dass sie nur immer höher hinaus wollte. «Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, ich hätte an die Front gemusst und wäre gefallen. Dann hättest du dir einen anderen Mann suchen können, einen Akademiker, einen Assessor oder Professor.»

      Klara wurde nun richtiggehend böse. «Irgendwann verliere ich mal die Geduld!»

      «Nein, bitte nicht!» Kappe legte, um sie zu beschwichtigen, seine Hände auf die ihren. «Du weißt doch: Ohne dich kann ich nicht sein.»

      «Mit mir und Margarete aber auch nicht - oder?»

      «Doch,

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