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für die Farbe Rot beim achten Mal steigen muss. Das ist zwar mathematisch falsch, aber wir glauben daran, weil wir für die Vorhersage von Wahrscheinlichkeiten in kurzen Betrachtungszeiträumen optimiert wurden. Und in diesen Betrachtungszeiträumen ist es extrem unwahrscheinlich, dass sieben Mal und häufiger dieselbe Farbe fällt. Wir erwarten zu fünfzig Prozent eine Farbe, fällt sie mehrfach, steigt bei jedem Mal die gefühlte Wahrscheinlichkeit für die erwartete Gegenfarbe. Unser Gehirn ist eindeutig nicht für den Roulette-Tisch optimiert, egal ob in Monte Carlo oder Las Vegas …

      Meine Hypothese, warum wir bei siebenmaligem Auftreten eines Ereignisses unlogisch zu interpretieren beginnen, ist, dass unsere Wahrnehmung auf natürlich wahrnehmbare Regelmäßigkeiten in einer kurzen Lebensspanne und damit auf die typische Herdengröße hin entwickelt wurde. Zweiteres wird uns später bei der Diskussion zu unserer Ablenkbarkeit und der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne wieder begegnen. So viel kann man aber verraten: Wir sind extrem empfänglich für Ablenkung: Speziell in Büros mit rund sieben Mitarbeitern, da wir in dieser Gruppengröße Gespräche noch getrennt voneinander wahrnehmen (müssen).

      Das bedeutet zusammengefasst, dass unser Gehirn darauf hin optimiert wurde, Ereignisse vorhersagen zu können: Es bildet ständig Hypothesen. Je besser unsere Hypothese mit dem tatsächlich wahrgenommenen Ereignis übereinstimmt, desto sicherer fühlen wir uns. Einerseits sind unsere Hypothesen und Wahrnehmungen davon abhängig, wie wir die Welt gestern erlebt haben, und andererseits davon, wie unsere direkten Mitmenschen das getan haben. Mit ihnen sind wir nämlich emotional verbunden und in unserer eigenen Wahrnehmung von ihnen abhängig.

      Neugierde

      Wenn die zwei „Froschprogramme“ Nahrungs- und Sexualtrieb und die „Spitzmausprogramme“ Bindung und Sicherheit befriedigt sind, dann fühlen wir uns wohl. Wohlfühlen ist biologisch gleichbedeutend mit der Aktivierung des „Energiesparprogramms“, das uns sinnvollerweise nur dann zur Energieinvestition motiviert, wenn es absolut notwendig ist. Es scheint nun aber so zu sein, dass wir von jenen primitiven Säugetieren abstammen, die – auch ohne ersichtlichen äußeren Grund – begonnen haben, Energie zu investieren, um die Welt nach Neuem und Interessantem zu durchforsten. Programm Nummer 3 war geboren: der Neugiertrieb, der in diesem Zusammenhang als innerer Antrieb zum Risiko zu verstehen ist.

      Es ist keineswegs selbstverständlich, dass uns langweilig wird, wenn alle primären Bedürfnisse befriedigt sind. Es hatte aber offensichtlich einen entscheidenden biologischen Vorteil, den einen oder anderen Neugierigen in einer Herde zu haben; einen, an dem man beobachten konnte, welches neue Verhalten sich lohnt und welches man lieber bleiben lässt. Und das ist auch der Sinn der unzähligen selbst produzierten Action-Filmchen auf You Tube: Beim Ansehen erfahren wir, was wir garantiert nie ausprobieren werden. Zumindest gilt das für die meisten von uns. Genetische Diversität in einem Kollektiv hat sich immer ausgezahlt. Und so finden wir auch heute Menschen mit hohem oder niedrigem Blutdruck, mit schnellem oder langsamem Stoffwechsel, mit viel und wenig Muskelmasse; wir finden stressresistente und eher empfindliche und wir finden detailbesessene und fehleranfällige Mitarbeiter.

      Beispielsweise waren jene Vorfahren mit genetisch bedingt erhöhtem Blutdruck wohl jene Exemplare, die bei einem Überraschungsangriff wesentlich schneller in die Gänge gekommen sind, alle anderen warnen konnten und dadurch die Überlebenschancen für alle erhöhten. (Das soll jetzt aber keine Jubelstimmung bei Bluthochdruck-Patienten auslösen, die durch chronischen Bewegungsmangel und Fehlernährung nicht selten selbst zum Problem beitragen: Zum Gesundheitsproblem wird Bluthochdruck erst, seitdem wir so alt werden. Sie haben also zwei Möglichkeiten, um nicht mit den negativen Folgen von Bluthochdruck konfrontiert zu werden: Eine davon ist, auf Bewegung und Ernährung zu achten. Die andere, möglichst nicht alt zu werden. Aber das ist für die meisten wohl keine erstrebenswerte Option).

      Neugierde nun in Abhängigkeit von Bindung und Sicherheit zu verstehen, halte ich für sehr wichtig und schlage folgende Formel für das bessere Verständnis unseres Spitzmausgehirns vor:

      Bindung + Sicherheit = Neugierde

      Das bedeutet logischerweise, dass Neugierde – und damit die innere Bereitschaft zur Energieinvestition – gering sein wird, wenn Bindung und Sicherheit nicht in gewissem Umfang gegeben sind. Es wäre biologisch zu riskant, in Phasen der Unsicherheit neue, unbekannte Verhaltensweisen auszuprobieren. In diesen Phasen verlassen wir uns auf bewährte Verhaltensmuster, von denen wir wissen, dass sie funktionieren. Umgekehrt kann ein Zuviel an Sicherheit langfristig nachteilig sein, da – wie beim Sicherheitstrieb dargestellt – die „Spitzmaus“ nur dann passende Hypothesen bilden kann, wenn sie etwas riskiert und Neues über die Welt lernt. In einer Art Rückkoppelung aktiviert ein Zuviel an Sicherheit den Neugiertrieb: Uns wird langweilig und wir beginnen, etwas Neues zu suchen und auszuprobieren. Wir riskieren etwas und verunsichern uns dabei selbst, was ab einem gewissen Grad wiederum zur Hemmung der Neugierde führt.

      Wendet man diese Logik in der Berufswelt an, ahnt man, warum Führungskräfte gut beraten sind, in Bindung und Sicherheit zu investieren, wenn Innovation und Anpassungsbereitschaft gefordert sind. Sie sollten auch verstehen, dass sie nicht dem Reflex nachgeben sollten, ausschließlich rational zu erklären, was zu tun ist. Der Mitarbeiterreflex, zu sagen: „Ich mach’ es so wie in den letzten fünfzehn Jahren, weil das besser ist“, resultiert also meist nicht aus fehlenden Erklärungen und Begründungen der Führungskräfte, sondern folgt auf einen Verlust an Sicherheit und Bindung. Kreativität kann sich unter Druck nicht entwickeln. Mehr dazu finden Sie in Kapitel 5 („Hirngerechte Mitarbeiterführung“).

      Für unsere Lerninstitutionen, ob für Kinder oder Erwachsene, gilt übrigens dasselbe: Begeisterung zum Mitdenken und Ausprobieren entwickelt sich nur, wenn auch die Beziehung zum Coach oder Lehrer stimmt. Kommt zu einer gestörten Beziehung dann auch noch ein fehlendes Problembewusstsein des Schülers dazu („Wozu brauche ich das?“), ist der Mix „perfekt“: Gelerntes wird in einem Hirnbereich abgespeichert, der bei der Lösung neuer Probleme gar nicht aktiviert wird. Das bedeutet, dass diese Information nicht zum aktiven Lösen neuer Probleme verwendet werden kann. Es wurde einfach nur kontextabhängig auswendig gelernt, sodass „sinnvolle“ Details abrufbar bleiben, wie zum Beispiel die Seite, auf der etwas steht. Oder man erinnert sich sehr gut an etwas, wenn man in derselben Umgebung ist. Sie kennen das bestimmt aus Ihrer Schulzeit …

      Eine wesentliche Eigenschaft unseres Spitzmausgehirns fehlt uns noch, die ich anhand einer fiktiven Geschichte darstellen möchte: Das Alphatier einer hungrigen Steinzeitmenschengruppe fordert zur Mammutjagd auf, die in zwei Varianten ablaufen könnte.

      Beispiel A: Drei Männchen, Harald und seine Kumpel Karl-Heinz und Uwe, melden sich freiwillig, ziehen los und kehren nach einer Woche erfolglos – ohne Mammut, und nur mehr zu zweit – zurück. Die Grube für das Mammut war nicht tief genug gegraben worden und keiner der drei Jäger kam auf die Idee, Holzspeere in der Grube zu platzieren, damit das Mammut leichter getötet werden kann. Und Karl-Heinz hatte überhaupt Pech, er hat die Jagd nicht überlebt – er wurde von einem angreifenden Säbelzahntiger getötet: ein gescheitertes Projekt.

      Beispiel B: Harald, Karl-Heinz und Uwe melden sich freiwillig, ziehen los und kehren nach fünf Stunden erfolgreich – mit einem getöteten Mammut – zurück. Sie hatten in diesem Beispiel großes Glück, ein Jungtier lag wenige Kilometer außerhalb ihres Lagers angeschlagen hinter einem Felsen. Das Tier war schnell getötet und zu ihren Familien zurück transportiert. Ein „quick win“, quasi ein Geschenk und damit ein hoch erfolgreicher Projektabschluss.

      In Beispiel A war die Stimmung, wie nach jedem gescheiterten Projekt mit unschönen Kollateralschäden, natürlich auf dem Tiefpunkt. In Beispiel B war das Gegenteil der Fall: Die drei Heimkehrer wurden wie Helden gefeiert, bekamen – natürlich erst nach dem Chef – als Erste zu essen und im Anschluss die coolsten Weibchen. Die Welt war für alle Beteiligten in Ordnung.

      Auf die Frage des Chefs in Beispiel A, wer einen neuerlichen Versuch starten wolle, um das Überleben der Gruppe zu sichern, würden sich die beiden Überlebenden wohl nicht mehr melden: Erinnerungen an dramatische Erlebnisse führen bei den Heimkehrern zu Vermeidungsstrategien, da ihr Angst- und Belohnungszentrum genau das gelernt

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