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erst einmal geschaffen werden. Die ersten zweckdienlichen Dampfwagen für den Transport von Menschen und Gütern auf Straßen und Schienen setzte der englische Grubeningenieur Richard Trevithick (1771–1833) in Fahrt. Er hatte 1798 eine für mobile Zwecke brauchbare Hochdruckdampfmaschine konstruiert, die ihre Tauglichkeit 1801 in einem veritablen Automobil unter Beweis stellte.25 Mangels Kaufinteressenten richtete Trevithick sein Interesse auf Schienenfahrzeuge und baute mit seinen Mitarbeitern einen waagerecht liegenden Hochdruckdampfkessel mit Schornstein – die erste Dampflokomotive. Die Maschine mit Spurkranzrädern fuhr das erste Mal am 25. Februar 1804 auf einer Hüttenwerksbahn in Südwales und zog fünf Waggons mit einer Last von zehn Tonnen über eine Strecke von rund fünfzehn Kilometern. Es war die erste nachweisbar gelungene Fahrt eines mechanischen Dampfwagens mit Anhängern auf Schienen, der nicht nur Güter transportierte, sondern zugleich an die siebzig Personen, die die Mitfahrt gewagt hatten.

      Als nachhaltig industrieller Verwerter der von Trevithick entwickelten Technik trat ab 1814 der englische Unternehmer George Stephenson (1781–1848) auf. Er leitete von 1821 bis 1825 den Bau einer Bahnlinie im Kohlerevier zwischen Stockton und Darlington und gründete in Newcastle die weltweit erste Lokomotivenfabrik, in der 1829 mit der »Rocket« ein bereits 48 km/h schnelles Zug- und Dampfross gebaut wurde. Ein Jahr später, bei der Einweihung der ersten öffentlichen Linie Liverpool–Manchester, zeigte sich das enorme Potenzial des neuen Verkehrsmittels. Die bereits zweigleisig geführte Strecke verlief durch einen zwei Kilometer langen Tunnel sowie über 65 Viadukte. Die Bahnhöfe verfügten über Ausweich- und Rangiergleise, und es gab einen Fahrplan. Der deutsche Publizist Georg Weerth brachte das durch wagnisbereite Aktiengesellschaften geprägte Geschehen kenntnisreich so auf den Punkt:

      »Im Jahre 1830 wurde dem Publikum die Bahn eröffnet, und von 30 Kutschen welche bisher zwischen Manchester und Liverpool fuhren, stellten 29 sofort ihren Dienst ein. Früher reisten täglich 500 Personen zwischen beiden Städten, jetzt stieg diese Zahl sogleich auf das Dreifache, und schon in den ersten Tagen expedierte man 1600 Passagiere täglich. […] Jedenfalls machte der Personentransport von Anfang an den Hauptgewinn der neuen Bahn aus. Schon bald zeigte man eine Dividende von 10 Prozent an, und die Aktien stiegen auf 120 Prozent Prämie. Somit war die Sache im Gange.«26

      Nach dem Bekanntwerden dieser Erfolgsgeschichte reisten Heerscharen von Kaufleuten, Regierungsmitgliedern, Technikern und Bankiers vom Kontinent nach England, um das Eisenbahnsystem zu studieren, flammte im liberal gesinnten deutschen Bürgertum nachhaltiges Interesse für das neue Verkehrsmittel auf. Zu den bedeutenden Akteuren, die auf den Bau von Eisenbahnen drängten, zählten u. a. die Nürnberger Stadtväter Georg Zacharias Platner (1781–1862) und Johannes Scharrer (1785–1844), der als »Vater des Ruhrgebiets« gerühmte Unternehmer und Politiker Friedrich Harkort (1793–1880), der Wegbereiter der Bahn in Bayern, Joseph Freiherr von Baader (1763–1835), und der Begründer der Herzoglich Braunschweigischen Staatseisenbahn, Philipp August von Amsberg (1788–1871).

      Eine herausragende Rolle spielte Friedrich List (1789–1846). Der in den 1820er Jahren wegen seiner demokratischen Überzeugung politisch verfolgte und eine Zeitlang ins Exil getriebene Wirtschaftstheoretiker hatte ab 1828 in seinen Mittheilungen aus America das deutsche Publikum von den Anfängen des Eisenbahnwesens in den Vereinigten Staaten unterrichtet und in Pennsylvania mit anderen Gesellschaftern eine Eisenbahnlinie begründet. Deren praktischen Nutzen kannte List aus eigener Erfahrung, als er nach dem Erhalt der amerikanischen Staatsbürgerschaft 1833 im Range eines amerikanischen Konsuls in das Großherzogtum Baden entsandt wurde.

      Wieder im Lande begrüßte Friedrich List, für den die Überwindung der innerdeutschen Zollschranken ein wichtiges Anliegen war, den gerade gegründeten Deutschen Zollverein. Zugleich setzte er sich vernehmlich für den Aufbau eines deutschen Eisenbahnnetzes ein. Noch 1833 verfasste er eine kleine Schrift, die er in hoher Auflage kostenlos verteilen ließ: Ueber ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden. Schon dieser erste Entwurf beinhaltete einige später gebaute Hauptlinien. Weitere Vorschläge und Planungen des liberalen Ökonomen und bedeutenden Eisenbahnpioniers ließen nicht auf sich warten. Sie verrieten visionären Sachverstand.27

      Die erste öffentliche Dampfeisenbahn auf dem europäischen Kontinent fuhr allerdings nicht in deutschen Landen, sondern ab 5. Mai 1835 auf der Teilstrecke Brüssel–Mecheln. Die belgische Regierung hatte 1834 George Stephenson mit der Entwicklung eines auch die Nachbarländer einbeziehenden Eisenbahnnetzes beauftragt, das dann ebenfalls entstand – als erste Staatseisenbahn der Welt. Das deutsche Eisenbahnzeitalter läuteten mit einiger Verzögerung gegenüber dem Mutterland der Industrialisierung nun nicht die von List angetriebenen Sachsen ein, sondern fränkische Kaufleute, die im Mai 1833 die Gesellschaft für die Errichtung einer Eisenbahn mit Dampfkraft zwischen Nürnberg und Fürth aus der Taufe gehoben hatten. Im Februar 1834 erhielt die Gesellschaft von König Ludwig das Privileg zum Betrieb der Strecke für den Zeitraum von dreißig Jahren, einige Monate später begann der Ingenieur Paul Camille von Denis (1795–1872), der sich auf Reisen durch Nordamerika und England mit dem Eisenbahnwesen vertraut gemacht hatte, mit der Vermessung der Strecke und der Erstellung der Pläne und Zeichnungen. Im Mai 1835 wurden die Erdarbeiten in Angriff genommen, ab Juli die Gleise nach dem englischen Vorbild verlegt.

      Der deutsche Schienenpersonenverkehr mit Dampfkraft startete am 7. Dezember 1835 auf der knapp sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth. Die Trasse war zuvor trotz fehlender praktischer Erfahrung und dem Mangel an technischen Hilfsmitteln in wenigen Monaten fertiggestellt worden. Und das, obwohl die Schienen aus Deutschlands zu jener Zeit einzigem walzfähigen Eisenwerk im dreihundert Kilometer entfernten Neuwied mühselig mit Pferdefuhrwerken herangeschafft werden mussten. Fuhrwerke wurden auch zum Heranschaffen der Kohle aus Zwickau eingesetzt. Da das bei einer Entfernung von zweihundert Kilometern mit hohen Kosten verbunden war, kam die aus der Fabrik von George Stephenson importierte Lokomotive »Adler« anfangs nur selten zum Einsatz. Gut drei Viertel der Zugfahrten erfolgten zunächst nicht mit dem eisernen, sondern mit tierischen Rössern. Immerhin reduzierte sich beim Dampfbetrieb die Fahrzeit gegenüber der Pferdekutsche von 25 auf fünfzehn Minuten.

      Die erste deutsche Bahnlinie war sozusagen der Vorläufer des heutigen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Von Nürnberg nach Fürth wurde täglich vormittags dreimal mit Pferden gefahren, nachmittags zwei- bis dreimal mit der Lok »Adler« und später mehrere Male erneut mit Pferden. Die Rückfahrt von Fürth nach Nürnberg erfolgte spiegelbildlich entsprechend. Zusätzliche Fahrten wurden eingerichtet, wenn Bedarf bestand. Die Personenwagen hatten Platz für zwölf bis dreißig Personen, wobei die einfachsten nach oben offen und die für die vornehme Klientel gegen die Einflüsse von Wind und Wetter mit Glasfenstern versehen und mit Tuch und Borten geschützt waren.

      Friedrich Lists Aufruf zur Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden ging auch in Erfüllung und bescherte den Deutschen die erste Ferneisenbahn.28 Die mit einem Tunnel aufwartende 150 Kilometer lange Gesamtstrecke zwischen der Messestadt und der Residenzstadt war vom 7. April 1839 an durchgängig befahrbar. Sie verkürzte die Reisezeit zwischen beiden Städten von 21 auf damals schier unglaubliche drei Stunden.

      Die dritte deutsche Linie Berlin–Potsdam – zugleich die erste preußische Eisenbahn – wurde am 22. September 1838 eröffnet. An diesem Tag nahm die Berlin-Potsdamer Eisenbahn-Gesellschaft auf der Teilstrecke Zehlendorf–Potsdam den öffentlichen Verkehr auf. Die Spurweite richtete sich übrigens wie schon in Nürnberg und Leipzig nach britischen Gepflogenheiten. Sie betrug 1,435 Meter und ist uns als sogenannte Normalspur bis heute erhalten geblieben. Die sechs Lokomotiven mussten mangels deutscher Alternativen von Stephensons Fabrik aus Newcastle bezogen und bei der Einfuhr nach Preußen verzollt werden. Immerhin durften die mitgelieferten Muster-Personenwagen dann in Berlin nachgebaut werden.

      »In gewisser Beziehung ist dieses Ereignis, da es den Anfangspunkt der Benutzung der Eisenbahnen im preußischen Staat bildet, für diesen eines der wichtigsten des Jahrhunderts«, kommentierte ein Reporter der Vossischen Zeitung das Eröffnungsgeschehen der Berlin-Potsdamer-Eisenbahn. »In der Geschichte der Industrie wenigstens dürfte ihm keins an die Seite zu setzen sein. […] Schon vom frühen Morgen an bot die Gegend um den Bahnhof ein

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