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Glauben - Wie geht das?. Matthias Beck
Читать онлайн.Название Glauben - Wie geht das?
Год выпуска 0
isbn 9783990401989
Автор произведения Matthias Beck
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Es geht hier religionsgeschichtlich um den Umbruch vom gedachten und projizierten Gott hin zu jenem Gott, den es „wirklich“ gibt. Es ist der Umbruch geschehen vom gedachten, vorgestellten und in den Himmel hineinprojizierten Gott hin zum wahren Gott, der sich selbst zeigt, der da ist („Ich-bin-da“) und der in dieser Welt handelt. Das Volk Israel geht davon aus, dass es möglich ist, dass der letzte Grund allen Seins, also der Schöpfer des gesamten Universums, anfängt, sich selbst zu zeigen und den Menschen anzusprechen. Das Sein und das Absolute haben sich schon immer ausgedrückt in dem Seienden, in den Dingen und den Ereignissen der Welt. Das Neue aber ist, dass jetzt nicht mehr nur das Sein im Seienden „spricht“, sondern dass der Grund von allem, der Schöpfergott selbst, der allem Sein zugrunde liegt, anfängt zu sprechen und zu handeln. Er ruft das Volk und einzelne Menschen in einen besonderen Dienst (Abraham, Moses, die Propheten).
Jahwe tritt aus seinem Versteck heraus und erweist seine Macht gegenüber allen anderen Göttern und Völkern durch seine Befreiungstat. Besonders dieses machtvolle Handeln überzeugt das Volk, dass hier Gott selbst am Werk sein muss. Daher sprechen auch alle Befreiungsgeschichten (Auszug aus Ägypten, Durchzug durchs Rote Meer) von der gewaltigen Befreiungstat Gottes, die gewalttätig klingt: Die Ägypter werden total vernichtet. (Ex 14, 26–31) So ist zwar das Alte Testament von Menschen aufgeschrieben worden, aber ihre Erfahrung ist für sie nicht anders zu interpretieren als durch das machtvolle Handeln Gottes.
Es wurde schon erwähnt, dass im Hebräischen das Sprechen und Handeln sehr nahe beieinander liegen. Das hebräische Wort „dabar“ für „Wort“ und „Sprechen“ ist sehr viel wirklichkeitsnäher als das griechische Pendant, Logos. Logos ist eher abstrakt und wirklichkeitsfern während „dabar“ geradezu Wirklichkeit schafft, und daher heißt es im Buch Genesis: „Gott sprach, es werde Licht! Und es wurde Licht.“ (Gen 1, 3) Das Sprechen Gottes schafft Wirklichkeit. Die Erfahrung des Volkes Israel ist eben das Sprechen, Handeln und Wirken Gottes. Gott wirkt mit Macht, er ist wirklich. Und so ist es nur zu verständlich, dass Gott auch der „Bewirker“, der Schöpfer der Welt ist. Er erschafft die Welt aus dem Nichts durch sein Wort. Gottes Sprechen ist Handeln, und dies bewirkt eine Initialzündung, sodass die Welt sich dann von selbst weiterentwickeln kann.19
Gott spricht und das Ganze wird. Er gibt sein Vermögen an die Welt weiter, sodass die Welt aus sich selbst heraus werden und sich selbst übersteigen kann. Dieser Werdeprozess ist Ausdruck der großen Wirk-, Entwicklungs- und Entfaltungskraft des Göttlichen. Jahwe setzt etwas in Gang, was dann alles Weitere aus sich selbst heraus entlässt und von selbst weiterentwickeln kann. Das „von selbst“ ist fast ein göttliches Prinzip. Die Welt entwickelt sich von selbst evolutiv weiter, die Sonne scheint von selbst, die Embryonalentwicklung geht von selbst, das Herz schlägt von selbst und vieles mehr. Gott ist der Schöpfer dieses riesigen Kosmos, der sich nach wie vor ausdehnt und weiterentwickelt.
An diesem Wort, Sprechen und Handeln des Schöpfers, an seinem Logos hat die menschliche Vernunft Anteil. Logos ist nicht nur Wort, sondern auch Ur-Vernunft, Ur-Wort, Ur-Sinn. Dieser Logos liegt der Welt voraus, er liegt ihr zugrunde und findet sich in allem: in den Gesetzen der Natur, in der Logik der Vernunft, im Sprechen des Menschen, sogar in den Begriffen der verschiedenen Sprachen. Da dieser Logos dem Menschen und der Natur innewohnt, kann der Mensch die Logik der Sprache und des Denkens verstehen lernen, er kann die Logik der Welt mit ihren Naturgesetzen schrittweise begreifen, er kann Naturwissenschaft betreiben und so die Logik der Welt immer besser verstehen. Er kann den Logos aber nicht nur im Denken, in der Welt und ihren Gesetzen finden, sondern auch tief in seinem Inneren als das innere Wort (Gadamer) und den Seelengrund in sich, den er als die Stimme Gottes identifizieren kann. Der Mensch soll an diesem Logos, der in allem zu finden ist, sein Maß nehmen. Von ihm her soll er seinen eigenen Sinn finden.
Wenn der Schöpfergott mit seinem Logos die Welt erschafft und sie durch diesen Logos im Sein erhält, dann ist dieser Gott keiner, der ständig wie ein Baumeister an der Entwicklung von Tieren oder Pflanzen herumbastelt oder sich Naturgesetze ausdenkt und diese dann in der Welt umsetzt. Wenn Gott der Schöpfer ist, dann ist mit seinem Logos im Schöpfungsakt und in jedem Moment alles gegeben: die Möglichkeit zur Expansion des Kosmos, die Entstehung von Leben und menschlichem Geist, die evolutive Entwicklung der Welt, die Naturgesetze, schließlich alles, was diesen Kosmos ausmacht und im Innersten zusammenhält. Gott ist nicht jemand, der im Laufe der Zeit an der Welt herumkorrigiert.
Es heißt ausdrücklich „Im Anfang (Herv. v. Verf.) war der Logos und der Logos war bei Gott, und der Logos war Gott“ (Joh 1, 1) und nicht „Am Anfang“. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es bei Herrmann Hesse, also ist der Logos in allem Anfanghaften und in allem Ursprünglichen und Anwesenden „da“ und gegenwärtig. Der Schöpfergott schafft alles aus diesem Logos heraus und hält alles im Sein. Er ist der Ursprung schlechthin, aus dem alles je neu ursprünglich aufspringt. Man spricht auch von der „creatio continua“, von der kontinuierlichen Schöpfung, die in der „creatio ex nihilo“, in der Schöpfung aus dem Nichts, schon grundgelegt ist.
Diese Schöpfung aus dem Nichts wird im Buch Genesis als ein Sechs-Tage-Werk geschildert. (Gen 1, 1–31) Man darf sich das wohl nicht so vorstellen, dass Gott die Welt in sechs Tagen aus Einzelteilen zusammensetzt, dass er jeden Stern einzeln und die Sonne und den Mond und jedes einzelne Tier erschafft. Aus dem Vielen wird durch Zusammensetzung keine Einheit, sondern umgekehrt: Die Vielheit entfaltet sich aus dem Einen. So ist wohl mit der Schöpfungsgeschichte eher ein kontinuierlicher Werdeprozess und Entfaltungsprozess gemeint. Insofern ist der Gedanke der Schöpfung durchaus mit dem Gedanken einer evolutiven Entwicklung der Welt zu vereinbaren.
Allerdings kann die naturwissenschaftliche Theorie, die diese evolutive Entwicklung verstehen helfen will – wie im Kapitel über Christentum und Naturwissenschaften näher ausgeführt wird –, zwei Übergänge kaum erklären: den Übergang vom Unbelebten zum Belebten und vom tierischen Bereich hin zum menschlichen Geist. Theologisch kann man es sich hier leicht machen und sagen: Wenn sich aus dem Unbelebten etwas Belebtes entwickelt und vom Belebten eine Entwicklung hin zum menschlichen Geist stattfindet, dann muss beides schon von Anfang an in der Schöpfung verborgen da gewesen sein, das sich dann evolutiv herausbildet. Es fragt sich nämlich, wo und wie das wirklich Neue entsteht, also die lebendige Pflanze aus unbelebter Materie und der menschliche Geist aus dem Tier. Rein innerweltlich stellt sich die Frage, ob sich das Leben aus der unbelebten Materie herausentwickeln kann und ob der menschliche Geist aus dem Tier entsteht? Das Phänomen der Evolution mit dem Entstehen von Neuem, des Belebten aus Unbelebtem und des Geistes aus Nicht-Geistigem wird mit dem Begriff der Emergenz belegt. Dazu mehr im Kapitel über Christentum und Naturwissenschaft.
Aristoteles verwendet für die Entfaltungsdynamik des Lebendigen den Begriff der Selbstbewegung. Er hat diese Vorstellungen in seiner Physik entwickelt (von „Physis“, „Natur“). Er sah, dass alles Lebendige in der Welt sich verändert und dass Veränderung ein Phänomen von Raum und Zeit ist. Auf der Suche nach dem letzten Grund schloss er, dass es hinter allem Veränderlichen einen letzten Grund geben müsse, der selbst nicht veränderlich ist. Dieser Grund ist jenseits von Raum und Zeit und somit der Veränderung nicht unterworfen. So kam er auf den unbewegten Beweger als den letzten Grund des Seins. Das klingt aus seiner Perspektive plausibel. Von einem Schöpfergott im hier beschriebenen Sinn wusste er wohl nichts.
Das Judentum geht mit der Konzeption des Schöpfers und der Schöpfung, die in der Lage ist zur aktiven Selbstentfaltung, Selbstbewegung und Selbsttranszendenz (Selbstüberstieg) des Lebendigen, wohl darüber hinaus. Das Göttliche ist von hier aus nicht der unbewegte Beweger, sondern – so könnte man sagen –, der aus sich selbst heraus seiende Schöpfer, der sich aus sich selbst heraus versteht und insofern selbst-verständlich ist, der das Leben anstößt und im Leben etwas anstößt, das dann „von selbst“ weiter werden kann.
So kann man die Gottesvorstellungen des Volkes Israel wie folgt zusammenfassen: Der Grund allen Seins, der die Dinge überhaupt erst zu dem macht, was sie sind, zeigt sich nicht nur in den Dingen, sondern er tritt explizit aus sich selbst heraus und beginnt zu sprechen. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Weltgeschichte. War der Mensch bisher von sich aus auf der Suche nach dem letzten Grund und den innersten Zusammenhängen der Welt, beginnt nun dieser letzte Grund sich selbst als eine