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Ehrenmord ist kein Aprilscherz. Manfred Eisner
Читать онлайн.Название Ehrenmord ist kein Aprilscherz
Год выпуска 0
isbn 9783961456352
Автор произведения Manfred Eisner
Жанр Ужасы и Мистика
Издательство Автор
»So, das wär’s! Robert, kann ich bitte den Schlüssel und die Papiere für den X3 haben?«
»Ist vollgetankt und steht auf dem Parkplatz vor dem Haus 10. Papiere sind im Handschuhfach!«
Nili fängt den ihr zugeworfenen Autoschlüssel. »Danke!«, sagt sie und wendet sich an Margrit: »Ist es okay, wenn ich Sie morgen früh um sieben zu Hause abhole? Ich möchte möglichst früh los, denn wir haben sechshundertfünfundzwanzig Kilometer zu bewältigen. Wenn Sie möchten, bringe ich Sie auch gleich nach Hause. Aber vorher holen wir noch die Mordwaffe, mit der der arme Uwe Wilkens hingerichtet wurde, aus der Asservatenkammer. Vielleicht helfen uns die belgischen Kollegen, auch diese zu identifizieren. Dann tschüss, ihr beiden, seid schön fleißig! Wir melden uns!« Sie winkt Ferdl und Robert zum Abschied.
Ferdl grinst. »Und net vergess’n, Madls, an Buko mitführen!« Zu viel Spaß hat ihm dieser Begriff bereitet, als man ihm zuletzt den gleichen Rat mit auf den Weg gab.
»Aber klaro, Amigo! Wie hätten wir nur dieses unverzichtbare Le Must vergessen können!« Margrit grient. »Beischlaf-Utensilienkoffer …«, murmelt Ferdl vor sich hin, als Nili und Margrit bereits den Arbeitsraum verlassen haben. »Was für an lustiger Schmarrn!«
Während Nili im Dienst-BMW auf dem Weg zu ihrer Wohnung ist, ruft sie ihren Lebensgefährten Walter Mohr an. Ein wenig enttäuscht ist sie, als ihr nur seine Mailbox antwortet.
»Hallo, mein Liebster! Ich hatte gehofft, dich persönlich zu erreichen. Margrit und ich fahren morgen früh um sieben Uhr nach Belgien. Würde mich sehr freuen, dich heute noch zu sehen, falls du auf einen kurzen Bissen bei unserem Griechen um die Ecke vorbeikommen kannst. Ich möchte allerdings früh schlafen gehen, denn uns erwartet morgen eine fast siebenhundert Kilometer lange Autofahrt. Mach dir aber keinen Stress! Ist nicht so schlimm, wenn du es nicht schaffst, dann sehen wir uns eben am Wochenende. Ich liebe dich! Großer Kuss von deiner Nili.«
2. Amina
»Besna, wo ist Amina?«, ruft die Mutter Akila ihrer Tochter aus der Küche zu. »In eurem Zimmer ist sie jedenfalls nicht!«
»Ich weiß nicht, Umm Walid4. Sie ist noch nicht von der Schule zurückgekommen.«
»Wieso, seid ihr nicht zusammen nach Hause gegangen?«
»Nein, Umm Walid. Ich ging früher, weil wir die letzten beiden Stunden Sport hatten und ich daran ja nicht teilnehmen soll!«
»Hat sie sich vielleicht wieder mit diesem Kafir5 getroffen?«
»Das weiß ich nicht, Umm Walid. Aber ich glaube kaum, dass sie es noch einmal wagt, sich dem strikten Befehl unseres Vaters zu widersetzen. Der Krach von gestern ist ihr ganz schön an die Nieren gegangen. Sie hat die ganze Nacht im Bett geweint. Sogar ich konnte deswegen kaum schlafen. Es hat mich übrigens sehr aufgeregt, dass Vater so aufgebracht war und so furchtbar mit ihr geschimpft hat.«
»Ja, mein Kind, auch ich war tieftraurig, dass unsere liebe Amina sich von unserem Glauben derart entfernt und damit den Zorn Allahs und die Verachtung der ganzen Familie auf sich zieht. Du weißt ja, sie ist Vaters jüngerem Vetter Hamid in Marrakesch versprochen und soll ihn dort sofort heiraten, nachdem sie hier mit der Schule fertig ist. Ich verstehe sowieso nicht, wozu sie eigentlich Abitur machen will und Abu Jalil ihr das überhaupt erlaubt hat. Das ist doch für unsereins nicht nötig, denn eine Frau gehört zu ihrem Mann und ihren Kinder ins Haus und braucht hierzu weder Chemie noch Physik. Eine bessere Partie als Hamid könnte sie niemals machen, denn dieser ist, ebenso wie sein älterer Bruder Hassan in Brüssel, ein schwerreicher Kaufmann. Sie besitzen mehrere Schmuckgeschäfte sowohl in der Medina von Marrakesch als auch in Belgien und Holland. Stattdessen treibt sie sich mit diesem Ungläubigen herum! Was für eine Schande für unsere Familie!«
»Aber Mutter, es ist ja nicht so, wie du sagst!«, protestiert Besna. »Amina treibt sich doch nicht herum! Ja, es ist wahr, dass Amina und Jörg sich angefreundet haben, schließlich gehen sie in dieselbe Klasse. Ich habe ihn auch kenngelernt. Er ist ein sehr netter Junge, respektiert Amina und tritt ihr niemals zu nahe. Er hilft ihr vor allem in Mathe. Soweit ich weiß, ist Hamid ein bereits fast fünfzig Jahre alter Witwer, der schon vier Söhne hat. Unsere Amina ist doch gerade erst siebzehn geworden und damit so alt wie Hamids jüngster Sohn! Was soll sie mit einem so alten Mann? Warum versteht ihr nicht, dass es hier in Deutschland nicht so ist wie bei uns und es auch nicht sein kann, denn hier leben und denken die Leute ganz anders als in Marokko. Glaubst du wirklich, dass – obwohl alle deine Kinder in diesem Land geboren wurden – man hier auch weiterhin so tun kann und muss, wie es dort für alle Menschen üblich ist? Kommt es denn wirklich einer Todsünde gleich, wenn man auch ein bisschen mit unseren neuen westlich gesinnten Nachbarn kommuniziert und mit ihnen Freundschaften schließt? Glaub mir, Mutter, in vielen Aspekten beneide ich die christlichen Deutschen, weil sie viel ungezwungener leben dürfen als unsereins. Ich fühle mich eingeengt von unseren strengen Vorschriften. Wir werden doch schon wegen des leidigen Kopftuchs auf der Straße blöd angegafft und von so manchem als Schleiereulen bezeichnet. Als wir vor zwei Jahren in Marrakesch zu Besuch waren, habe ich auf den Straßen viele Frauen und Mädchen ohne Kopftuch und in westlichen Kleidern gesehen. Wie gern würde ich am Schwimm- und Sportunterricht teilnehmen! Wäre ich deswegen gleich eine schlechte Muslima?«
»Versündige dich nicht mit diesen abwegigen Gedanken gegen Allahs Gesetze und deines Vaters Willen, Kind! Es steht uns, liebe Besna, nicht zu, dies zu beurteilen. Das müssen wir schon unserem Imam in der Moschee und deinem Vater überlassen. Wenn diese bestimmen, dass es ist, wie es ist, und weiterhin so sein soll, haben wir nicht das Recht, uns dem zu widersetzen. Der Koran lehrt uns, wie wir uns zu verhalten haben, alles andere ist Sünde. Damit musst auch du dich abfinden. Und jetzt hilf mir bitte, das Abendessen vorzubereiten.«
»Was soll ich tun, Mutter?« Besna ist keineswegs überzeugt, gibt jedoch um des lieben Hausfriedens willen der steten Demut und Unterwürfigkeit ihrer Mutter klein bei.
»Du kannst diese marinierten Zitronenschalen für die Garnitur in gezackte Streifen schneiden.« Akila hebt den farbenfroh dekorierten Deckel des traditionellen marokkanischen Tajine-Kochgefäßes ab, um nach dem darin garenden Gericht zu sehen.
»Es ist bald fertig. Ich muss jetzt nur noch die gekochte Leber in Würfeln schneiden und damit die Sauce zubereiten. Wenn du mit den Zitronenschalen fertig bist, kannst du schon mal den Tisch decken. Leg auch sechs Fladenbrote zum Aufwärmen in den Backofen. Abu El-Karim und deine Brüder werden bald vom Abendgebet zurück sein. Hoffentlich ist Amina inzwischen auch wieder da!«
»Was gibt es denn heute Gutes zu essen?«, fragt Besna, die neugierig geworden ist.
»Vorweg eine Harira und anschließend diese Hühner-Tajine6.«
»Da wird sich Amina aber freuen, die mag sie besonders!«
*
»Jörg, sag mir, was ich tun soll. Ich kann nicht mehr, ich halte es zu Hause nicht länger aus! Ich liebe und achte meinen Vater und meine Mutter sehr, aber ich kann beim bestem Willen nicht an all das glauben, was sie und meine Brüder tagein, tagaus bei jeder Gelegenheit mit dem Namen und Willen Allahs predigen und mir ewig vorhalten! Ständig werfen sie mir ›Harâm, harâm!‹7 vor, egal was ich tue oder meine. Es reicht sogar, wenn ich nur anderer Meinung bin. Nur meine kleinere Schwester Besna hält zu mir und versteht mich. Aber wir beide kommen einfach nicht gegen die anderen an! Und dann auch noch gestern dieser Riesenkrach, weil mein Vater mir strengstens verboten hat, mich mit dir weiter zu treffen! Er hat fürchterlich geschimpft, ich sei eine Abtrünnige, weil ich mich mit einem Ungläubigen versündige. Allah, so sagte er, würde mich dafür bestrafen. Und das alles nur, weil du mir mit der blöden Mathe hilfst, die einfach nicht in meinen Kopf hineinwill! Was das wohl für eine Sünde gegen den Koran sein soll! Ich sei