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Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
Читать онлайн.Название Zwei Freunde
Год выпуска 0
isbn 9783957840127
Автор произведения Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство Автор
»Komm’ Sie«, sagte Arnold, »ich zeig’ Ihnen was Feines.«
Er führte Wichmann zu einer Box mit zwei Grauschimmeln. »Sehn Sie, das ist Vollblut.«
Die edlen Tiere waren unruhig. Der Hengst äugte zu den Herankommenden und stampfte.
»Das ist ein junger … Wie alt schätzen Sie? Keine drei Jahre hat er. Der hat den Teufel im Leib. Er steht jetzt zu viel im Stall. Ich geb’ ihn Ihnen gern – aber Sie fliegen – lassen Sie’s lieber sein. Die Stute schon eher. Aber wenn was passiert? Lassen wir’s lieber sein. Die zwei sind ein Stück Geld wert. Was glauben Sie? Ein paar zehntausend, aber sie sind’s mehr als wert. Der Grevenhagen hat eine feine Nase.«
Wichmann zuckte zusammen.
»Den müssen Sie einmal reiten sehn, da kann ein jeder noch lernen. Den und die gnädige Frau auch, so was sieht man nicht mehr alle Tage – Neujahr kommen sie wieder. Mir ist’s recht. Ich habe jetzt nur das Theater mit dem Teufel da … und wenn mir was passiert …!«
Der Hengst schnaubte. Er hatte einen wunderbaren Kopf, unter seinem Fell spielten die Muskeln. Jede Bewegung war ein Tanz. Die Stute war ihm gleich in Färbung und Bau, kaum merklich kleiner, im Blick lag ein sanfterer Schimmer. Wichmann hatte den Traum, diese Tiere über eine weite Ebene fliehen zu sehen. Ach, ihre Hufe traten nur das Stroh in der Box, und sie scharrten und suchten Zuckerrüben in Wichmanns Tasche statt das Gras der Steppe.
»Nehmen Sie sich in acht vor dem …«
Wichmann trat zurück. Sein hübscher Fuchs war ein Ackergaul im Vergleich zu dem Grauschimmelpaar.
»Neujahr kann ich nicht kommen.«
»Nicht? Da wird Ihr Fritz aber traurig sein. Das ist nicht zu glauben, wie gern der Sie hat. Der Herr von Schilling kommt erst am 8. Januar zurück – dann muß ich mich eben solange um den Fritz kümmern. Er wird ja traurig sein. Schaun Sie zu, ob Sie nicht doch kommen können!«
Als Wichmann am Neujahrsmargen den Stall mit Sonnenaufgang betrat, empfand er den Geruch von Hafer und Mist stärker als sonst. Die Stalluft fühlte sich warm an im Gegensatz zu der eisigen Frische draußen. Die Pferde schienen lebhaft. Der junge Reiter bekam seinen Fuchs, der mit Freuden heraustänzelte, und trabte durch den Park. Die Erde war hart, die Teiche hatten sich mit grauen Eisschichten überzogen, an den Ufern häufte sich der dick zusammengekehrte Schnee. Enten fischten eifrig in einem Eisloch, und durch die Zweige der hohen Bäume schlüpften die Meisen. Wichmann hörte die Aufschlägeder Hufe des eigenen Tieres, das in den Morgen hineinlief. Sein Körper hob und senkte sich im Auffangen der Trabstöße. Die Reiterhaltung war ihm schon gewohnt geworden. Sporen und Peitsche waren mehr das Zeichen seiner Herrschaft als Gegenstände des Gebrauchs. Im Rondell beobachtete er ein Tier an der Longe … Ja, bis zur Hohen Schule war noch ein weiter Weg, wie weit, das hatte er erst begriffen, als er zu lernen anfing.
Fußgänger ließen sich noch kaum sehen. Wichmanns Hände froren am Zügel. Er hatte das Gefühl, daß seine Nasenspitze sehr rot sein müsse. Alle Gedanken und Entschlüsse, mit denen er das neue Jahr hatte anfangen wollen, waren versunken und vergessen. Er wußte nichts, als daß Morgen war und daß er schnell durch den Wind ritt.
Im Nebel stieg der rote Sonnenball. Sein Licht glitt wie ein Feenkleid zwischen dunklen Stämmen durch. Die Enten humpelten tolpatschig über das Eis.
Oskar Wichmann hatte sein Tier in Schritt fallen lassen. Er schaute die lange, baumüberdachte Allee hinunter, die sein Lieblingsweg war. Hufspuren vom Vortage waren im Boden festgefroren. Der Reif hatte sich an den Fährtenrändern abgesetzt und leuchtete mit weißen Kränzchen, wenn die Sonnenhelle schräg durch die Zweige schimmerte. Der Blick folgte dem langen schwarzerdigen Weg zwischen den fleckstämmigen Riesenwächtern zurück bis zu seinem Anfang, der ganz im Licht lag. Wie eine Quelle des Morgens war jenes weiße Leuchten, aus dem der Reitweg kam, eine Öffnung, aus der Himmelsfülle über die Erde hereinfloß. Wichmann hatte seinen Fuchs zum Stehen gebracht und schaute mit der Empfindung, daß ein neues Jahr zu Unbekanntem beginne, die große Allee hinab, die in ihrer Einsamkeit nur ganz sie selbst war … Erde, Baum, Licht und Winter.
Er wunderte sich nicht, daß sie aus ihrem lichten Anfang das sich Bewegende gebar. Erde, zur Schwere verdammt, streckte sich liebend unter die Wesen, die sie in dahineilendem Spiele traten, Zweige schüttelten weiße Flocken, um den schnellen Boten des Morgens ihren Gruß zu geben, und die Sonne stieg und schmeichelte mit ihren nie greifbaren Händen den mutwilligen Geschöpfen.
Das laute Klopfen der Hufe kam in die Allee zwischen den stummen Tanz von Schatten und Licht herein. Schon umfaßte das Auge die Schönheit des schnellen Laufs, die Gestalt der edlen Tiere. Mit geblähten Nüstern, die Kräfte kaum hemmend, mit wehenden Schweifen trabten sie dahin. Gespitzte Ohren, das Gefunkel ihrer Lichter, der Dampf vor den Nüstern waren Jugend und Morgenfrühe. Das grauweiße Fell hatte die Farbe des beginnenden Wintertages, der noch immer zwischen Nebel und Helle kämpfte. Schwarz, schmal und stolz saßen die Reiter auf dem Rücken der Tiere. Fast schienen sie ohne eigene Schwere, eins mit den Körpern, die sie durch den. Wald trugen. Die Hände hielten die Zügel mit einer strengen Leichtigkeit. Der übereinstimmende Rhythmus der beiden Tiere, die Gestalt und Haltung von Reiter und Reiterin in ihrem Ebenmaß waren ein unwiderstehliches Bild der ästhetischen Vollkommenheit.
Wichmann hatte den Atem angehalten; er war nichts mehr als schauendes Auge und lauschendes Ohr.
Die Hufschläge klangen laut auf. Ein Tier begehrte Freiheit. Seine Reiterin bändigte es schnell. Die Hände der Herren hoben sich zum Gruß. Die Sporen glänzten.
Marion hatte den Kopf leicht geneigt.
Vorbei …
Wichmann ließ die Zügel locker und ritt auf der Spur der Verschwundenen, von Parkbäumen und Biegungen Verschluckten zurück, die Allee hinab in den stärker besonnten Morgen.
Er hatte sie gesehen, Reiter und Reiterin, den Mann und die Frau, ein Leib – den Herrn und die Dame – ein Stil.
Alles andere war Schatten und wesenlos.
Ihre weiche Gestalt war von der Linie des Reitkleides halb verborgen gewesen, aber sie war schön wie das Tier, und auf den Blütenblättern ihrer Wangen hatte Trauer gelegen. Ihre Augen waren an dem Grüßenden vorübergegangen wie die leise wehende Luft, die eine Stätte zu suchen scheint und keine finden kann.
Marion.
Als Oskar Wichmann seinen schweißtriefenden Fuchs zur Mittagszeit zurückbrachte, stand das Grauschimmelpaar in der Box, und Arnold fütterte es.
Alle Überlegung und aller Entschluß waren vergeblich gewesen. Wichmann floh nicht.
Als er eines Nachmittags im hereinsinkenden Nebel das Heim der Familie Casparius besuchte und einen dünnen Kaffee zu fettem Streuselkuchen trank, beneidete er den beleibten Kollegen mit glühendem Wunsch um seine kleine strickende Frau, um das altmodische Sofa, das so bequem war, und um die schreienden Drillinge. Von alledem war Wichmann ausgeschlossen. Er mußte hinübersehen, des Morgens, des Abends und manchmal des Nachts zu jenem Zaubergarten hinter dem Ahornbaum. Er mußte aus Träumen aufschrecken und Kollegen und Arbeit vernachlässigen. Was wußten die Philister davon? Seine Phantasie hatte ihm ein gefährlicheres Leben geschaffen, das sie nicht kannten und das er nicht mehr zu missen vermochte.
Alphonse …
Marion war traurig gewesen.
Als Oskar Wichmann an einem Morgen die gedruckte Einladungskarte zum »jour fix« erhielt, auf die er lange gewartet hatte, war seine Furcht vor sich selbst größer als seine freudige Erwartung. Aber die Lockung siegte.
5
Der frühere Dienstschluß am Donnerstag erlaubte Oskar Wichmann, sein Amtszimmer schon um sechzehn Uhr zu verlassen. Er lief im Korridor Fräulein Hüsch in die Arme, die im Pelzmantel, mit schiefgesetzter Kappe aus der Bücherei kam und eben den zweiten der gefütterten Handschuhe anzog. Das Blitzen des Brillanten verschwand unter der braunen Hülle.