ТОП просматриваемых книг сайта:
Im Schoß der Familie. Franziska Steinhauer
Читать онлайн.Название Im Schoß der Familie
Год выпуска 0
isbn 9783955520571
Автор произведения Franziska Steinhauer
Издательство Автор
In der Tür wandte Koch sich noch einmal um und fixierte den Beamten mit einem Blick, in dem ein bedrohliches Maß von Irrsinn flackerte. «Fragen Sie den Hausdiener!», kreischte er schrill. «Der darf immerhin jederzeit in jeden Raum. Und das Messer! Fragen Sie ihn nach dem Messer!» Dann rauschte er davon.
Konrad Benno Katzmann lag in seinem Bett, starrte die Decke an und fühlte sich unendlich alt.
Aus dem Nebenzimmer drangen leise Geräusche zu ihm herüber. Frieda, die der Kleinen ein Schlaflied vorsang, das von süßen Träumen erzählte und eine ruhige Nacht prophezeite. Bauchschmerzen, hatte seine Frau gesagt, das wäre in diesem Alter durchaus nicht ungewöhnlich. Helga würde sie einfach wegschlafen, und am nächsten Morgen sei alles vergessen.
Konrad schloss die Augen. Finanziell hatte sich die Krise bei ihm nicht allzu schmerzhaft ausgewirkt, überlegte er zufrieden. Auch Frieda wusste, dass es ihnen viel besser ging als den meisten ihrer Bekannten und Freundinnen. Er hatte bemerkt, dass sie nicht mehr ausging und die anderen auch nicht mehr in ihre Wohnung einlud. Offensichtlich war ihr der relative Wohlstand peinlich. Konrad gegenüber allerdings behauptete sie, ihr Rückzug läge an seiner chronisch schlechten Laune, er verbreite eine negative Stimmung und ihre Freundinnen fühlten sich in seiner Gegenwart gehemmt. Sicher, er war nun viel mehr zu Hause als früher. Recherchieren für spannende Artikel – das war Schnee von vorgestern. Nachdem die Leipziger Volkszeitung ihm als Chefreporter gekündigt hatte und er sich ein neues Aufgabenfeld hatte suchen müssen, blieb ihm nun mehr Zeit für seine kleine Familie.
Seine Finger tasteten nach Harrys weichem Fell. «Na, wir beide! Durch dick und dünn sind wir zusammen gegangen, ich verdanke dir sogar mein Leben. So etwas schweißt zusammen. Und dich stört es auch nicht, wenn ich zu Hause bin.»
Harry war in die Jahre gekommen. Unbestreitbar. Seine Schnauze war grau, er ging nicht mehr so gern spazieren wie früher und brauchte morgens eine Weile, bis er den Körper in Schwung gebracht hatte.
Konrad lächelte nachsichtig. In ein paar Jahren würde es ihm selbst auch so ergehen. «Weißt du was, Harry? Ich glaube, ich langweile mich. Gut, die LVZ musste uns entlassen, ist ja auch nicht so, dass ich nun gar keine Reportagen mehr schreibe und verkaufe, aber so aufregend wie früher ist unser Leben nicht mehr. Mir fehlt ein bisschen Abenteuer. Geht es dir nicht auch so?» Harry grunzte wohlig unter den kraulenden Händen. Konrad wertete das als Zustimmung. «Na siehst du! Dachte ich mir schon. Dieser Reisebildband war einen Versuch wert, verkauft sich ja auch ganz gut. Der Heinz freut sich auch schon auf den zweiten Band. Nach Leipzig nun eben Dresden.» Harry rollte sich träge auf den Rücken, damit Konrad sich dem Bauch widmen konnte. Der Streichler lachte warm. «Das hast du schon immer gemocht! Seit ich dich aus der Elbe gefischt habe.» Sanft fuhr er durch Harrys Locken. «Du, ich verrate dir was: Ich bin nicht zum Ehemann und Vater geboren! Aber das bleibt unter uns. Wenn Frieda davon erfährt, regt sie sich nur unnötig auf. Wer kann schon wissen, ob ich nicht doch anpassungsfähig werde im Laufe der Jahre?»
Als Frieda eine halbe Stunde später ins Wohnzimmer kam, war Konrad mit Harry ausgegangen. Sie seufzte, räumte das Glas und die zerknitterte Zeitung weg, legte die Wolldecke zu einem ordentlichen Rechteck zusammen und fühlte sich irgendwie ausgeschlossen – aus Konrads Denken, seinem Fühlen, seiner ganzen Welt.
Der Sohn der Familie machte einen ruhigen Eindruck. Keine Tränen, kein Schluchzen, stattdessen ein klarer, wenn auch besorgter Ausdruck in den Augen. Verständlich, dachte Ganter, immerhin wurde in diesem Haus ein Mord begangen, da gab es Grund genug, sich Sorgen zu machen. «Mireille Loliot war etwa in Ihrem Alter?»
Der junge Mann nickte schweigend.
«Sie lebte in diesem Haus wie Ihre leibliche Schwester. Sie verstanden sich gut?»
«Es ergaben sich nur selten Kontakte. Mireille lebte ihr eigenes Leben, und das recht intensiv. Für Brüder – egal, ob leiblich oder nicht – war darin nicht viel Platz. Wenn wir uns trafen, unterhielten wir uns, gelegentlich sind wir auch zusammen ausgeritten. Ich mochte ihre Fröhlichkeit.» Ferdinand von Weitershausen zuckte mit den Schultern. «Mein Vater sah es nicht gern, wenn wir uns trafen. Möglicherweise wollte er verhindern, dass wir uns zu nahe kamen.» Ein scheues Lächeln huschte um seine Lippen und verschwand.
«Wäre diese Verbindung nicht eher sinnvoll gewesen?», fragte Ganter.
«Mein Vater hatte andere Vorstellungen.»
Ganter beschloss, dieses Thema zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu vertiefen. Vielleicht konnte er später noch einmal darauf zurückkommen. «Ist Ihnen aufgefallen, dass Fräulein Loliot die Tafel verließ?», wechselte er das Thema.
«Ja. Sie ging kurz nach dem Dessert.»
«Und wer folgte ihr?» Ganter beugte sich weit über den Tisch, als habe er Angst, er könne sonst die Antwort verpassen.
«Das lässt sich nur schwer sagen. Zu diesem Zeitpunkt begann die Gesellschaft insgesamt sich aufzulösen. Einzelne Grüppchen bildeten sich, manche suchten die Waschräume auf, andere wollten sich nach dem üppigen Essen im Garten ein wenig die Beine vertreten. Zum Glück hatte der Wachmann aufgepasst und nahm gerade noch rechtzeitig den sehr angriffslustigen Hund an die Leine.» Ferdinand schüttelte verärgert den Kopf. «Auch so eine Idee meines Vaters, um gegen Bettler vorzugehen. Wie leicht hätte einer unserer Gäste zerfleischt werden können!»
«Haben Sie beobachtet, wer unmittelbar nach Fräulein Loliot die Tafel verließ?», hakte Ganter nach.
«Xaver Koch, Hubertus Berlinger, Frau von Andergast und ihr Gatte und vielleicht noch eine Handvoll Leute.» Ferdinand schluckte hart. «Hätte ich geahnt, dass einer von ihnen Mireille töten will, dann wäre ich aufmerksamer gewesen!», setzte er vehement hinzu.
«Sie ist Ihnen nicht gleichgültig gewesen.» Das war eine Feststellung, keine Frage. Ganter besaß eine gute Beobachtungsgabe, und ihm war das Flackern im Blick seines Gegenübers nicht entgangen.
«Natürlich nicht», flüsterte der Sohn des Hauses. «Sie haben sie doch gesehen! Eine schöne junge Frau. Und doch auf eine besondere Weise unberührbar. Ich glaube, in all den Monaten streifte meine Hand nur zweimal ihren Arm. Ich mochte ihre Art, mir gefiel es, nicht mehr allein ‹Kind› in diesem Haus zu sein. Und doch verband uns tatsächlich nicht mehr als das.»
«Wussten Sie von einer Beziehung zu Xaver Koch?», fragte Ganter.
«Nein. Geheimnisse blieben unsere Geheimnisse, wir tauschten sie nicht untereinander aus. Eine Verliebtheit fiel mir bei ihr nicht auf. Und gerade Xaver Koch wäre eine ungewöhnliche Wahl gewesen. Ihr Vater wäre sicher nicht mit dieser Verbindung einverstanden gewesen.»
«Die Mordwaffe ist eine ungewöhnliche Klinge. Haben Sie die zuvor im Haushalt Ihrer Familie gesehen?», schnitt Ganter abrupt ein neues Thema an.
Der junge Mann dachte darüber nach, kaute an der Unterlippe und meinte dann bedauernd: «Nein. Allerdings schwärmte Mireille für diese Art kunstvoll gestalteter Gegenstände. Sie meinte immer, große Kunst zu schaffen sei das eine, eine größere Herausforderung jedoch sei es, den alltäglichen Dingen eine besondere, unverwechselbare Seele zu schenken. Deshalb solle mein Vater das Stipendium diesmal an jemanden vergeben, ‹der Licht und Sonne in die Tage der Menschen trägt›. Sie sehen schon, Mireille hatte manchmal unorthodoxe Vorstellungen und eine blumige Art, sie zu formulieren.»
«Ich nehme an, Ihr Vater schloss sich dieser Meinung nicht an.»
«Natürlich nicht. Er möchte als Kunstkenner in die Geschichte Deutschlands eingehen, nicht als Förderer von Gebrauchskunst oder Kunsthandwerk. Da macht er deutliche Unterschiede.» Der sachliche Ton hatte etwas an Schärfe gewonnen. Ferdinand von Weitershausen erhob sich mit einer angedeuteten Verbeugung. «Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich mich gern wieder um die Gäste kümmern. Wie Sie sich vorstellen können, herrscht allgemeine Aufgeregung. Meine Mutter benötigt meine Hilfe.»
«Einen Moment noch! Welche Pläne hatte Jean Loliot denn mit seiner Tochter? Ist Ihnen darüber Näheres bekannt?»
«Nein. Aber eines kann ich