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Der Wunsch bleibt. Doch dann ... Die Geschichte eines Paares. Nora Winter
Читать онлайн.Название Der Wunsch bleibt. Doch dann ... Die Geschichte eines Paares
Год выпуска 0
isbn 9783954889792
Автор произведения Nora Winter
Жанр Личностный рост
Издательство Автор
Silvester 2004 hatte ich einen Nervenzusammenbruch.
Wir waren bei Freunden zu Besuch und bis gegen Mitternacht hatten wir einen schönen Abend zugebracht, mit Spaß, Speisen und Spielen. Dann ging es hinaus, das Neue Jahr begrüßen.
Weil ich jemand bin, der nicht wegsieht, hilfsbereit ist und selbst da Zivilcourage zeigt, wo andere ihre Schäflein ins Trockene bringen, geschieht mir auch besonders viel.
An jenem Abend schaute ich zu einem Nachbarn hinüber und sah auf der Straße zwischen den Ein- und Mehrfamilienhäusern, dass ein etwa zehnjähriger Junge die Raketen mit der bloßen Hand anzündete. Und so, höchst unbedacht, eine nach der anderen abfeuerte. Die bloße Vorstellung, was alles passieren könnte!
Die Sorge um das Kind trieb mich zum Nachbarn. Dem ich in meiner Angst höflich erklärte, dass hierfür doch als Schutz eine Flasche das Mindeste sei, am besten eine, die noch stabil in einem Kasten steht.
Aber: Er und die anderen drumherum, sie jagten mich regelrecht vom Hof! Die ganze betrunkene Gesellschaft, samt der Eltern des leichtsinnigen Jungen, meinte, was mich das anginge? Dass mich das überhaupt nichts anginge, und steigerte sich, wütend über meine angebliche Anmaßung, aufs Schärfste da hinein.
Der Junge stand daneben.
Er schaute mich mit großen Augen an und fragte, wie er denn sonst die Raketen starten lassen sollte? Er kenne es nicht anders als eben so. Ich versuchte, es ihm zu erklären, kam aber nicht weit, denn jene Gesellschaft wollte auf gar keinen Fall, dass ich mich ihm zuwendete, ihn womöglich beeinflusste.
Wieder blickte ich zu dem Jungen hinüber.
Seine weit aufgerissenen Augen schauten nur mich an und waren ein einziges Bitten, ein Flehen, ich werde es nie vergessen, – ich allerdings konnte nicht, durfte nicht, musste kehrt machen, die Widersacher stuften mich durchweg als hysterisch ein und die Situation drohte bereits zu eskalieren.
Kurz darauf geschah es: Ich brach zusammen.
In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so losgeweint, solche Fluten von Tränen vergossen, wie nach diesem Erlebnis. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr beruhigen, es hörte nicht auf, während wir die fünfzig Kilometer zurückfuhren, ich wollte nur noch heim und mein Mann fuhr und fuhr und ich heulte und heulte …
Wie bloß kann man einerseits ertragen, sein Wunschkind nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht zu bekommen und andererseits mit offenen Augen zusehen, wie Erwachsene völlig verantwortungslos mit solch einem Geschenk – dem eigenen Kind – umgehen?
Als müsse das untermauert werden, und wie in schon vorangegangenen Jahren konnte ich der ersten Lokalzeitung, die ich 2005 aufschlug, erneut einen schaurigen Tatsachenbericht entnehmen. Als mir der Artikel über einen darin erwähnten, 14jährigen Jungen auffiel, dem auf grauenvolle Art und Weise die Hand weggerissen worden war. Wegen des gleichen Verfahrens, gegen das ich noch vor ein paar Stunden bei dem anderen Kind anging und es abzuwehren versuchte. Er hatte den Feuerwerkskörper nicht rechtzeitig weit genug von sich wegwerfen können.
Der „richtige“ Ausdruck
Als ich wiederholt der Presse entnommen hatte, wie sehr der Staat nach Kindern schreit, konnte ich nicht mehr an mich halten, wollte Klartext reden und schrieb einen Leserbrief an unsere Lokalzeitung. Mit dem Ergebnis, dass dieser zwar nicht veröffentlicht wurde, man stattdessen aber bei mir anfragte, ob ich bereit wäre, mich für einen umfangreicheren Artikel gesondert interviewen zu lassen. Unter der Bedingung, anonym zu bleiben, willigte ich ein. Die Redakteurin kam mich zu Hause besuchen, nahm sich viel Zeit und wir hatten ein angenehmes Gespräch.
Die Zeitung „Neue Westfälische“ schrieb am 11.03.2005:
Wenn Petra Emm (Name von der Redaktion geändert) in der Zeitung von den Klagen der Politiker liest, dass die Deutschen zu wenig Kinder bekommen, möchte sie am liebsten den Artikel zerreißen. „Wer denkt eigentlich an die, die ungewollt kinderlos sind?“, fragt sie.
Die 38-jährige Bielefelderin und ihr Mann wünschen sich ein Kind. „Die Jugend hat meinem Mann einen Streich gespielt“, erzählt sie. Aufgrund einer Hodenentzündung in jungen Jahren reicht seine Samenqualität nicht dafür aus, dass Petra Emm auf natürlichem Wege schwanger wird. Daher hat sich das Paar zu einer ICSI – einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion – entschlossen. Dabei wird das Spermium im Labor direkt in die Eizelle injiziert. Nach einer Hormonbehandlung werden der Frau mehrere Eizellen entnommen, zwei oder drei davon nach der künstlichen Befruchtung wieder eingepflanzt.
In diesem Monat will Petra Emm diese Strapaze zum ersten Mal auf sich nehmen. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft liegt bei 27 Prozent.
„Die Nerven, Tränen und Traurigkeit kann wohl niemand ermessen“, sagt sie. Ganz zu schweigen von den Kosten: Die Krankenkasse übernimmt knapp Hälfte der Behandlung. „Das sind 2.500 bis 3.000 Euro von einer Gesamtsumme von etwa 6.800 Euro bei maximal drei Versuchen“, so Petra Emm. Hinzu kommen etwa 400 Euro für das Einfrieren der Samen und weitere 400 Euro für die mögliche Aufbewahrung von bereits befruchteten Eizellen. Alles eine große finanzielle Belastung. „Wir werden in diesem Jahr nicht in Urlaub fahren“, sagt die 38-Jährige. Bis zum 1. Januar 2004 hatten die Krankenkassen noch vier Versuche von Reagenzglas-Befruchtungen komplett übernommen.
Seit Einführung der Gesundheitsreform müssen Paare die Hälfte der Kosten selbst tragen. Wie das Apothekenmagazin „Baby und die ersten Lebensjahre“ berichtet, hat es seitdem einen dramatischen Rückgang künstlicher Befruchtungen gegeben. Laut Michael Thaele, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren, hat sich die Zahl auf 15.000 halbiert. 270.000 Paare sind in Deutschland in Behandlung. Für dieses Jahr rechnet Thaele mit einem Rückgang der Geburten um etwa 10.000. „Bundesweit sind etwa 270.000 Paare wegen Kinderlosigkeit in Behandlung“, sagt Pfarrer Klaus Lange. Er leitet an der Bielefelder Klinik Rosenhöhe die Selbsthilfegruppe „Ungewollt kinderlos“. Derzeit hat die Gruppe fünf Mitglieder, die sich ein Mal im Monat treffen. „Die Zahl der betroffenen Paare, die ungewollt kinderlos sind, steigt“, so Lange. Das Dramatische sei, dass es für die Paare nur noch dieses eine Ziel gebe. Lange weiß, wovon er spricht. Er und seine Frau versuchten ebenfalls lange vergeblich, schwanger zu werden. In der Gruppe wird beispielsweise auch über die Möglichkeit einer Adoption oder über die Annahme eines Pflegekindes gesprochen. So manches Paar spielt laut Lange nach der Gesundheitsreform mit dem Gedanken, eine künstliche Befruchtung im Ausland vornehmen zu lassen – dort ist es günstiger.“
Gegen Ende desselben Jahres las ich, dass diese Journalistin Mutter eines gesunden Jungen geworden war. Und wieder hat eine Frau ein Kind bekommen können, wie sie und ihr Partner es geplant hatten, ging mir automatisch durch den Kopf. Man kann sein Denken nicht ausschalten. Viele gemischte Gefühle kamen plötzlich in mir auf. Aber natürlich habe ich mich auch für sie gefreut.
Wo aber standen wir?
Wo wir schon einige medizinische Behandlungen durchlaufen hatten, womit immer große Freuden und Aufregungen verbunden waren.
Es war noch vor 2012. Seitdem muss in der BRD jedes Paar ein Viertel der Behandlungskosten selbst tragen.
Das „richtige“ Verhalten
Im Herbst 2006 hatte ich dienstlich in Düsseldorf zu tun. Ich wusste, dass meine Regel bevorstand. Nahm noch zu Hause eine Schmerztablette ein, denn ohne ging es schon seit Jahren nicht mehr. Im Zug verstärkten sich die Kopfschmerzen derartig, dass ich zu einer weiteren greifen musste. Aber es half alles nichts.
So war in Düsseldorf als erstes die Apotheke meine Anlaufstelle. Nachdem ich mein Leid und das Eingenommene erklärt hatte, erhielt ich frei verkäufliche Tabletten und von der freundlichen Dame hinter dem Tresen den gut gemeinten Rat: „Wenn ich Sie wäre, würde ich mir überlegen, ob ich nicht besser die Pille einnähme. Damit hätten Sie dieses Dilemma nicht!“
Ich lächelte zurück.