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hölzernen Verschlag – und der Säugling, der in einer Futterkrippe lag, war nicht von dieser Welt. Ohne jeden Zweifel. Obwohl er genau so aussah wie alle Babys. Dieses Kind war ein Geschenk des Himmels.

      Wir fielen alle drei auf die Knie. Kaspar mit einem leichten Stöhnen, weil er ja schon länger Schmerzen in der Hüfte hat. Dann beteten wir das Kind an. Den wahren König der Juden. Und mit jedem Wort, das wir sprachen, löste sich etwas in uns – eine Sorge, ein Zweifel, ein Schrecken – bis wir einander am Ende gänzlich befreit in die Arme fielen. Alle mit Tränen in den Augen. Noch nie habe ich mich so reich gefühlt wie in diesem ärmlichen Stall. Darum erkannte ich auch, dass ich unser Gold, meine geliebte Tiamat, leichten Herzens weggeben konnte. Ich hatte etwas viel Besseres bekommen: Vertrauen.

      So überreichten wir den Eltern, einfachen Handwerkern aus einem Dorf namens Nazareth, unsere Geschenke und baten sie, damit dem Kind zu helfen, sein Reich in dieser Welt zu errichten. Leider sprachen die beiden nicht unsere Sprache – und anders als im Jerusalemer Palast war in dem Ort Bethlehem kein Übersetzer aufzutreiben.

      Darum wusste ich anfangs auch nicht, was der Vater von mir wollte, als er mich zur Seite zog. Mit Händen und Füßen redete er auf mich ein. Und nach und nach begriff ich: Sein Name war Joseph, und er wollte sich bei uns für das Gold, den Weihrauch und die Myrrhe bedanken, die wir mitgebracht hatten.

      Ja, mehr noch, er war untröstlich, dass er uns als seine Gäste nicht, wie es im Orient Sitte ist, freundlich bewirten konnte. Nicht einmal einen Schluck Wasser hatte er zu bieten. Geschweige denn etwas zu essen. Und das schien ihn ernsthaft zu beschämen.

      Ich versuchte deshalb vergeblich, ihn davon zu überzeugen, dass wir keineswegs geringschätzig von ihm dachten. Aber erkläre das mal einem Mann, der dich überhaupt nicht versteht. Tatsache ist: Er blieb untröstlich.

      Plötzlich aber glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Er beugte sich nach unten, hob etwas vom Boden auf und drückte es mir in die Hand. Ein Geschenk. Eine symbolische Geste der Gastfreundschaft. Als Ausgleich für die fehlenden Speisen.

      Es war … die Feder, die ich Dir mitgebracht habe. Eine Feder aus dem Stall, in dem der Friedensbote Gottes zur Welt gekommen ist.

      Mit breitem Grinsen und eifrigem Nicken raunte dieser Joseph immer nur ein Wort: „Malach … malach … malach.“

      Ich zuckte mit den Achseln. Was wollte er bloß von mir? Was war das für ein Ausdruck?

      Da seufzte er auf und murmelte verlegen einen lateinischen Begriff, denn ich tatsächlich kannte: „Angelus … angelus.“

      Und da verstand ich: Diese Feder … meine Geliebte … diese Feder ist aus dem Flügel eines Engels.

      Wenn ich die Gesten dieses Mannes richtig verstanden habe, dann waren bei der Geburt des Kindes mehrere Engel im Stall zugegen. Singende Engel. Frohlockende Engel. Und einer von ihnen hat diese Feder verloren.

      Achte sie also bitte nicht gering. Sie gehört vermutlich zum Edelsten, das ein Mann seiner Ehefrau von einer Reise mitbringen kann. Eine echte Feder aus dem Gefieder eines Engels!

      Übrigens ist mir in dieser heiligen Nacht der Gott Israels noch persönlich erschienen. Darum habe ich auch überhaupt keinen Zweifel daran, dass das alles wahrhaft so geschehen ist. Ja, im Traum hat mir seine Stimme gesagt, dass Kaspar, Balthasar und ich auf keinen Fall erneut zu Herodes reiten dürfen, um ihm von dem Kind zu erzählen.

      Daran haben wir uns gehalten.

      Und sind, so schnell es uns möglich war, zurück in unsere Heimat gezogen.

      In mir ist jetzt alles ganz leicht. Federleicht. So leicht wie diese Engelsfeder. Wenn auch Du mir vergeben kannst, dann wird alles gut. Heute Abend, kurz vor Sonnenuntergang, werde ich an unsere Tür klopfen. Sachte. Und hoffen, dass Du sie für mich öffnest. Dein Melchior

      FABIAN VOGT

      Das Christkind im Porsche

      „Ich hoffe, der Betrag auf dem Scheck entspricht Ihren Vorstellungen, Roger. Sie haben in diesem Krisenjahr wirklich Erstaunliches geleistet. Meine Hochachtung!“ Dr. Müller-Schäring drückt ihm fest die Hand. „Sie sind auf dem Weg zum Kronprinzen unseres Unternehmens. Denken Sie noch mal darüber nach, ob Sie nächstes Jahr nicht doch mein Angebot in Anspruch nehmen und für unsere Zentrale in New York arbeiten wollen. Die Staaten machen sich immer gut im Lebenslauf.“

      „Ich werde die Zeit zwischen den Jahren nutzen, um über Ihr Angebot in Ruhe nachzudenken. Herzlichen Dank für den Scheck und vor allem für das Vertrauen, das Sie in meine Arbeit gesetzt haben, Herr Direktor.“

      „Feiern Sie Weihnachten bei Ihrer Familie, Roger?“

      „Vielleicht den zweiten Weihnachtstag. Ich mache mir nichts aus dem Fest. Es hat für mich keine Bedeutung. Meine Freundin kommt heute aus Los Angeles, und wir machen es uns gemütlich.“

      „Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und ein erfolgreiches neues Jahr.“

      „Danke gleichfalls!“

      Roger greift nach seiner Aktentasche und seinem Mantel. Vom Weihnachtsmarkt tönt das Lied „Alle Jahre wieder“ zu ihm herüber.

      Alle Jahre wieder? Für mich ist immer nur ein Jahr entscheidend: nämlich das Geschäftsjahr. Alles andere interessiert mich nicht. Hauptsache, mein Bonus stimmt. Christkind, Krippe, Gott und Jesus. Wenn ein Kind in einem Stall zur Welt kommt, dann kann das doch nur ein Loser werden, geht es Roger durch den Kopf.

      Am Eingang der Tiefgarage sitzt ein Obdachloser. „Haste ’nen Euro für mich? Ist doch Weihnachten!“

      „Bin ich das Sozialamt? Verschwinde, das ist ein privates Parkhaus, oder ich lasse den Ordnungsdienst anrücken!“

      Roger sucht in seiner Manteltasche nach seiner Keycard, um das schwere Metallrollo zu öffnen. In Reihe sechs steht sein schwarzer Porsche, brandneu und absolut heiß. Ledersitze, Alarmsicherheitssystem, Doppelkupplung. Er öffnet die Beifahrertür, um seine Aktentasche auf den Sitz zu legen, als er die Bescherung sieht. Auf dem hellen Ledersitz liegt ein Säugling. In eine große Stoffwindel gewickelt, schaut das Kind den fremden Mann erstaunt an. „O Gott! Was ist das denn?“ Roger ist wie vom Blitz getroffen. Wie kommt ein Kind in sein verschlossenes Auto?

      Er sieht sich um. Hastig läuft er die Garage ab, ob irgendjemand zu entdecken ist. „Hallo! Ist da wer? Ich hab’s! Der Penner hat mir das Balg ins Auto gelegt.“ Roger läuft zum Ausgang der Tiefgarage, aber der Obdachlose ist verschwunden.

      „Brauchen Sie Hilfe, Herr Kreienbaum?“ Charly, der Mann vom Sicherheitsdienst, hat ihn auf seinem Kontrollbildschirm entdeckt.

      „Charly, hören Sie. War heute Morgen zwischen 8.00 und 13.00 Uhr außer unserem Personal irgendjemand in der Tiefgarage?“

      „Nein. Mir ist nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Ist etwas mit ihrem Auto? Ist etwas daraus gestohlen worden?“

      „Nein, schauen Sie, ich habe etwas dazubekommen.“

      Als Roger die Wagentür öffnen will, hört er, dass der Säugling weint.

      „Das da habe ich gefunden.“

      Charly, selbst Vater von drei Kindern, sieht erstaunt auf das kleine, weinende Bündel. „Ich wusste gar nicht, dass Sie ein Kind haben, Herr Kreienbaum“, lächelt er.

      „Das ist nicht mein Kind. Irgendwer hat es in meinen Wagen gelegt.“

      „Nehmen Sie es doch mal heraus, und dann gucken wir, ob es eine Nachricht mit sich trägt und ob es ein Mädchen oder ein Junge ist“, schlägt Charly vor.

      „Wie fasst man so ein Teil denn an?“

      „Ich zeig es Ihnen!“ Charly nimmt den Säugling

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