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der dadurch ein bisschen glücklicher wird?“

      „Ich!“, sagte ich dann beleidigt, aber das war zu einer Zeit, als wir schon anfingen, unsere Argumente zu wiederholen. Ich wusste, was ihr an mir missfiel, sie wusste, was mir an ihr missfiel, und keiner von uns dachte daran, etwas Grundlegendes zu ändern.

      Nein, das stimmt nicht. Wir litten beide unter den andauernden Streitereien, die sich immer an Kleinigkeiten aufhingen und dann mit Tränen endeten, aber trotzdem machte keiner den ersten Schritt zu einer Verbesserung der Situation. Denn es gab immer wieder wundervolle Momente, in denen wir das Gleiche dachten und fühlten. Aber sie wurden seltener. Wäre es nach mir gegangen, hätte sich wahrscheinlich nie etwas geändert, doch dann fand Anna, es sei einfach Zeit, die Beziehung zu beenden, bevor ich sie mit in mein „selbstgeschaufeltes Akademikergrab“ zöge. Wäre unsere Trennung zu dieser Zeit nicht erst drei Monate her gewesen, drei Monate voller Selbstmitleid und Zerknirschung, dann hätte ich sicherlich anders reagiert.

      „Was machst du denn hier?“, fuhr ich sie unfreundlicher an, als ich wollte. Anna wühlte noch einen Augenblick im Handschuhfach und schlug dann die Tür fester zu, als nötig gewesen wäre.

      „Karsten gehört zu meinen Freunden, falls du das vergessen hast“, blaffte sie zurück. Damit hatte sie zweifelsohne Recht. „Außerdem kann ich den Jahrtausendwechsel feiern, mit wem ich will. Schließlich habe ich die letzten vier Jahre auch in diesem Kreis gefeiert.“

      „Schon gut, entschuldige. War nicht so gemeint. Ich … äh … wusstest du, dass ich auch eingeladen bin?“

      Sie hatte sich wieder gefangen und sah mich herausfordernd an: „Ja, ich dachte, wir wollten Freunde bleiben, da werden wir doch ohne Streit auf diese Party gehen können. Letztes Jahr ging es ja auch.“

      Sehr lustig, dachte ich, da waren wir ja auch noch zusammen!

      Mir fiel nichts mehr ein, obwohl ich seit unserer Trennung in meiner Fantasie sicherlich hundert Gespräche mit ihr geführt hatte, in denen ich ihr endlich all das sagen konnte, wofür mir in ihrer Gegenwart die Worte fehlten. Sie blickte ein bisschen mitleidig auf meinen alten Anzug, rückte den Träger ihres Kleides zurecht und ging vor mir ins Haus.

      Ich war sehr melancholisch an diesem Abend. Vor allem, weil mein Blick immer Anna suchte. Für mich schien sie unübersehbar. Anna lachend mit einem Glas Sekt in der Hand. Anna mit einer Rose im Haar, die ihr ein angetrunkener Kollege dorthin gesteckt hatte. Dabei wusste ich genau, dass sie sich nichts aus Blumen machte. Sie war eines Tages damit herausgerückt, nachdem ich sie wochenlang mit Rosen überschüttet hatte, die immer wortlos in eine Ecke gestellt wurden. Anna mit attraktiven Männern, in ein angeregtes Gespräch vertieft. Anna mit diesem glücklichen Lachen, das wie eine sanfte Welle über ihr Gesicht floss und alle Ängste und Trübungen mit sich nahm, dieses Lachen, von dem ich immer geglaubt hatte, es sei nur für mich bestimmt. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie und ihr jeweiliges Gegenüber die Einzigen waren, die diesen Abend genossen.

      Karsten zog mich nach dem Essen in die Küche, hielt mir einen Teller mit Käse hin und setzte eine aufmunternde Miene auf: „Sie macht das, weil sie traurig ist.“

      „Na, so sieht sie aber nicht aus! Sie scheint sich prächtig zu amüsieren.“

      Er musterte mich, als müsse er überlegen, was er jetzt am besten sagen könnte. Schließlich meinte er optimistisch: „Ich bin sicher, dass sie ihren Entschluss bereut.“

      „Da habe ich aber was ganz anderes gehört!“

      „Du meinst die Geschichte mit Frank? Das ist doch schon längst wieder vorbei. Sie war traurig, und er hat sie getröstet. Was glaubst du, wie viele Beziehungen auf diesem Wege entstehen? Aber so blöd ist Anna nicht. Die hat schnell genug gemerkt, dass man nicht so einfach eine neue Beziehung anfangen kann. Weißt du übrigens, was das Verrückte an neuen Beziehungen ist?“

      Ich wollte in diesem Augenblick weder weise Ratschläge noch Unterhaltung, fand es aber unhöflich, nicht zu antworten. Also sagte ich mürrisch: „Nein!“

      Karsten lachte: „50 Prozent davon sind auf jeden Fall alt, denn du bist wieder dabei! Klever, gell? Habe ich neulich irgendwo gehört. Aber mal ganz im Ernst. Wenn du Anna noch liebst, dann solltest du dir ein bisschen mehr Mühe geben!“

      „Und was heißt das konkret, Dr. Sommer?“

      Er senkte verschwörerisch die Stimme, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken: „Was meinst du, warum sie dein Lieblingskleid anhat? Geh ran, sie wartet doch nur darauf.“

      „Na, ich weiß nicht!“

      Ich war an diesem Abend nicht zum Flirten aufgelegt. Alles wirkte trübe und undurchsichtig. Die Party, die Menschen, die Gespräche und das Gelächter, das wieselflink durch den Raum stob, um sich dann hinter einem der Bücherregale zu verstecken. Ich trieb in diesem zerfaserten Dasein wie eine Qualle, die vergeblich gegen die Meeresströmungen ankämpft. Irgendwie zerrann die Zeit in meinen Händen. An der Ursache gab es keinen Zweifel: Es war der Silvesterabend 1999.

      Natürlich wusste ich, dass der Jahrtausendwechsel ein willkürliches Datum ist, bei dem sich die Historiker wahrscheinlich so oft verrechnet haben, dass wir eigentlich 2000 Jahre nach der Einschulung Jesu feiern. (Van Dyck hob die Augenbrauen.) Und trotzdem bekam ich plötzlich Angst, dass Anna Recht haben könnte.

      Wozu brauchte die Welt eine Arbeit über den Humor Lukians? Und hatte nicht auch meine Mutter Recht, die bei allen Familientreffen spitz fragte, wann denn ihr 35jähriger Sohn gedenke, gediegen und anständig zu werden. Für sie hieß das vor allem eines: Enkelkinder zeugen. Plötzlich schien alles, wofür ich bisher gearbeitet hatte, so unwichtig zu sein. Als würde eine ausgehungerte Zecke mit einem Mal ahnen, dass die Welt doch aus mehr als aus Wärme und Buttersäure besteht. Ich fühlte mich verloren.

      Karsten versuchte mehrfach, mich zu Anna zu schicken, aber ich saß den ganzen Abend lang stumm in einer Ecke und tat so, als würde mich seine CD-Sammlung („Verewigte Musik“) ungemein interessieren.

      Um fünf vor zwölf knallten im ganzen Haus die Korken der Sektflaschen („Champagner“), und wir liefen mit unseren Gläsern in den kleinen Garten, um zu sehen, wie sich die Nacht über uns in ein Lichtermeer verwandelte. Frankfurt im Glanz der Verschwendung. Die Stadt hieß das neue Jahrtausend willkommen. Mir war schlecht. Eine Minute vor zwölf nahmen wir uns an den Händen, nein, man nahm sich an den Händen, denn auf einmal stand Anna neben mir, und wir zählten miteinander die Sekunden von 60 bis 0.

      Es war ein langer Abschied. Ich sehnte mich ganz weit weg, hätte aber niemals sagen können, wohin. 35 Jahre zerrten wie eine einzige Frage an mir, und ich war nicht in der Lage, sie zu beantworten. Ich erinnere mich noch, dass mir in diesem Moment der Gedanke durch den Kopf schoss, ob ich wohl jemals trauriger gewesen war.

      Vor allem, als mir auffiel, dass Anna und ich diesmal um null Uhr zusammen sein würden. Trotz unserer gescheiterten Beziehung. Im vergangenen Jahr, als wir noch ein Paar gewesen waren, hatten wir uns nämlich beide so intensiv mit verschiedenen Bekannten unterhalten, dass wir den eigentlichen Jahreswechsel getrennt verbrachten. Sie hatte im Garten gestanden, ich vor dem Haus, und jeder hatte dickköpfig darauf gewartet, dass der andere sich auf den Weg machte. Vor Wut war ich daraufhin erst einmal für zehn Minuten auf der Toilette verschwunden, um meiner Freundin aus dem Weg zu gehen. Und sie hatte später so getan, als sei nichts gewesen.

      Aber das ist eben Anna, so war Anna, nein, so wird Anna sein: Sie ignoriert alles, was ihr nicht passt. Und irgendwann, schon drei Monate lang, genauer gesagt, gehörte eben auch ich zu den Dingen, die sie übersah.

      Die Stimmen wurden lauter, denn jetzt blieben nur noch zehn Sekunden bis zum neuen Jahrtausend. Zehn, neun, acht … Es war, als würde mein Leben ausgezählt, der geschlagene Kämpfer liegt am Boden, ohne zu wissen, gegen wen er verloren hat, und der Schiedsrichter lässt die Zahlen über diese Niederlage triumphieren. Sieben, sechs, fünf … Die anderen Gäste strahlten sich an und mir wurde schwarz vor Augen. Vier, drei … Ich musste mich an Anna festhalten, deren vor Freude geöffneter Mund bei einem kurzen klaren Blick so aussah, als wollte er mich verschlingen. Ich war wie in einem Vollrausch, dabei

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