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auf individuelles Glück ausgerichtet ist, die egoistischen Ziele siegen. So neigen viele dazu, Werte, Freundschaften, Lebensgrundsätze spätestens in dem Moment hintanzustellen, wo sie Karriere »riechen«.

       Das Auffällige an mutigen Menschen ist, dass sie nichts Auffälliges an sich haben.

      Einige wenige Menschen haben in der Weltgeschichte viel erreicht, weil sie mutig waren. Francesco Guicciardini resümierte in seinen Erinnerungen an seine politischen Erfahrungen in der Republik Florenz, »dass fast immer die Wenigen Neues in Gang bringen und die Ziele dieser Wenigen fast immer den Begierden und Wünschen der Mengen entgegen sind«2.

      Opportunismus und Machtgehabe sind die Gesichter der Feigheit. Feigheit ist das Gegenteil von Mut. Die tägliche Begegnung mit diesem Phänomen veranlasst mich, dieses Buch zu schreiben.

      Nach der intensiven Beschäftigung mit den Biografien mutiger Menschen bemerkte ich keine besondere Auffälligkeit. Das Auffällige an diesen Menschen ist, dass sie nichts Auffälliges an sich haben.

      Einige der Mutigen waren Menschen mit viel Selbstwertgefühl, in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen, mit einem gesunden Einfühlungsvermögen. Andere waren durch starke Kindheitsdefizite und Mobbing gezeichnet. Unter ihnen gab es narzisstisch veranlagte Menschen, impulsive, jähzornige, emotional verletzte Choleriker und solche, die durch mutige Taten andere Defizite kompensieren wollten. Auch Ängstlichkeit und Selbstzweifel waren Merkmale von vielen, die Mut bewiesen.

      Diese Beobachtung der Uneinheitlichkeit verwirrte mich zunächst, war ich doch auf der Suche nach Anhaltspunkten, die ich anderen zum Erlernen von Zivilcourage mit auf den Weg geben kann. Andererseits beruhigte mich diese Beobachtung. Wären sie anders, könnten sie mit ihren moralischen Maßstäben wieder andere unterdrücken, wieder Urheber von Diktaturen sein, gegen die sich dann andere wieder auflehnen müssen.

      Gerade diese unvollkommenen Repräsentanten halfen mir auf meiner Suche nach Erkenntnissen weiter, weil sie mich von der Messlatte unerreichbarer Vorbilder befreit haben.

      So ist gerade die Angst die wichtigste Voraussetzung für Mut. Ich habe keinen einzigen mutigen, zivilcouragierten Menschen getroffen, der Angst nicht kennt. Im Gegenteil: Je mutiger ein Mensch war, desto ängstlicher war er. Ohne Angst zu kennen, können wir gar nicht mutig sein. Mut bedeutet, trotz der Angst das Richtige zu tun.

       Wir kommen nicht an einer persönlichen Auseinandersetzung mit uns selbst vorbei.

      Wenn wir davon ausgehen, dass nachhaltige Veränderungen immer von innen nach außen gehen und nicht umgekehrt, dann können wir der Frage nach unserer persönlichen Authentizität, die Grundstein für jede Art von Mut und Zivilcourage ist, nicht ausweichen. Dabei kommen wir nicht an einer persönlichen Auseinandersetzung mit uns selbst vorbei. Wenn wir mutig werden wollen, müssen wir uns also mit dem Thema unserer Authentizität befassen. Sobald uns der unverzichtbare Wert unserer Authentizität bewusst wird, werden wir nur noch von einem Ziel erfüllt sein: authentisch zu leben, auch unter Druck!

      Mut und Zivilcourage zu beweisen ist wirklich nicht mehr als der Entschluss, auch unter Druck authentisch zu bleiben.

      Ich möchte auch transparent machen, warum gelebte Zivilcourage und Integrität die bedeutenden Wurzeln für langfristiges und nachhaltiges seelisches Wohlergehen sind.

      Ich habe in den letzten Jahren systematisch Hunderte von Führungskräften gefragt, was sie anders machen würden, wenn sie noch mal von vorne anfangen könnten. Die meistgehörte Antwort war Bedauern, in entscheidenden Situationen ihres Lebens nicht mehr Mut gewagt zu haben.3

      Zivilcourage ist uns nicht angeboren. Wir tragen sie als Geschenk in uns, das wir erkennen und annehmen können.

       Zivilcourage ist uns nicht angeboren. Wir tragen sie als Geschenk in uns, das wir erkennen und annehmen können.

      Mut ist nicht einfach inszenierbar. In den Medien, in öffentlichen Aufrufen, in den Kommentaren, Berichten und Leitartikeln, in Predigten etc. wird couragiertes soziales Verhalten regelmäßig eingefordert. Es bleibt jedoch vielfach bei den moralischen Appellen, ohne konkrete Handlungsanleitung. Es geht um die Bestimmung des guten gegen das böse Handeln, und da fragt man sich: »Was ist gutes Handeln und was ist böses Handeln?« Gerade weil wir die Moral nicht gepachtet haben, gerade weil wir die Ethik nicht besitzen, sondern lebendig Ethik neu gesucht und ertastet werden muss (vgl. Albert Schweitzer), können wir uns nur gemeinsam auf die Suche nach Grundlagen für Zivilcourage begeben.

      Johannes Czwalina

      Februar 2008

      Beginnen wir mit der trockenen Begriffsklärung. Für Zivilcourage und Mut gibt es unzählig viele Definitionen. Jede einzelne stellt einen wichtigen Mosaikstein für ein umfassendes Verständnis unseres Themas dar.

      Zivilcourage setzt sich aus den beiden Wörtern zivil und courage zusammen. Zivil stammt vom lateinischen Wort civilis ab, was so viel bedeutet wie bürgerlich, nicht militärisch. Zivilcourage kann als der Mut des Bürgers übersetzt werden und bezog sich vermutlich ursprünglich auf eine bestimmte Art des Auftretens gegenüber nichtzivilen Autoritäten wie Militär und Polizei.4 Das Wort Zivilcourage gibt es im Englischen übrigens nicht. Im Englischen ist Courage gleich Courage, egal, ob man Uniform trägt oder nicht. Englischer Mut ist »courage«. Das englische mood heißt neben Sinn, Gesinnung auch Laune, Stimmung, nicht aber Mut.

      Im Griechischen steht für Mut und Tapferkeit der Begriff andreia.

      Im Deutschen wird das Wort »Mut« verwendet im Sinn von Wagemut, Unerschrockenheit, Unternehmungsgeist, Kühnheit.

      Das französische Wort courage bedeutet aber nicht nur Mut. Es ist inhaltsschwerer. Der Ursprung des Wortes courage – vom französischen coeur = Herz – deutet in die Richtung, wo der Mut seine Heimat hat: nicht im Kopf, sondern im Herzen. Von dorther kommen dann auch Kraft und Halt für richtige Lebensführung, wie sie nur von »innen« kommen kann und wofür selbst das kunstvollst geschnürte Korsett von äußerlich aufgesetztem Verhaltenstraining kein Ersatz sein kann.

      In zusammengesetzten Wörtern bekommt der Einsilbler zahlreiche Bedeutungen, die mehr zu dem französischen als zu dem lateinischen Ursprung des Wortes eine Brücke schlagen: Im Lateinischen finden wir für Mut das Wort animus. Animus kann Mut heißen, bedeutet aber ähnlich wie im französischen Ursprung auch Sinn, Geist, Gesinnung, analog zu anima sogar Seele. Wer von einem anmutigen jungen Mädchen spricht, denkt nicht an Waffengeklirr, sondern an ein Wesen, das ihn »anmutet«, das mit seiner Seele an seine eigene rührt. Wir bekommen bereits bei der Begriffserklärung des Wortes Mut ein Gespür dafür, dass wir es mit einem »gefüllten« Begriff zu tun haben, so als ob in ihm die Seele einer ganzen Menschheitsgeschichte verborgen liegt, und wenn wir uns gemeinsam die Zeit nehmen, dieses Wort Mut lange genug auf uns einwirken zu lassen, könnte es uns wie in einem Märchen gehen, in dem die Bilder und Figuren plötzlich anfangen, sich zu bewegen und zu sprechen. Dann profitieren wir gemeinsam von dem Erfahrungswert einer Menschheit, die mehr Herausforderungen in Kriegen und Leid und Entbehrung erfahren musste als in den wenigen Zeiten des Friedens und der die Herausforderung zum Mut in all seinen Schattierungen keinen Moment ihrer Geschichte erspart blieb.

      Lassen Sie uns noch einen Augenblick bei dieser breit gefächerten Wahrnehmung des Wortes Mut bleiben, welche sich uns besonders in seinem lateinischen Ursprung und in seiner Zusammensetzung mit anderen Silben erschließt: Wir reden beispielsweise von einem heiteren, einfachen, lebhaften »Gemüt«. Gemüt ist der umfassendere Begriff; das althochdeutsche Wort »muot« wurde in diesem Sinne verstanden. Die Schwermut weist auf eine düstere Gemütslage hin. Bei Großmut denken wir an einen Menschen, der alle an sein großes Herz nimmt, der beschenken und verzeihen kann. Der Freimütige hat sein Herz auf der Zunge, der Mutwillige tut des Guten zu viel und riskiert dadurch Ärger – das kann eine Zumutung werden. Der Hochmütige, wie ich später noch erläutern werde, kann durchaus ein Feigling

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