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Selbstwertgefühl feindseliger sind als Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, ganz gleich ob stabil oder instabil. Ein aufgeblasener und instabiler Glaube an die eigene Überlegenheit ist eine der wichtigsten Ursachen für Gewalt (Baumeister et al., 1996). Es lässt sich demnach festhalten, dass nicht nur die Höhe, sondern auch die Beständigkeit des Selbstwertgefühls von Bedeutung ist. Es finden sich eine Reihe von Studien, die den Schluss nahelegen, dass das Selbstwertgefühl mit ökonomischem Wohlstand steigt (Piff, 2014). Paul Piff bezieht sich beispielsweise in seiner Untersuchung auf eine Verschiebung der Werte in der US-amerikanischen Gesellschaft. Zahlreiche empirische Belege offenbaren die Entwicklung der Gesellschaft: weg von kommunalen, kollektiven Werten, hin zu Eigeninteresse und Egoismus (Twenge, 2006; Twenge & Foster, 2008; Foster, Campbell, & Twenge, 2003). Weitere Forschungsergebnisse zeigen, dass mit dem höheren sozioökonomischen Status auch höhere Narzissmus-Werte einhergehen.

      Doch warum reagieren Menschen mit hohem Selbstwert emotionaler? Eine Erklärung hierfür mag in der potenziellen Fallhöhe liegen. Diese ist bei Menschen mit hohem Selbstwert viel größer als bei Menschen mit niedrigem Selbstwert. Menschen mit hohem Selbstwert nehmen einen argumentativen Angriff viel eher als Frechheit und Beleidigung wahr als solche mit niedrigem Selbstwert. Der psychologische Kontrast ist viel größer bei hohem als bei niedrigem Selbstwert. Dies gilt sogar für Autoaggression: Roy Baumeister – einer der einflussreichsten Psychologen unserer Zeit – konnte zeigen, dass Suizid viel häufiger bei Personen mit hohem als mit niedrigem Selbstwert vorkommt (Baumeister, 1990). Ganz einfach, weil die eigenen Ansprüche an sich selbst und damit die Fallhöhe bei hohem Selbstwert größer sind. Wenn ein/e Topmanager/in seinen/ihren Job verliert, dann stürzt er/sie in der eigenen Wahrnehmung aus viel größerer Höhe ab, als beispielsweise ein Angestellter/eine Angestellte in nicht leitender Funktion. Der Kontrast von vorher zu nachher ist hier viel größer in der Wahrnehmung des Managers mit hohem Selbstwert und löst einen wesentlich stärkeren negativen Affekt aus wie etwa Depression, Aggression, Wut, oder Ärger. Das zeigen auch Untersuchungen zu emotionalen Reaktionen auf positive und negative Informationen über die eigene Person. Rhodewalt und Morf (1998) konnten zeigen, dass die Reaktionen von narzisstischen Personen extremer waren als die der Personen mit einer geringeren narzisstischen Ausprägung. Zudem schrieben narzisstischere Personen Erfolge mehr ihren eigenen Fähigkeiten zu. Dies hatte jedoch zur Folge, dass Misserfolge zu extremeren Wutreaktionen führten und mit einem als massiver erlebten Angriff auf das Selbstwertgefühl einhergingen.

      Wie immens und destruktiv der Einfluss von Narzissten sein kann, zeigt Mark Stein in seinem 2013 publizierten Artikel zu narzisstischer Führung am Beispiel von Richard „Dick“ Fuld, längster und letzter Bankchef der US-Bank Lehman Brothers. Da Narzissten von einem starken Bedürfnis nach Prestige und Macht getrieben sind, finden sich viele in verantwortungsreichen Führungspositionen. Ein weiterer Grund dafür wird darin vermutet, dass einige Eigenschaften von Narzissten für die Organisation, für die sie tätig sind, überaus hilfreich sein können. Andere ihrer Eigenschaften jedoch sind äußerst destruktiv, wie Stein am Lehman-Brothers-Beispiel zeigt. Dick Fuld spielte eine zentrale Rolle in der Geschichte des Bankhauses. Während seine Persönlichkeit in den Jahren zwischen 1993 und 2005 konstruktiv für Lehman war, wendete sich das Blatt ab 2005 und endete 2008 schließlich in der Katastrophe. Dick Fuld begann 1969 als Anleihenhändler bei Lehman. Im Jahr 1994 stieg er zum Vorstandsvorsitzenden der Investmentbank auf. In dieser Zeit befand sich die Bank, die sich gerade von American Express gelöst hatte, in einer internen Krise. Der Finanzprofessor Roy C. Smith von der Stern School of Business der New York University soll hierzu gesagt haben: Lehman Brothers sei wie „eine Katze mit 19 Leben und sie hat wohl ihr 17. erreicht“ (NY Times, 1996). Im Zeitraum von 1993 bis 2005 trug Fuld maßgeblich dazu bei, eine Kultur zu schaffen, in der er umgeben war von Bewunderern und oft kriecherischen Kollegen (Stein, 2015). Joseph Tibman, ein Lehman-Insider berichtet, „er hatte immer das letzte Wort“, und das Gefühl der Allmacht, das er ausstrahlte, wurde stets von einer sehr aggressiven, kämpferischen und kompromisslosen Art begleitet. Laut Stein waren die Mitarbeiter unter anderem deshalb bereit, Fulds autokratischen Führungsstil zu akzeptieren, da es ihm gelungen war, die Kämpfe innerhalb des Unternehmens in den Griff zu bekommen. Dafür waren sie ihm dankbar. Überheblichkeit, Allmacht und Allwissenheit waren in den Jahren von 1993 bis 2005 eindeutig Bestandteil von Fulds Führungsstil. Zu dieser Zeit gibt es wenige Belege dafür, dass diese Eigenschaften Lehmans Position in bedeutender Weise geschadet hätte. Im Gegenteil, berichtet Stein weiter, es scheint, dass er ab 1993 maßgeblich beteiligt war, Lehman aus den Schwierigkeiten zu holen. Sein konstruktiver, narzisstischer Stil half ihm dabei, die Firma zu einen (Stein, 2013). Lehman ging es zu dieser Zeit sehr gut, und viele Mitarbeiter profitierten enorm von diesem Erfolg. Bezeichnend ist jedoch, dass die Warnzeichen der ab 2005 aufziehenden Subprime-/Kreditkrise von Fuld konsequent ausgeblendet wurden. Anstatt auf Warnungen zu hören, reagierte Fuld auf Meinungen, die seiner widersprachen, mit Verachtung oder Kündigung. So trat 2007 die Geschäftsführerin Christine Daley zurück, und ihr Kollege Alex Kirk folgte ein Jahr später. Die Kündigung der Risikomanagerin Madelyn Antoncic wurde weltweit bekannt: Fuld entließ sie, nachdem sie ihm regelmäßig ihre Sorgen um den Markt und um das zu hohe Risiko der Bank kundtat (McDonald & Robinson, 2009). Spätestens ab hier werden die destruktiven Eigenschaften der narzisstischen Führung für die Organisation sowie die Gefahr, die von einer von ihr gestalteten Kultur ausgeht, offensichtlich. Der Held, der das Unternehmen aus der Krise und zum Erfolg geführt hatte, weigerte sich, die neue Krise zu sehen und den Gedanken an einen möglichen Verkauf von Lehman zu akzeptieren. Im Gegenteil, Fuld sagte 2007: „So lange ich lebe, wird diese Firma nicht verkauft … und sollte sie nach meinem Tod verkauft werden, komme ich zurück aus dem Grab und werde das verhindern“ (Sorkin, 2009, S. 194). Rückblickend betrachtet hätte es zahlreiche Möglichkeiten für Fuld gegeben, mit der Krise umzugehen (Story & White, 2008).

      Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesem Beispiel ableiten? Führungspersonen, welche meist über eine gewisse Anfälligkeit für Narzissmus verfügen, laufen Gefahr, die Realität verzerrt wahrzunehmen und den Fokus zu sehr auf ihre Machtposition und deren Erhalt zu richten. So lange die Gefolgschaft, seien es Mitarbeiter oder Parteianhänger, davon profitiert, werden negative Attribute verharmlost oder für einen höheren Zweck gerechtfertigt. In einer solchen Kultur, die keine kritischen Stimmen zulässt, sind eine pathologische Entwicklung und daraus erwachsende, negative Konsequenzen nahezu unvermeidlich. Es fehlt ein gesundes, natürliches regulierendes Element.

      In diesem Beispiel lassen sich noch eine Reihe weiterer zentraler psychologischer Phänomene identifizieren, die ebenfalls die Hypothese eines Effekts des Wohlstandsübermutes stützen. Das Muster und die Art der Effekte lassen sich ferner in zahlreichen anderen autokratischen Systemen wiederfinden:

      • Man will lieber das wahrnehmen, was dem eigenen Denken nicht entgegenläuft, denn es ist angenehmer.

      • Man will sich auch nicht geirrt haben.

      • Annahme: Es wird schon nicht schlecht ausgehen.

      • Es ist schön, einen Helden zu haben, den man bewundern kann.

      • Die eigene Gruppe und die Zugehörigkeit dazu fühlt sich wertvoller an mit einer charismatischen Führungsperson.

      • Diese Führungsperson jedoch findet mehr Rechtfertigung für ihre Machtposition durch die Kommunikation vermeintlicher Außenfeinde.

      Es ist davon auszugehen, dass sich dies auch auf die Angriffs- und Konfliktfreudigkeit eines ganzen menschlichen Kollektivs übertragen lässt. In ökonomisch und politisch sich gut entwickelnden bzw. friedlichen Zeiten steigt der Selbstwert der entsprechenden Kollektivmitglieder (Piff, 2014). Sie sind stolz darauf, was ihr Land erreicht hat; sie werden konservativ, da sie viel zu verlieren haben. Andere Weltsichten, Religionen, Lebensformen, etc. werden dann verstärkt als Frechheit und Angriff auf das eigene Weltbild, die eigene Lebensweise angesehen (siehe Kontrasteffekt; Kahneman, 2010). Je stärker diese Diskrepanz wahrgenommen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass Konflikte mit anderen Kulturen entstehen. Das außenpolitische Verhalten der USA in den letzten Jahrzehnten lässt sich gut mit dieser Theorie erklären. Zahlreiche Kriege sind erwachsen aus dem Grundverständnis, dass die eigene Kultur anderen Kulturen überlegen ist. Das aktuelle Säbelrasseln mit dem Iran und Nordkorea ist nur ein weiteres Beispiel, dass das Gefühl der eigenen

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