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und Frau. Sicher schwingt da bei einigen heimlich diese Nostalgie von damals mit, die Romantik der goldenen Sechzigerjahre, das Gefühl, als junger Theologe damals mit dabei und fortschrittlich gewesen zu sein, oder wenigstens als etwas jüngerer Theologe die Konzilsväter leibhaftig so verwegen über die freie Liebe reden gehört zu haben. Und ja, damals waren Männer in diesen Gesprächen noch unter sich. Als Frau Jahrgang 1971 fehlt mir dieser Zugang. Nachdenklich gemacht hat mich aber die fast idente Äußerung zweier älterer Kollegen der oben beschriebenen Kategorien, sprich halbwegs jung und ganz jung während des Konzils. „Du weißt ja nicht, wie es vorher war.“

      War es vorher, vor den Kapiteln 47 bis 52 und dem II. Vatikanum, wirklich noch schlimmer in Sachen Ehe, Sex und Geschlechterrollen?

      Wer Näheres wissen will, braucht nicht nur ein Glossar, sondern Lateinkenntnisse. Das im deutschsprachigen Raum verwendete Lehrbuch zum Thema, das Priestern bis zum Konzil als Grundlage für ihre Theorie und Praxis zur Ehe, insbesondere aber der Beratung der Eheleute in der Beichte diente, erklärt einiges. So zum Beispiel Ziel, Lage, Ort und Zeit des erlaubten Aktes, im Original: „De liceitate actus coniugalis ratione circumstantiarum. § 1. De fine, § 2. De situ et loco, § 3 De tempore.“ Oder das Übel des Genusses. „De malitia luxuriae.“ Oder überhaupt: „Quomodo perficiendo“ – wie man den ehelichen Verkehr durchzuführen habe.

      Die Summa Theologiae Moralis der Jesuiten Hieronymus Noldin und Albert Schmitt ist nicht nur eine abgründige Motivation, sein Latein aufzufrischen, sie ist vor allem ein Schlüssel zum Verständnis jener Passagen aus der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die am Anfang des kirchlichen Diskurses über Frauen stehen. Zunächst einmal die Sprache. Diese Summa ist weit entfernt von jeglicher Spiritualisierung der Ehe oder gar des ehelichen Verkehrs. Es geht wohlgeordnet zur Sache, immer schön logisch beginnend mit einer Definition, genaueren Erläuterungen, möglichen Fragen und Verirrungen. Die Summa Theologiae Moralis ist auf ihre Weise sogar über weite Strecken geschlechtergerecht formuliert, wenn auch ohne Binnen-I, dafür aber artig mit „quod vir vel mulier“ (dass der Mann oder die Frau) oder „utriusque sexus“ (beiderlei Geschlechts). Von der Besonderheit der Frau als weiblichem Wesen ist nur dann die Rede, wenn es entweder um biologische Sachverhalte geht (und dann in einer Detailliertheit, die kein Schulbuch bis in die 1980er-Jahre wagte) oder aber bei jenen Sünden, die eine spezifische Rolle der Frau implizieren: Prostitution und Vergewaltigung. Erstere wird interessanterweise fast ausschließlich unter der Frage, ob die Staatsmacht sie denn erlauben dürfe, abgehandelt – sie darf natürlich nicht, sondern der Staat soll sich um die Erziehung der Jugend zur Keuschheit kümmern. Von den Beweggründen der Frauen ist ebenso wenig die Rede wie von ihrer speziellen Sündhaftigkeit, Prostitution ist Unzucht des Lohnes willen, wie die spröde deutsche Übersetzung des nicht minder spröden lateinischen Originals lautet. Vergewaltigung wiederum wird als Delikt gegen jede Frau angesehen, die „immunis a peccato“, also frei von der Sünde sei, wenn sie sich zumindest innerlich (!) dagegen gewehrt hat.

      Ansonsten gilt so wie im profanen Leben: Die Frau ist Helferin des Mannes, auch bei der Sünde der Unzucht, und die Autoren suchen den schmalen Grat zwischen Verpflichtung zum ehelichen Gehorsam und Vermeidung der Sünde zu definieren, was bei seitenlangen Überlegungen zur Mithilfe der Ehefrau zur Onanie des Gatten latent parodistische Züge annimmt. Jegliche Art der Empfängnisverhütung (es gibt sogar ein lateinisches Wort für Kondom) ist natürlich strengstens verboten, die Beichtväter wussten aber nach dem Studium von Noldin/​Schmitt bestens Bescheid, wonach sie die Bußfertigen fragen mussten.

      So war die theologische Rede über die Ehe als Verbindung von Mann und Frau also „vorher“, vor dem Konzil und den Artikeln 47 bis 52, in Gaudium et spes: Das eheliche Leben, ein steter Spießrutenlauf zwischen zentimetergenau vermessenen Grenzen von tolerierter, weil zielgerichteter Lust und der Sünde. Aber auch: eine extrem nüchterne Sicht beider Geschlechter als Rechtsobjekte, deren Handeln in licet und non licet, in erlaubt und verboten, unterteilt wurde, unsentimental in einem Ausmaß, das heute wohl viele Priester als „verdinglicht“ oder „versachlicht“, beides natürlich Begleiterscheinungen der schlimmen Postmoderne, bezeichnen würden. Frauen als besonders schützenswerte Wesen oder auch nur als Teil einer Liebesgemeinschaft mit transzendenter Aufgabe, wie wir sie gleich in Gaudium et spes kennenlernen werden, gibt es schlichtweg noch nicht. Was jene in Ehren ergraute Konzilsgeneration meint, wenn sie von den Verbesserungen durch das Konzil gegenüber dem „Vorher“ von Noldin/​Schmitt spricht, ist die Entrechtlichung der Ehe zugunsten einer Theologisierung und Spiritualisierung. Was sie auch meint, ist der Wegfall all jener minutiösen Regeln im Umgang der Geschlechter, der eben alles bis zur berühmten Frage, ab wie viel Zentimetern Rocklänge über dem Knie die schwere Sünde begänne, umfasste – und zwar für die Haut zeigende Frau und den lüstern hinblickenden Mann. Das Konzil galt und gilt vielen als Befreiung von diesem spätscholastischen Korsett der Unzuchtsparagrafen.

      Endlich konnten das eigene Begehren und die sexuelle Vereinigung mit einer Frau als Teilhabe am Heilsgeschehen ohne nähere Klauseln verstanden werden. Aus männlicher Sicht, wohlgemerkt. Ich kenne keine Frau der heutigen Generation 70 plus, die so von der Befreiung durch Gaudium et spes schwärmt wie Männer. Das mag wesentlich daran liegen, dass Theologen damals Priester waren, die sich dann, von der theologischen Aufwertung der Ehe motiviert, laisieren ließen, das mag aber auch daran liegen, dass frau die entsprechenden Passagen schon damals eher als Männergespräch empfunden hat. Männer reden darüber, wie schön die eheliche Liebe für Mann und Frau doch sei. Frauen sind Teil eines harmonischen Ganzen, eben der Ehe. Und dort aber fallen die strengen Benimm- und Berührregeln von „vorher“ zugunsten einer Theologie der Ehe, welche die Frauen zunächst einmal mitmeint, in weiterer Folge aber wesentliche Grundlage für alle weiteren kirchlichen Diskurse über Frauen wird.

      „Die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe, vom Schöpfer begründet und mit eigenen Gesetzen geschützt, wird durch den Ehebund, d. h. durch ein unwiderrufliches personales Einverständnis, gestiftet. So entsteht durch den personal freien Akt, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen, eine nach göttlicher Ordnung feste Institution, und zwar auch gegenüber der Gesellschaft. Dieses heilige Band unterliegt im Hinblick auf das Wohl der Gatten und der Nachkommenschaft sowie auf das Wohl der Gesellschaft nicht mehr menschlicher Willkür. Gott selbst ist Urheber der Ehe, die mit verschiedenen Gütern und Zielen ausgestattet ist.“ (48)

      So beginnen die Artikel zur „Heiligkeit von Ehe und Familie“. Das klingt doch schon ganz anders als der Anfang der Summa Theologiae Moralis zum gleichen Thema:

      „Der Gebrauch der Ehe besteht in jener Handlung der Gatten, welche von der Natur zur Bewahrung und Weitergabe des Menschengeschlechts eingerichtet wurde, d. h. in der fleischlichen Verbindung.“

      Gegenseitig zu schenken und anzunehmen, das ist doch wahre Gleichberechtigung, nicht dieser Gender-Wahn, kann man heute von jungen, charismatischen Kaplänen hören, deren Eltern zur Zeit des Konzils noch in der häuslichen Obhut der Mutter waren, wie es in Gaudium et spes formuliert wird. Aus dem angenommenen Geschenk der ehelichen Liebe wird aber rasch eine extrem hohe Verbindlichkeit, die direttissima zu Gott zurückreicht. Nicht, dass nicht auch vor dem Konzil die Ehe als Institutum göttlichen Rechts und dementsprechend ihre Unauflöslichkeit gegolten hätte. Die extreme Personalisierung und Emotionalisierung der Ehe bereits in diesen ersten Zeilen von Gaudium et spes gilt aber nicht mehr nur den unmittelbar Betroffenen, also den Ehepartnern, sondern auch Gott, dessen Anwesenheit als stiller Teilhaber wiederholt strapaziert wird.

      „Eine solche Liebe, die Menschliches und Göttliches in sich eint, führt die Gatten zur freien gegenseitigen Übereignung ihrer selbst, die sich in zarter Zuneigung und in der Tat bewährt, und durchdringt ihr ganzes Leben; ja gerade durch ihre Selbstlosigkeit in Leben und Tun verwirklicht sie sich und wächst.“ (49)

      Sehr schön. Aber was, wenn doch nicht? Einer der Knackpunkte der Familiensynode

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