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voraus.) Dabei kamen sie meist auf Irgendwas-mit-Sex oder Irgendwas-mit-Tod, meist in wilden Kombinationen und Ausschweifungen, wie sie selbst in Zeiten des Internets eher erstaunlich wären.

      Dazu entwarfen sie die Idee der Archetypen. Das sollten so was wie weltweit verbreitete Charakterzüge, Grundideen, fast schon Entitäten sein, die sich auch in Märchen wiederfinden: der Schatten, der weise Mann, die hässliche Alte und ähnliches. Die Idee der Archetypen reizt mich bis heute, v.a. die Frage, wie diese eigentlich weltweite Verbreitung gefunden haben sollen, lange bevor es Kontakte zwischen den Menschen verschiedener Kontinente gab. C.G. Jung, einer der Vordenker dieser psychologischen Schule, prägte dafür den Begriff des „kollektiven Unbewußten“, und da er gerade nicht hier ist, sage ich Ihnen, dass er keine schlüssige Idee hatte, wie das genau funktionieren soll. Wir würden wahrscheinlich heute von einer evolutionsgenetischen Komponente ausgehen. Naja, aber halten wir uns damit nicht zu lange auf. Denn ich werde nicht das tun, was Sie in genug anderen Büchern nachlesen können.

      Nein? Was dann?

      (zweite – und letzte – Kunstpause)

      Ich habe mein Diplom in Psychologie 2004 in Bochum gemacht, mit einem klaren Fokus auf kognitive Prozesse der Persönlichkeit. Mit Modellen der Psyche, oder eben Persönlichkeit, die stark von verhaltenspsychologischen Aspekten geprägt sind, und bei denen wir Psychologen angefangen haben uns als Naturwissenschaftler zu verstehen. Statt des Schwafelns vergangener Kollegengenerationen ist unser Ansatz, Sachverhalte möglichst einfach und kurz beschreiben zu können.

      Aus dieser Sicht eines modernen Psychologen werde ich einen Blick auf die Märchen der Gebrüder Grimm werfen, werde den historischen Kontext ignorieren und wahrscheinlich das ein oder andere Mal einem Sprachwissenschaftler seine verbliebenen grauen Haare ausfallen lassen, wenn ich versuche zu erklären, wieso uns das jeweilige Geschehen auch heute noch fesselt, und was wir daraus für unser Leben mitnehmen können.

      Unter uns (ja, ich flüster‘ wieder vertraulich): ich weiß noch nicht einmal, ob ich bei jedem Märchen so etwas finden werde; aber irgendetwas werde ich überall schreiben müssen – also ärgern Sie sich nicht zu sehr, wenn Ihnen meine Deutung vielleicht etwas weit hergeholt oder am Märchen vorbei erscheint. (Und verraten Sie es vor allem nicht den Anderen – sprich denen, die dieses Vorwort nicht gelesen haben, das sich nun seinem Ende nähert.)

      Nun aber Vorhang auf, die Frösche gesattelt, die Pferde in den Brunnen geworfen, und Gold zu Stroh gesponnen – von nun an wird es märchenhaft.

      Willkommen im

      Märchenwald

       1. Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

      

n den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, daß die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens: und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fieng sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.

       Nun trug es sich einmal zu, daß die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hinein rollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief daß man keinen Grund sah. Da fieng sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu „was hast du vor, Königstochter, du schreist ja daß sich ein Stein erbarmen möchte.“ Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken häßlichen Kopf aus dem Wasser streckte. „Ach, du bists, alter Wasserpatscher,“ sagte sie, „ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinab gefallen ist.“ „Sei still und weine nicht,“ antwortete der Frosch, „ich kann wohl Rath schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?“ „Was du haben willst, lieber Frosch,“ sagte sie, „meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage.“ Der Frosch antwortete „deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine, und deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinunter steigen und dir die goldene Kugel wieder herauf holen.“ „Ach ja,“ sagte sie, „ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wieder bringst.“ Sie dachte aber „was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seines Gleichen und quackt, und kann keines Menschen Geselle sein.“

       Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab und über ein Weilchen kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. „Warte, warte,“ rief der Frosch, „nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du.“ Aber was half ihm daß er ihr sein quack quack so laut nachschrie als er konnte! sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinab steigen mußte.

       Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Thür und rief „Königstochter, jüngste, mach mir auf.“ Sie lief und wollte sehen wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Thür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der König sah wohl daß ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach „mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Thür und will dich holen?“ „Ach nein,“ antwortete sie, „es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch.“ „Was will der Frosch von dir?“ „Ach lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder heraufgeholt, und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr daß er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.“ Indem klopfte es zum zweitenmal und rief

       „Königstochter, jüngste,

       mach mir auf,

       weißt du nicht was gestern

       du zu mir gesagt

       bei dem kühlen Brunnenwasser?

       Königstochter, jüngste,

       mach mir auf.“

       Da sagte der König „was du versprochen hast, das mußt du auch halten; geh nur und mach ihm auf.“ Sie gieng und öffnete die Thüre, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief „heb mich herauf zu dir.“ Sie zauderte bis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er „nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.“ Das that sie zwar, aber man sah wohl daß sies nicht gerne that. Der Frosch ließ sichs gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes

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