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war doch sicherlich auch alles verwanzt!» Mannhardts spontaner Ausruf entsprang keiner moralischen Verurteilung, sondern der Hoffnung, dass sich in den Stasi-Unterlagen noch etwas finden ließ, das sie auf die Spur des Mörders brachte.

      «Raus hier!», schrie Oybin.

      Mannhardt reagierte so cool, wie er es bei Schönbier gesehen hatte. «Dem Sieger fällt es nicht schwer zu gehen. Frau Teetzmann kann ja sicher noch bleiben.»

      Damit verließ er den Raum, um vor der Tür auf und ab zu gehen. Es dauerte. Nach einigen Minuten hörte er Yaiza Teetzmanns Lachen, fast war es ein Kreischen. Mannhardt stöhnte auf. Seine Kollegin als Groupie, es war nicht zu fassen. Endlich kam sie auf den Flur hinaus.

      «Das war ja voller Einsatz, um ihm ein Geständnis abzuringen», sagte Mannhardt. «Hat er denn gestanden?»

      «Und wie!», rief Yaiza Teetzmann.

      «Könntest du bitte deine sexistischen Bemerkungen im Dienst unterlassen, ich wende mich sonst an den Männerbeauftragten.»

      «Okay, entschuldige. Nein, Oybin hält das alles für eine Rufmordkampagne. Er wird sich in den nächsten Tagen hinsetzen und mir eine Liste mit allen Freunden und Bekannten geben, die in den fraglichen Jahren bei ihm in Schmöckwitz in seiner Abwesenheit zu Gast gewesen waren. Soweit er sich erinnern kann.»

      «Und will», fügte Mannhardt hinzu.

      «Wenn es ihn entlastet, wird er schon wollen.» Mannhardt hatte da so seine Bedenken. «Er wird doch keinen Freund der Klassenjustiz ausliefern wollen.»

      «Warten wir’s ab.»

      «Ich könnte mir schon vorstellen, dass er’s selber war», sagte Mannhardt.

      «Dir geht’s ja nur um die klammheimliche Freude!», hielt Yaiza Teetzmann ihm vor.

      «Zugegeben, aber als West-Berliner – und damit als Opfer der DDR-Diktatur – darf ich die wohl haben.»

       2007

      HANS-JÜRGEN MANNHARDT hockte hinter seinem Schreibtisch und gab sich, da er allein im Zimmer war, dem Büroschlaf hin. Abgesehen davon, dass dieser gesund sein sollte, vertraute er als jemand, der brav seine Kirchensteuern zahlte, auch der alten Verheißung: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe. In diesem Falle hoffte er auf eine Erleuchtung, was den Schmöckwitzer Leichenfund betraf.

      Und es schien so, als hätte er auf die richtige Karte gesetzt, denn als nach einer halbstündigen Siesta Yaiza Teetzmann zu Besuch kam, brachte diese frohe Kunde mit.

      «Du, sie haben am Imkerweg im Grab noch etwas gefunden.»

      «In welchem Grab?», fragte Mannhardt.

      Yaiza Teetzmann schlug sich mit der flachen rechten Hand gegen die Stirn. «Mensch, da an der Hauswand, wo das Skelett gelegen hat!»

      Mannhardts Gehirn brauchte einige Sekunden, bis es mit dem Booten fertig war. «Ach, da bei Oybin … Haben sie noch den Personalausweis der Toten gefunden?»

      «Nein, aber so etwas Ähnliches: eine Kette mit einem Anhänger dran, und auf dem stehen die Initialen A. K.»

      «Na prima!», rief Mannhardt. «Suchen wir nach allen vermissten Frauen mit den Vornamen Anna, Annegret, Anneliese, Annerose, Amalie, Amalaswintha – das war eine Königin der Goten, aber die wird ja kaum in Schmöckwitz ermordet worden sein –, Agnes, Asta, Anastasia …»

      «Ist ja gut!» Leicht genervt unterbrach ihn Yaiza Teetzmann. «Ich bewundere dein Gedächtnis, aber …»

      «Das K, ich weiß. A. K.? Da fällt mir auf Anhieb nur die Anna Karsch ein, die deutsche Sappho aus Berlin, aber die hieß ja Anna Louisa und muss so um Napoleon herum gestorben sein. Also kommt sie für Schmöckwitz kaum in Frage.»

      Yaiza Teetzmann hatte keine Lust zu literarischen und sonstigen Ausflügen. «Das kleine Kettchen ist zerrissen, was darauf schließen lassen könnte, dass die Frau erwürgt worden ist.»

      «Ich würde eher sagen, dass es gerissen ist, als der Täter die Frau in die Grube am Haus geworfen hat. Komisch aber, dass ihm das nicht aufgefallen ist.»

      «In seiner Panik …» Yaiza Teetzmann sah da keine Probleme. «Sie wird ja noch bekleidet gewesen sein, als er sie aus dem Haus geschafft hat, und dunkel ist es vielleicht auch noch gewesen.»

      «Werden wir also in den nächsten Tagen alle Vermisstenlisten nach dieser A. K. durchflöhen», sagte Mannhardt.

      «Haben wir keine Praktikanten dafür?»

      «Musst du mal welche beantragen.»

      Mannhardt hatte keine rechte Lust dazu. «Dass das Geld dafür da ist, möchte ich bezweifeln. Schließlich müssen wir drei Opernhäuser und den Neubau des Stadtschlosses finanzieren.»

      Obwohl er solche Arbeiten hasste, machte er sich selber auf die Suche nach den Vermisstenlisten der Jahre 1972 bis 1982, denn Bernhard Oybin zur Strecke zu bringen war ihm jedes Opfer wert. Doch bis zum Feierabend war er keinen Schritt vorangekommen, so dass er sich erst einmal in die U-Bahn setzte und nach Hause fuhr.

      Als er aufgeschlossen hatte, kam ihm Heike entgegen, die sehr erstaunt darüber war, ihn zu sehen.

      «Ich dachte, du wärst gleich weitergefahren.»

      «Weitergefahren?», wiederholte Mannhardt. «Wohin denn?»

      «Na, in die Fasanenstraße ins Literaturhaus. Da tritt doch heute Abend einer deiner besten Freunde auf.»

      «Einer meiner besten Freunde?» Mannhardt ging gedanklich alle seine Freunde durch, aber die schrieben nur Einkaufszettel und Urlaubskarten. «Wer soll denn das sein?»

      «Na, der große Bernhard Oybin.»

      Der Berliner Landesverband des VS, des Verbandes deutscher Schriftsteller, in der Gewerkschaft ver.di hatte sich vor geraumer Zeit eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel (Fast) vergessene Schriftsteller einfallen lassen, und diesmal war Bernhard Oybin an der Reihe. Ort der Veranstaltung war der Kaminsaal des Literaturhauses in der Fasanenstraße.

      Mannhardt kam vom U-Bahnhof Kurfürstendamm und staunte, dass man den alten Kult-Boulevard der West-Berliner noch immer nicht zum kurfürstlichen Jagdweg zurückgebaut hatte. Der Bahnhof Zoologischer Garten hatte ja seinen Status als ICE-Halt verloren und war tief gesunken. Während die Ost-Berliner jedem zu Mauerzeiten hinterlassenen Furz andächtig nachtrauern durften, machte man sich über die nostalgischen Gefühle der West-Berliner nur lustig. Wenigstens wurde der Palast der Republik nun abgerissen.

      Die Fasanenstraße war nicht gerade Mannhardts Lieblingsgegend. Die hier ansässigen Galerien und das Literaturhaus waren ihm nicht nur fremd, sondern so zuwider, dass er jedem Anarchisten klammheimlich Beifall gespendet hätte, wenn der mit einem Stein oder einem Molotowcocktail in der Hand angetreten wäre, um die bourgeoisen Ausbeuter und all die süßlichen Schöngeister ein wenig zu ärgern. Sofort verbot er sich aber diesen Impuls, denn zum einen war er Beamter des Landes Berlin, und zum anderen waren diese Gedanken wohl auch ein wenig faschistoid.

      Aber auch, dass sich ein Stasi-Schwein wie Bernhard Oybin nun in seinem West-Berlin produzieren durfte, ärgerte ihn gewaltig. Wozu hatten die West-Berliner eigentlich heroisch gegen den Kommunismus gekämpft?!

      Als er den Vorgarten des Literaturhauses durchquerte, sah er, dass sich mehrere Leute mühten, in Ermangelung einer Rampe einen Mann im Rollstuhl nach oben zu tragen. Schnell lief er hin, um zu helfen. Zu viert schafften sie es letztendlich. Sowohl drinnen wie auch draußen gab es eine Menge Stufen, und Mannhardt geriet nicht nur ins Schwitzen, sondern malträtierte auch seine Bandscheibe in einem Maße, dass es heftig zu schmerzen begann.

      Erst als sie oben angekommen waren, bemerkte er, wem er da eigentlich geholfen hatte: keinem Geringeren als Bernhard Oybin.

      Der starrte ihn an. «Sie?!»

      «Ja.» Mannhardt reckte sich. «Bei uns gelten nicht die Weisungen des Zentralkomitees

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