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Queenie Tashina King lief ohne Eile den Hang hinter dem alten Blockhaus hinauf zu der Höhe, wo sturmzerstörte Kiefern mit neuen Trieben ihr Leben behaupten wollten.

      Das alte Gras war durch Winterkälte und Schnee schlaff gemacht und niedergedrückt. Die ersten frühen Sonnentage und das aus dem Brunnen quellende Wasser riefen aber schon hellgrüne Halme aus dem Boden, zarte, neugierige Spitzen, die noch nicht dicht standen. Tashina lief barfuß. Sie konnte die Hänge und Wiesen überschauen und brauchte sich nicht vor Schlangen zwischen Gras und Kraut zu fürchten. Aber sie erinnerte sich an eine Sommernacht, in der Joe Inya-he-yukan King einer Schlange den Kopf zertreten und seine Frau Tashina in seine Arme gerissen hatte. Er hatte sie zu der Höhe und zu den Kiefern hinaufgetragen. Die Grillen hatten das Lied der in Dunkelheit versinkenden Prärie gesungen.

      Das Licht der Sterne hatte geleuchtet, das Licht der Sterne leuchtete. Der Mond war silbergolden, und wenn alle weißen Männer mit allen ihren Künsten zu ihm hinauffuhren, so konnten sie ihn doch nicht finden. Sie fanden nur eine Wüste, doch sein Geheimnis fanden sie nicht. Tashina aber sprach mit dem Mond, der ihren Vätern und Vorvätern und auch der Nacht geleuchtet hatte, in der ihr Kind gezeugt worden war.

      Es lag unter ihrem Herzen, groß und schwer, und sie hatte schon gefühlt, wie es sich rührte. Bis zu den Nerven ihrer Finger, bis in die Wärme ihrer Wangen spürte sie das Schwingen des neuen Lebens, sanftes, gewisses Schwingen.

      Sie gewann die Höhe und wusste selbst nicht, warum sie von dort nicht zurück in das Tal schaute, das ihr so vertraut war, zu Haus und Pferden, zu den Gräbern geliebter und verhasster Toter, zu den Fenstern, hinter denen Kinder und Pflegekinder schliefen, oder hinüber zu den weißen Felsen, die auch in der Nacht noch hell waren. Sie schaute nicht dorthin, wo ihr Leben gebunden war. Sie stand auf der Höhe und blickte nach der anderen Seite, wo der Himmel tiefdunkel wurde und nichts mehr zu spüren war vom letzten Glanz der versunkenen Sonne, wo aber aus der Dunkelheit an einem neuen Morgen der neue Tag hervorkommen würde.

      Wo sie hinschaute, gab es nicht Tal und Berg, nicht Straße und Friedhof, nicht Haus und Korral. Unbezwungen, ohne Ordnung, dehnten sich die Wellen der Wiesen und verschwammen in eins mit den Lüften. Es war alles noch offen, ungestaltet, auf das Künftige wartend und das Vergangene heimlich in sich bergend.

      Tashina legte die Hände auf den Leib, in dem sie das neue Leben schützte, ihr Leben, Inya-he-yukans Leben, das Leben eines Kindes, eines Indianers, eines Menschen, in der Prärie gezeugt, aufwachsend künftig zwischen Not und Hoffnung, Gefahren und Liebe. Sie wartete am kommenden Tag auf das Wunder, von dem auch die klügsten Geister noch nicht wussten, ob es eine Frau sein würde oder ein Mann, zart oder stark, glücklich oder unglücklich, liebend oder hassend, lange lebend oder bald vergehend.

      Aber Tashina, die schon Mutter war, wusste, dass sie wiederum Mutter sein würde. Sie hatte keine Angst vor den Schmerzen.

      Sie sah die Weite der Prärie, sie fühlte die Kälte der heraufziehenden Nacht, die ihr Blut rascher zu pulsen zwang, sie spürte den Duft der Erde, des Wassers, die von fernher ziehenden Wellen des Windes, und ihre Füße fühlten das schlaffe Gras, grüne Spitzen, stachlige Blätter. Sie war eins damit. Mit dem Wind kam ein letztes dumpfes Brüllen der Büffel, abendlicher Ruf. Tashina sandte ihn in Gedanken zu ihrem Mann, der als Traum neben ihr stand: »Inya-he-yukan«– das hieß »Stein hat Hörner«, die weißen Männer sagten Stonehorn, Steinhorn, oder Stone with horns, Stein mit Hörnern. Das galt alles gleich, eins wie das andere, für seine nicht bezwingbare Seele. Sein Körper aber lag in Schienen und Binden, ausgestreckt und geradegerichtet, in künstlicher Luft, im genormten Bett einer unter vielen andern, hineinsinkend in eine neue Zimmernacht, vor sich den Morgen mit Gefäßen und Instrumenten und fremden Geistern, die mit seinem Körper ihr künstliches Spiel treiben konnten.

      Tashina schloss die Augen und sandte ihre Gedanken dem Mann zu. Wenn das Kind geboren war, wollte sie es ihm bringen.

      Nach zehn Tagen wollte sie es ihm zeigen.

      Dann weckte die Freude seine eigenen Heilkräfte.

      Die Luft der Prärie zog durch ihre Lungen. Langsam, sicher, kräftig ging sie den Hang wieder hinunter, grüßte die Pferde, lächelte die Hunde an und betrat die kleine Blockhütte, in der sie die letzte Nacht vor der Geburt verbringen wollte.

      Die Zwillinge schlummerten schon dicht beieinander. Auf der zweiten Bettstatt lagen die Pflegekinder, Wakiya und Hanska, die den Vater verloren hatten und ihre Mutter, deren Geist erkrankt war, nie wiedersehen würden. Tashina hatte sich gewünscht, dass in dieser letzten Nacht die Kinder alle zusammen und bei ihr sein sollten. Sie hörte das Atmen der Schlafenden; darin war auch der Atem, und es schlug darin der Puls des Mannes, den sie liebte.

      Queenie Tashina King schlummerte ein und schlief ruhig.

      Am Morgen erwachte sie nach ihrer Gewohnheit sehr früh. Die Zwillinge hatten die Augen noch geschlossen, ihre braunen Wangen waren rund, schlafwarm. Hanska, zwölfjährig, träumte; vielleicht gewann er ein Rodeo auf Bronc sattellos wie sein Pflegevater Joe Inya-he-yukan King im vergangenen Herbst. Wakiya, dreizehn Jahre, war auf und kam zu seiner Pflegemutter Tashina.

      Sie strich ihm über das Haar. Er war schon ein verständiger Junge.

      »Was kann ich tun, Mutter Tashina?«

      »Mach mir den Wagen fertig, Wakiya.«

      Der Junge lief hinaus.

      Tashina weckte und versorgte die jüngeren Kinder. Sie trug das Frühstück auf, rief Wakiya herein und aß und trank mit allen Kindern zusammen an dem rohen Holztisch. Es gab keine Unruhe und kein Schelten, nur Stille und Aufmerksamkeit.

      Tashina fühlte in sich noch in alter Weise die Menschenwürde gemeinsamer Mahlzeiten, und sie erzog ihre Kinder zur Achtung davor. Wo ein Indianer war, da war er ganz, nicht mit den Lippen hier, mit den Gedanken dort. Gemeinsames Essen war gemeinsames Leben.

      Als alle satt waren, machte Queenie sich bereit und fuhr mit Wakiya in dem zweisitzigen Cabriolet den furchenreichen Feldweg hinunter, die betonierte Talstraße entlang, der Agentursiedlung und dem Krankenhaus zu, in dem sie entbinden wollte.

      Sie hatte noch Zeit. Es war nicht nötig, dass sie sich sogleich in dem Hospital meldete. Es gab vorher noch viel zu tun.

      Wakiya blieb im Wagen. Queenie ging in das Bürohaus der Dezernenten und suchte Mrs Carson, verantwortlich für das Wohlfahrtswesen, auf. Es warteten einige alte Leute, aber Mrs Carson entdeckte, als sie einen Besucher einließ, Queenie, die im Korridor stand, und bat sie vorzugsweise sogleich zu sich herein.

      Queenie machte vor der Barriere Halt, aber Mrs Carson hatte sich in den letzten Jahren angewöhnt, Indianer, die sie persönlich kannte, in den Raum diesseits der Barriere hereinzulassen. So bat sie Queenie zu sich, und die junge Frau nahm auf dem Stuhl dem Schreibtisch gegenüber Platz.

      »Womit kann ich Ihnen helfen, Mrs King?«

      »Haben Sie schon gehört, ob mein Gesuch Aussicht hat?«

      »Alle Aussicht. Es muss den Amtsweg gehen, das wissen Sie ja. Aber es scheint mir sicher, dass Ihnen der Zuschuss bewilligt wird. Der Stammesrat hat befürwortet, Dr. Sligh hat ihn befürwortet, ich habe ihn befürwortet, sogar Mr Shaw hat ihn befürwortet. Der Gesundheitsdienst wird also Ja sagen. Sie erhalten dann als Zuschuss für die Kosten der Privatklinik beziehungsweise der privaten ärztlichen Behandlung, in der sich Ihr Mann befindet, die Summe, die im Indian Hospital auf ihn individuell entfallen würde. Ich vermute, etwa zwanzig Dollar pro Tag. Die allgemeinen Kosten und spezielle Arztkosten können natürlich nicht aufgeteilt werden.«

      »Danke. Sie meinen, es ist sicher?«

      »Sicher. Seien Sie unbesorgt.«

      Queenie atmete auf und verabschiedete sich höflich. Mrs Carson öffnete und schloss die Barriere wieder, ehe sie die Tür für den nächsten Besucher aufmachte. Es sollte kein Unbekannter feststellen können, dass sie die angeordnete Barriere zuweilen als unnütz und peinlich empfand.

      Queenie King winkte draußen Wakiya zu, dann schlugen ihre Gedanken und ihre Füße einen anderen Weg ein. Sie ging zu dem Gerichtsgebäude.

      Crazy

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